teleschau: In dieser Diskussion wird aber auch oft darauf verwiesen, dass man den Dialog suchen sollte ...
Tarek: Ganz ehrlich, ich bin nicht die Wohlfahrt. Es ist nicht meine Aufgabe, einen Rechten davon zu überzeugen, dass er ein Unmensch ist und zu dämlich, um die gesamtpolitischen Zusammenhänge zu begreifen. Ich rede nicht mit Rechten - im Gegenteil. Ich denke, der eine oder andere hat eine Tracht Prügel dafür verdient, dass er aus Angst, seine Lebensumstände könnten sich verschlechtern, die Augen davor verschließt, dass das Mittelmeer ein Friedhof ist. Es geht ihm ja nicht einmal unbedingt schlecht. Das sind für mich irgendwelche verwöhnten Menschen. Sobald du deinen Horizont erweiterst, indem du zum Beispiel reist, nimmst du Vielfalt als Bereicherung und nicht als Bedrohung wahr.
teleschau: Reisen ist aber auch hierzulande für viele Menschen ein Privileg.
Tarek: Ja gut, aber wer ist schuld daran, dass du nicht reisen kannst? Die Person, die unter Einsatz ihres Lebens in einer Nussschale übers Mittelmeer verschifft wird? Diese Menschen hatten vor der Flüchtlingskrise keinen Cent mehr in der Tasche. Das ist Treten nach unten und nicht Anpacken an der Wurzel des Übels.
"Beleidigungen und Angebereien kann ich sehr gut"teleschau: Nach 15 Jahren als Teil der Gruppe K.I.Z. erscheint mit "Golem" Ihr erstes Soloalbum. Wann und warum entschieden Sie sich zu diesem Alleingang?
Tarek: Ich habe mich 2017 dazu entschlossen. Nach dem Tod meines Vaters wuchs in mir der Wunsch, mir diesen Jugendtraum zu erfüllen. Der Gedanke war eigentlich auch schon immer da, und als mir klar wurde, dass wir alle nur eine begrenzte Zeit hier haben, ging ich es an. Ich würde es bereuen, wenn ich diesen Punkt auf der To-do-Liste nicht abgehakt hätte.
teleschau: Es heißt ja immer, für das erste Album habe man ein ganzes Leben lang Zeit. Wie näherten Sie sich dieser Aufgabe?
Tarek: Es gibt ja bestimmte Themen, die man auf dem ersten Album behandeln kann. Das sind oft die persönlichen Geschichten: Sachen aus der Kindheit, die Beziehung zu den Eltern, Erfahrungen aus Liebesbeziehungen und solche Dinge. Ich habe das erst einmal nur für mich umgesetzt. Das Interessante ist dann, was man daraus macht. Sind es Plattitüden oder schaffst du es, etwas Originelles entstehen zu lassen? Abstrakte Songthemen berühren mich selten und ich glaube, die meisten anderen Hörer auch nicht. Man kann natürlich einen Song aus der Sicht einer chinesischen Winkekatze machen, aber das interessiert im Zweifelsfall nur einen ganz kleinen Teil der Hörer. Ich sage mal so: Wenn man das Bedürfnis hat, noch ein zweites Soloalbum zu machen, muss man sich geistig auf jeden Fall etwas mehr anstrengen (lacht). Ich hatte hier das Glück, erst einmal die Palette der Grundemotionen bedienen zu können.
teleschau: "Hurra, die Welt geht unter", das letzte K.I.Z.-Album von 2015, war nicht nur Ihr erstes Nummer-eins-Album, sondern schlug auch oft erwachsene Töne an, so wie es jetzt auch auf "Golem" passiert.
Tarek: Ja, das stimmt teilweise. Wir hatten viele Themen und Konzeptsongs auf dem Album und gingen ein bisschen weg von den Themen eines klassischen Rap-Albums. Auf Rap-Alben finden sich häufig Battle- und Representer-Songs, in denen es nur um das eigene Ego und die Crew geht. Das haben wir zwar auch gemacht, aber oft im Rahmen einer größeren Geschichte. "Golem" konzentriert sich auch mehr auf Konzeptsongs. Beleidigungen und Angebereien kann ich sehr gut, und das werde ich sicher auch immer mal wieder machen, aber auf meinem ersten und vielleicht einzigen Album wollte ich dem nicht so viel Platz einräumen. Es war mir wichtig, dass ich da noch etwas mehr vermittle, wenn ich das meiner Familie zeige.
"Durch meine Worte habe ich jetzt meinen eigenen 'Golem' erschaffen"teleschau: Ihr Image war innerhalb der Band bislang eher das des Provokateurs, da sie auch Einflüsse aus dem HipHop-Subgenre Horrorcore mitbringen, das Motive und Bilder aus Horrorfilmen aufgreift. Auf "Golem" finden sich allerdings nur wenige Horror-Einflüsse.
Tarek: Am Anfang experimentierte ich eher mit Punkrock. Irgendwann bemerkte ich aber, dass mir das zu engmaschig ist für ein Album. Ich hatte vier, fünf Lieder geschrieben, die zwar auch kein Horrorcore waren, aber deutlich härter als das, was jetzt auf "Golem" passiert. Ich stellte jedoch fest, dass es eigentlich viel schockierender ist, wenn ich als Rapper etwas mache, das nicht schockiert, und "Schwäche" zeige. Wobei ich es persönlich für eine Stärke halte, wenn man Schwäche zeigt und über persönliche Dinge spricht wie Ängste, Drogensucht, Beziehungsunfähigkeit, die eigene Kindheit und ähnliches. Vor ein paar Jahren hätte ich sicher eher ein hartes Rap-Album gemacht. Sollte ich ein zweites Album machen, wird es vermutlich auch in diese Richtung gehen. Aber ich weiß aktuell nicht, ob ich mir das noch einmal alles antun werde.
teleschau: Wie kamen Sie zu dem Albumtitel "Golem"?
Tarek: Ich beziehe mich hier in erster Linie auf die Sage des Prager Golems, der aus Worten erschaffen worden sein soll. Er symbolisiert mein Werk als solches. Durch meine Worte habe ich jetzt meinen eigenen "Golem" erschaffen. Wenn man eine Neigung zu düsteren Gedanken und einem eher dunklen Soundbild hat, wird es zwangsläufig eher finster. Ich finde, Kunst muss auch immer etwas Zerstörerisches haben. Daher fand ich das Sinnbild des Golems interessant, um das Album zu beschreiben, weil es dort ja auch um Zerstörung und Chaos geht. Eigentlich ist das ein sehr negatives Bild, wenn ich es mir recht überlege (lacht).
teleschau: Ist es dennoch charakteristisch für Ihren allgemeinen musikalischen Ansatz?
Tarek: Das ist immer ein tragendes Element in meiner Musik gewesen. Ich trage eine gewisse Wut in mir. Das ist zum Beispiel die Wut auf die Gesellschaft, in der man sich nicht zu Hause fühlt. Die Konsequenz sind dann wohl aggressive Lieder, wofür du aber wiederum von vielen geliebt wirst. Das ist eigentlich total absurd. Ich fing nicht damit an, Musik zu machen, um geliebt zu werden, sondern eben aus dieser Wut heraus. Klar, es geht auch darum, Spaß zu haben und sich auszuprobieren, aber es ist irritierend, wenn du so positives Feedback auf solche eigentlich negativen Dinge bekommst und bemerkst, dass du gar nicht so ein Außenseiter bist, wie du angenommen hast. Das kann auch zu Depressionen oder Drogensucht führen - da kommt dann wieder der Golem ins Spiel.
"Dem Publikum ist es egal, wie es mir geht"teleschau: Die erste Veröffentlichung von K.I.Z. war "Das RapDeutschlandKettensägenMassaker" von 2005, das liegt inzwischen 15 Jahre zurück. Wie würde Ihr damaliges Ich auf dieses neue Album reagieren?
Tarek: Ich glaube, es würde ihm sehr gut gefallen. Aber was soll ich darauf auch anderes antworten (lacht)? Ich kenne mich dahingehend ganz gut und weiß, dass ich immer eher düstere Musik mochte. Ich höre ganz unterschiedliche Sachen, von Prince über Lykke Li bis Fleetwood Mac kommt da alles vor. Es ist meistens aber eher melancholische Popmusik. Das letzte Lana-Del-Rey-Album zum Beispiel gefiel mir extrem gut. Überraschenderweise habe ich da wohl eine Gemeinsamkeit mit meinem Freund und Labelkollegen Kummer, der Lana Del Rey auch als Inspirationsquelle für "KIOX" nannte. Das war auch ein wenig ernüchternd, weil ich dachte, ich wäre der Einzige in meiner Sparte, der sich auf sie bezieht.
teleschau: Wie reagierten Ihre Bandkollegen auf die Nachricht, dass Sie ein Soloalbum aufnehmen wollen?
Tarek: Sie haben mich unterstützt. Nico (Seyfrid, Anm. d. Red.) hat viel produziert und ein Feature auf "K.I.Z. für immer". Auch Maxim (Drüner, d. Red.) schrieb eine Strophe. Ich fragte mich anfangs, ob ich der Band damit schaden würde. Ein Soloprojekt ist ja auch eine andere Schiene. Aber Nico und Maxim fingen mich sehr gut auf und vermittelten mir, dass ich kein schlechtes Gewissen haben muss. Wir sind aber auch keine Zweckgemeinschaft, wir sind enge Freunde seit gut 20 Jahren. Das wird sich nicht ändern.
teleschau: Der Song "Frühlingstag" thematisiert die Zeit, als Sie Ihren Vater verloren. Fühlen Sie sich gegenüber Ihrem Publikum verpflichtet, Ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen?
Tarek: So sehr ich mich darüber freue, dass meine Musik angenommen wird: Ich empfinde eigentlich gar keine Verpflichtung. Ich weiß, dass es dem Publikum relativ egal ist, wie es mir geht. Die wollen unterhalten werden. Natürlich kann ein Künstler ohne Publikum nicht existieren, aber wenn du Wert auf Qualität legst, wird das immer ein Publikum finden. Es ist recht egal, ob das 100 oder 100.000 werden. Mir geht es darum, dass die Songs für mich stimmen. Das kann auch krankhaft werden und dazu führen, dass du dich in so einem Perfektionismus versteifst. Ich habe auch den Eindruck, dass die Songs, an denen ich am längsten gearbeitet habe, selten die Lieder sind, die am besten ankommen.
"Die wirklich großen Künstler sind in Deutschland oft Fließbandarbeiter"teleschau: Viele Rapper reagieren auf die neue Schnelllebigkeit des Musik-Marktes, indem sie sich auf Singles konzentrieren. Der Fokus auf ein Album als künstlerische Form ist eher traditionell. Sie hängen trotzdem an diesem Format?
Tarek: Das Albumformat stirbt langsam, das stimmt. Es geht heute eher um deine Persönlichkeit und darum, wie du dich vermarktest. Die wirklich großen Künstler sind in Deutschland oft Fließbandarbeiter und haben dann eher guten Content auf Social Media, statt mit einem durchkonzipierten Album hervorzustechen. Ich glaube aber immer noch, dass sich musikalische Qualität am Ende durchsetzen wird.
teleschau: In "Bang Bang" greifen Sie diese Entwicklung auf, indem Sie sich musikalisch dem aktuellen Pop-Zeitgeist annähern. Man könnte den Song auch als Persiflage auf den heutigen Playlist-Pop auslegen. Wie nehmen Sie die Entwicklung hin zum Streaming wahr?
Tarek: Wenn du dir live Mühe gibst und dir ein Publikum erspielst, ist es doch egal, ob es Streaming gibt. Einen Live-Auftritt kannst du nicht streamen. Man kann das alles als Entwertung des Albums ansehen, ja, aber was soll's? Ein Künstler kann heute auch jeden Monat einen erfolgreichen Einzelsong droppen und davon sehr gut leben. Das ist vermutlich sogar wirtschaftlicher, als eine komplette Albumproduktion im Vorlauf zu haben. Außerdem kommen viele Künstler heute wirklich direkt von der Straße. Sie müssen nicht mehr an den Gatekeepern vorbei und in Musikmagazinen stehen, Labels erreichen oder die Radiostadionen durchlaufen.