Vom Sog der politischen Sprache
Eine Gewissheit, die
Dichter, Denker und Werbefachleute von jeher teilen, ist folgende:
Sprache manipuliert uns. Wer nicht peinlich genau an seinen Begriffen
feilt, läuft Gefahr, im Denken von Formulierungen gelenkt zu werden, die
der eigenen Meinung nicht gerecht werden.
Die in Berkeley lehrende Kognitionswissenschaftlerin Elisabeth Wehling
findet für diese Gewissheit neue Erklärungen. Mit klarer Diktion zeigt
sie auf, wie „Frames“ unser Denken beherrschen. Diese Deutungsrahmen
werden sprachlich aktiviert und entfalten eine unbewusste Eigendynamik.
Wehling erklärt anhand psychologischer Experimente die Krux an Frames.
Sie heben jeweils einen Aspekt hervor und blenden andere aus. Die
Expertin für politische Kommunikation erteilt der Vorstellung, wir
handelten faktenbezogen, eine grundsätzliche Abfuhr. „Nicht Fakten,
sondern Frames sind die Grundlage unserer alltäglichen sozialen,
ökonomischen und politischen Entscheidungen.“
Anschließend analysiert Wehling beherrschende Begriffe unseres
politischen Diskurses. Anhand von „Leistungsträgern“ und „Steueroasen“
vermag sie das zugrunde liegende „sozialdarwinistische Märchen“ zu
demaskieren. Die Stärke ihres Ansatzes beruht auf zwei Erkenntnissen:
Erstens lassen sich abstrakte Konzepte, besonders politische Begriffe,
nur über Metaphern kommunizieren. Erfolgreiche Kommunikation besteht
dann darin, kongruente Metaphern zu wählen und die eigene Weltsicht
schlüssig zu präsentieren.
Die zweite Erkenntnis wiegt schwer: Frames lassen sich nicht negieren.
Schreibt man etwa „Das Boot ist nicht voll“, macht man ungewollte
Werbung für die Weltsicht, der man eben widersprechen möchte. Wehlings
Leistung geht über die genaue Analyse von allgegenwärtigen Schlagwörtern
und die konzise Einführung in die relevanten Konzepte der
Kognitionswissenschaften weit hinaus. Sie legt ein beherztes Plädoyer
für die aktive sprachliche Vermittlung der eigenen Überzeugungen im
politischen Diskurs vor. Von ihr lernen wir, dass ein ewiges Verteidigen
gegen hetzerische Parolen nichts bringt. Wer seine Weltsicht
propagieren will, muss das mit aktiv gestalteter Botschaft tun.
FALTER 26/2016 vom 01.07.2016 (S. 16)
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