Wegen der Corona-Krise müssen die EU-Staaten Schulden in schwindelerregender Höhe aufzunehmen. Ihre Rückzahlung könnte zu einer riesigen Belastung werden!
„Europas Einheit könnte gefährdet werden, wenn sich die Menschen in den besonders betroffenen Staaten auf Dauer alleingelassen fühlen“, mahnt nun der Ökonom Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) im BILD-Gespräch.
Deshalb sollen Hilfsinstrumente her! Mit diesen soll sich Europa gemein aus der finanziellen Krise manövrieren. Das Ziel dabei: besonders den Staaten finanziell unter die Arme greifen, die extrem von Corona betroffen sind. So soll die Einheit der EU gesichert werden.
Matthes erklärt im Interview mit BILD, welche die möglichen Hilfsinstrumente der EU sind und welche laut seiner Forschung am besten abschneiden. Gemeinsam mit dem Geldpolitik-Fachmann des IW, Markus Demary, hat er dem Thema eine Studie gewidmet.
Instrument 1: Corona-Bonds
Die Einführung von sogenannten Corona-Bonds wurde einigen deutschen Experten vorgeschlagen und auch in anderen EU-Ländern gefordert. Gemeint sind damit Gemeinschaftsanleihen aller EU-Staaten. Sie sollen hoch verschuldeten Ländern wie Italien hohe, risikobedingte Aufschläge auf Zinsen ersparen.
Neun der 27 EU-Staaten setzen sich für die Bonds ein. Länder wie Deutschland oder die Niederlande lehnen sie bisher jedoch ab. Sie fürchten vor allem, dass sie am Ende für die Schulden der anderen Länder zahlen müssen.
Sind sie sinnvoll?
• Contra: Corona-Bonds brächten hohe Haftungsrisiken für Deutschland mit sich. Denn: Die Gemeinschaftshaftung bei den Corona-Bonds dürfte nicht begrenzt sein, falls andere Zahler ausfallen. Zudem wird vorgeschlagen, dass ein Teil der Hilfen als Transfers gegeben werden, die nicht zurückgezahlt werden müssten. Auch wären die Bonds „erst nach einem politischen Beschluss und technischen Vorbereitungen verfügbar, was bei schnellen politischen Entscheidungen aber vertretbar wäre“.
• Pro: „Corona-Bonds haben viele Vorteile: Sie ermöglichen sehr niedrige Zinsen, Transferelemente und langfristige Rückzahlungsfristen, was die Schuldentragfähigkeit der betroffenen Staaten schont“, sagt Matthes. Zudem sollen sie in einem großen Volumen von 1000 Milliarden Euro einmalig aufgenommen werden. Geldpolitik-Experte Demary will die Bonds nur als „absolute Ausnahme in der Corona-Krise“ zulassen. Matthes und Demary halten diese Strategie deshalb für am sinnvollsten.
• Fazit: „Das Haftungsrisiko wiegt schwer. Doch Deutschland sollte hier Verantwortung übernehmen, um mit den besonders betroffenen Staaten umfassende Solidarität zu üben und Europa zusammenzuhalten“, sagt Matthes.
Instrument 2: Bedingungslose Kredite
Der Euro-Rettungsschirm, genauer der sogenannte Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), könnte Hilfskredite weitgehend konditionslos vergeben.
Die einzigen Bedingungen sollen dann – ähnlich wie bei den Corona-Bonds – sein, dass die Verwendung der Mittel rein krisenbezogen ist und der Kredit auch fristgemäß bedient und zurückgezahlt wird. Dabei gibt es zwei mögliche Kreditlinien:
► Kredite bis zu maximal zwei Jahren: Für diese Methode soll auf eine bestehende Kreditlinie des ESM gesetzt werden: die „Enhanced Conditions Credit Line“ (ECCL).
► Spezifische Corona-Kredite: Alternativ wird vorgeschlagen, eine neue spezifische Corona-Kreditlinie zu schaffen, die Covid Credit Line. Sie soll ähnlich konditionsarm sein, aber sehr lange Laufzeiten haben.
Wie sinnvoll ist die Methode?
• Contra: Die Restkapazität des ESM ist mit 410 Milliarden Euro begrenzt und dürfte wohl nicht ausreichen, falls sie nicht erhöht wird. Auch fürchten die Kreditnehmer – trotz der wenigen Auflagen – ein Stigma, weil der ESM bisher nur im meist selbst verschuldeten Krisenfall geholfen hat. Zudem steigen bei beiden Lösungen die Schulden der Eurostaaten im vollen Ausmaß der ESM-Kredite, weil keine Transfers vorgesehen sind. Bei der ECCL ist fraglich, ob die weitgehende Bedingungslosigkeit der Kredite wirklich nur für den Corona-Fall gilt. Die eigentlich vorgesehenen Reformauflagen der ECCL müssen nämlich gelockert werden. Das könnte zu einem Präzedenzfall werden.
• Pro: Wie Corona-Bonds hat auch die Covid Credit Line lange Laufzeiten. Bei der ECCL ist das in ihrer ursprünglichen Konzeption eigentlich nicht angedacht, aber wohl trotzdem machbar. Die ESM-Hilfen wären wohl etwas niedriger verzinst als Corona-Bonds. Außerdem ist die Haftung Deutschlands auf 190 MiIliarden Euro begrenzt.
• Fazit: Matthes und Demary halten die Kredit-Methoden des ESM nicht für ganz so zielführend wie die Corona-Bonds. Vor allem die begrenzte Hilfssumme sowie die Sorgen um ein Stigma – und einen Präzedenzfall bei der ECCL – spielen bei ihrem Urteil eine wichtige Rolle.
Instrument 3: Notfall-Kaufprogramm
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat mit dem sogenannten Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) bereits Mitte März ein neues Programm aufgelegt.
Mit ihm sollen zusätzliche Wertpapierkäufe des Eurosystems von bis zu 750 Milliarden Euro getätigt werden – bis mindestens Ende 2020. Der Umfang ist noch aufstockbar.
Wie sinnvoll ist die Methode?
• Contra: Bei dem PEPP nehmen die Eurostaaten selbst weiter Schulden auf und der Schuldenanstieg wird nicht wie bei Corona-Bonds durch einen möglichen Transfer begrenzt. Auch sind die Schulden nicht langfristig. Zudem sind die Zinsen etwas höher als beim ESM und bei den Corona-Bonds und könnten trotz EZB-Käufen auch weiter steigen. Außerdem kann die EZB nicht kontrollieren, ob die Staaten die neuen Mittel nur für Krisenzwecke verwenden.
• Pro: Das PEPP wäre schnell einsetzbar, weil keine neuen Strukturen aufgebaut werden müssen. Außerdem ist das Risiko für Deutschland indirekt über die EZB-Bilanz abgefedert. Die EZB hat theoretisch unbegrenzte Feuerkraft, aber ihr rechtliches Mandat setzt ihr Grenzen.
• Fazit: Die EZB begrenzt die Schuldenlast weniger und könnte schnell ihre rechtlichen Grenzen erreichen. Demary hält das PEPP deshalb allenfalls als Ergänzung für Corona-Bonds für sinnvoll.
Instrument 4: Arbeitslosen-Rückversicherung
Die Europäische Kommission hat eine sogenannte Rückversicherung für die nationalen Arbeitslosenversicherungen der Mitgliedstaaten vorgeschlagen.
Durch ein Darlehen soll die Unterstützung von Kurzarbeit ermöglicht werden.
Wie sinnvoll ist das Instrument?
• Contra: Matthes und Demary sorgen sich, dass die Kommission durch die Maßnahmen „die Tür für ihren bislang nicht konsensfähigen Vorschlag für eine dauerhafte europäische Arbeitslosenrückversicherung öffnen will und man die Tür am Ende nicht wieder zu bekommt.“
• Pro: Die geplanten Kurzarbeitshilfen setzten jedoch „ökonomisch an einer richtigen Stelle an.“
• Fazit: Der Vorschlag solle „die Kriterien für die Inanspruchnahme klarer definieren und vor allem explizit machen, dass das Hilfsinstrument nur befristet ist“, sagen die Experten.
Wann wird sich auf eine Lösung geeinigt?
„Aus politischer Sicht steigt der Handlungsdruck, weil die südeuropäischen Staaten dringend einen Akt der Solidarität erwarten“, erklärt Matthes.
Aus ökonomischer Sicht sei der Handlungsbedarf jedoch noch nicht so groß, „weil die Risikoprämien für italienische Staatsanleihen durch die EZB noch in Schach gehalten“ würden. Ob das jedoch weiter gelinge, wenn Italien mehr Schulden aufnehmen müsse, hält Demary für fraglich.
Viel Zeit sei jedoch nicht mehr, meint Matthes: „Spätestens wenn die Risikoprämien trotz EZB-Interventionen deutlich steigen, muss ein Instrument zur Verfügung stehen.“
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