Felix Huesmann

Reporter im Hauptstadtbüro des RedaktionsNetzwerks Deutschland, Berlin

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Sie kämpften 4 Jahre, jetzt verlieren die Angestellten eines Berliner Hostels ihre Arbeit

Vier Jahre lang haben die Angestellten des Wombat's-Hostels in Berlin gekämpft. Für mehr Lohn, für bessere Arbeitsbedingungen und das Recht auf Mitbestimmung. Jetzt verlieren sie alle ihre Jobs. Obwohl das Hostel Gewinne einfährt, wird es Ende August geschlossen. Der Grund: Die unbequeme Belegschaft.

Als Raphael K.* sich mit seinen Kollegen zusammenschloss, um einen Betriebsrat zu gründen, wusste er noch gar nicht, was das eigentlich genau heißt. Und vor allem wusste er nicht, welcher Stress auf ihn zukommt. "Wir sind ein bisschen ins kalte Wasser gesprungen", sagt er heute lachend.

Gut vier Jahre später ist der 36-Jährige Betriebsratsvorsitzender und jongliert mit Paragraphen, als wäre es seine zweite Natur. Aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Vor allem aber aus dem Betriebsverfassungsgesetz. Heute steht er vor seiner Arbeitsstelle auf der Straße und spricht zu ein paar Dutzend Menschen, die gegen die Wombat's-Chefs protestieren.

"Mit der Betriebsratsgründung fing der Konflikt eigentlich schon an"

Diese Chefs waren von der Idee, dass sie es fortan mit einem Betriebsrat zu tun haben, nämlich gar nicht begeistert. Das Berliner Wombat's-Hostel ist Teil einer Kette, die auch Hostels in Wien, Budapest, London und München betreibt. Einen Betriebsrat gab es zu diesem Zeitpunkt im Jahr 2015 in keinem davon. Angefangen hatte das Unternehmen Ende der 90er Jahre mit einem einzigen Haus in Wien, seitdem wurde es immer größer. Die Berliner Angestellten wollten bei diesem Prozess nicht hintenan stehen. "Wir hatten zusehends das Gefühl, dass unsere Stimme nicht mehr gehört wird", sagt Raphael.

Ein Betriebsrat kann da Abhilfe schaffen. Er hat Mitspracherechte und muss vom Unternehmen über anstehende Änderungen informiert werden. Auf Betriebsversammlungen können Themen wie Arbeitszeiten und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz diskutiert werden. Nicht nur im kleinen Kollegenkreis beim Mittagessen, sondern von der gesamten Belegschaft. Kurzum: Ein Betriebsrat stellt im Machtgefälle zwischen Chefs und Angestellten zumindest ein bisschen Gleichgewicht her.

"Mit der Betriebsratsgründung fing der Konflikt eigentlich schon an", sagt Raphael. "Wir haben einen Aushang gemacht und unsere Kolleginnen und Kollegen zur Wahlversammlung eingeladen. Und direkt mit dem Aushang kam der erste Gegenwind von der Geschäftsführung." Die beiden Wombat's-Gründer reagierten mit einem offenen Brief an die Berliner Mitarbeiter.

Dieser Brief liegt watson vor. Darin heißt es: "Die Gründung eines Betriebsrates halten wir für einen Schritt in die falsche Richtung, denn er dient ausschließlich dazu, einzelnen Mitarbeitern (nämlich denen, die in so einen Betriebsrat gewählt werden) sich hinter einem besseren Kündigungsschutz (als ihn alle anderen genießen) zu verstecken [...]".

Die geplante Betriebsratsgründung sei für sie "eine Enttäuschung" und ein Entzug des Vertrauens. Dadurch würden sich die Mitarbeiter außerhalb der Werte stellen, "die von Anfang an Wombat's ausgezeichnet haben."

Die Wombat's-Gründer drohten ihren Mitarbeitern:

Eine weitere Passage aus dem offenen Brief empfindet Raphael sogar als Aufruf seiner Chefs, die Betriebsrats-Gründer aus dem Unternehmen zu mobben. Darin heißt es: "es liegt an euch hier und jetzt Verantwortung FÜR ALLE zu übernehmen und dieses Vorhaben abzublasen, oder EINZELNEN von euch die Möglichkeit zu geben sich hinter dem deutschen Arbeitsrecht zu verkriechen und euer gewohntes Arbeitsumfeld nachhaltig zu gefährden."

Der Betriebsrat wurde trotzdem gewählt. "Viele Leute haben sich auf den Betriebsrat gefreut", sagt Raphael. "Wir haben im Hostel viel darüber gesprochen und alle waren aufgeregt." Was ihm besonders wichtig ist: Auch die Frauen aus dem Reinigungsteam des Hostels haben sich auf die Mitbestimmung gefreut. "Uns war es wichtig, die stärker mit einzubinden, weil die vorher so ein Schattendasein gefristet hatten. Wir wollten, dass auch deren Stimme gehört wird." Der offene Brief der Geschäftsführung habe zwar für Verunsicherung gesorgt. Stoppen konnte er die Gründung des Betriebsrats aber nicht.

Mobbing-Vorwürfe und Penis-Graffiti

Der Streit fing damit jedoch erst richtig an. Das Arbeitsklima veränderte sich nach der Betriebsrats-Gründung tatsächlich. Raphael spricht von Mobbing seitens der Hostel-Manager. Seit 2015 hätten die versucht, ihnen die Arbeit so unangenehm wie möglich zu machen. Ein absurder Höhepunkt des Streits schaffte es im März 2019 bis in die Boulevardpresse: Neben Kreideslogans, die der Betriebsrat aus Protest auf die Straße vor dem Hostel gesprüht hatte, tauchte über Nacht ein gesprühter Penis auf. An anderer Stelle stand: "Fuck U Betriebsrat", "Cunt" und "Cocksucker".

Raphael sagt: Das waren Mitarbeiter des Wombat's-Managements. Eine Kollegin habe in der Nachtschicht gesehen, wie sie die Straße besprüht hätten und habe ihren Kollegen am nächsten Morgen davon erzählt. Als Betriebsratsvorsitzender erstattete Raphael deshalb Anzeige bei der Polizei, unter anderem wegen Beleidigung. Den Beamten gegenüber habe die Kollegin dann jedoch gesagt, sie habe nichts gesehen.

watson hat das Unternehmen mit den Vorwürfen konfrontiert, aber keine Antwort bekommen. Der " Bild" sagte es im März jedoch: "Dieses nicht enden wollende Vorgehen des Betriebsrates hat zu einem tiefen Riss in der Wombats-Belegschaft geführt, wodurch es möglicherweise am vergangenen Freitag zu Besprayungen der Straße auch durch einzelne Wombats-Mitarbeiter gekommen sein könnte."

Streiks in Minutenlänge

Der zweite große Streitpunkt nach der Betriebsratsgründung folgte rund zwei Jahre später, im Jahr 2017. Die Berliner Wombat's-Mitarbeiter wagten den nächsten Schritt. Sie forderten einen Tarifvertrag. Der würde mehr Geld bedeuten, mehr Urlaubsanspruch und letztendlich mehr Sicherheit. Gemeinsam mit der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) versuchten sie, Verhandlungen mit dem Unternehmen aufzunehmen. Das blockte abermals ab.

Die Wombat's-Belegschaft gab wieder nicht klein bei. Ein großer Teil der Mitarbeiter sei mittlerweile in der Gewerkschaft gewesen, erzählt Raphael. Sie zogen in den Arbeitskampf. Das Mittel der Wahl, wenn sich Gewerkschaften und Unternehmen nicht auf einen Tarifvertrag einigen können, sind Streiks.

"Wir haben sehr oft streiken müssen", erinnert sich der Betriebsratsvorsitzende. Rund zehn Warnstreiks habe es gebraucht. Das waren keine langen Streiks, die längsten haben mehrere Stunden gedauert. Manche wurden schon nach einigen Minuten wieder beendet. "Wir hatten auch mal drei Streiks an einem Tag."

Wie ein Streik in einem Hostel aussieht? So zum Beispiel:

Ein Jahr der Streiks und Proteste zahlte sich schließlich aus - zumindest für's Erste: Das Unternehmen gab nach. Das Berliner Hostel war nun an den Flächentarifvertrag der Gewerkschaft NGG angebunden. Ein großer Erfolg für die Belegschaft und ein einsames Vorbild in der Hostel-Branche.

Nach dem Tarifvertrag kam das Outsourcing

Freuen konnte sich der Betriebsrat darüber jedoch kaum. Denn mit dem Tarifvertrag kam für die Angestellten die nächste schlechte Nachricht: Das Unternehmen kündigte an, die Reinigungskräfte auszugliedern. "Outsourcing ist in Deutschland trauriger weise ein sehr verbreitetes Phänomen", sagt Raphael. Nicht nur Hostels wie das Wombat's tun das. Auch öffentliche Betriebe und Schulen machen mit - gerade wenn es um Reinigungspersonal geht.

Für die Reinigungskräfte des Wombat's bedeutete das: Sie waren nicht mehr Angestellte des Unternehmens, sondern arbeiten seitdem für einen Kleinbetrieb, der ihre Dienste an das Hostel verkauft. Der gerade abgeschlossene Tarifvertrag gilt für sie nicht mehr. In Kleinstbetrieben gibt es außerdem keinen Kündigungsschutz. "Die Schwächsten werden auch noch bestraft", fasst Raphael zusammen.

Der Betriebsrat wollte das nicht hinnehmen, konnte aber auch nichts dagegen tun. Außer zu protestieren. Und das taten sie. Immer und immer wieder. Mit Kreide auf dem Bürgersteig und der Straße. Mit Kundgebungen vor dem Hostel. Die Mitarbeiter wurden dabei von Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Initiativen und vor allem von Angestellten aus anderen Betrieben unterstützt.

Und sie erzielten immer mehr Publicity. So viel, dass die Wombat's-Besitzer schließlich die drastischste Maßnahme trafen, die sie treffen konnten: Sie kündigten an, das Berliner Hostel am 31. August 2019 dicht zu machen.

Jetzt wird das Hostel geschlossen

Es war erneut ein offener Brief, in dem das Unternehmen seinen Angestellten mitteilte, dass sie alle ihre Jobs verlieren. Das Hostel sei zwar wirtschaftlich erfolgreich. Aufgrund der schlechten Presse und der "offenen Feindschaft innerhalb und außerhalb" des Hostels, seien die Wombat's-Gründer aber zu dem Schluss gekommen, dass sie das Hostel nicht länger betreiben können.

Vier Jahre Arbeitskampf, und jetzt stehen sie alle vor dem Aus. Für die Wombat's-Angestellten ein Schock. Aber nicht das Ende ihrer Proteste. Sie machen weiter, sind immer noch laut und unbequem.

Am 12. Juni stehen etwa 20 von ihnen erneut vor dem Hostel auf der Straße. Zwischen ihnen und ihrem Arbeitsplatz sind nun Polizei-Gitter aufgestellt, Polizisten haben die Straße mit Mannschaftswagen abgesperrt. Auch ein paar Dutzend Unterstützer sind gekommen. Ein U-Bahn-Fahrer der Berliner Verkehrsbetriebe etwa. Auch dort wurde im vergangenen Jahr gestreikt. Eine Gewerkschaftssekretärin der NGG erzählt vom Arbeitskampf, den sie gegen die Essens-Lieferdienste Deliveroo und Foodora geführt haben. Und ein Aktivist berichtet von den Leiden der Reinigungskräfte in spanischen Hotels.

Aus dem Arbeitskampf wurde politischer Aktivismus

Für Raphael sind die letzten vier Jahre deshalb auch ein Erfolg. "ich glaube, dass sich das gelohnt hat", sagt er.

Die ganze Belegschaft sei an den Verhandlungen, Streiks und Protesten gewachsen. Das Wombat's-Hostel werden sie nun nicht mehr retten können. Doch es geht vielen von ihnen längst um mehr. "Der Arbeitskampf und die Entscheidung, das Hostel zu schließen, sind Ausdruck einer gesellschaftlichen Schieflage", sagt Raphael. "Ich denke, dass Arbeiter die Möglichkeit haben müssen, dem etwas entgegen zu setzen."

Die Geschichte der Wombat's-Mitarbeiter ist für ihn nur ein Fall von vielen. Er fordert nun politische Lösungen. Und er hat auch schon eine Idee, wie die aussehen könnten. In Italien gebe es ein Vorkaufsrecht für Arbeiterinnen und Arbeiter. "Wenn ein Unternehmer keine Lust mehr hat und einen Betrieb nicht mehr weiterführen will, dann haben die Angestellten die Möglichkeit, diesen Betrieb zu übernehmen." Das würde Raphael auch in Deutschland gerne sehen. "Und ich finde auch, man könnte über die Vergesellschaftung solcher Betriebe reden", ergänzt er. "Die Enteignung von Wohnraum ist ja gerade in aller Munde. Da sollte man auch darüber nachdenken, welche Form der Bestrafung es für sozialschädliche, kriminelle Unternehmer braucht."

*Der vollständige Name ist der Redaktion bekannt. watson hat die Wombat's-Hostel-Kette mit den Vorwürfen des Betriebsrats konfrontiert. Das Unternehmen hat auf diese Anfrage jedoch nicht geantwortet-
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