Felix S. Schulz

Referent für politische Kommunikation

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Artikel

(Fast) vergessene Konflikte: Kamerun

Stefan Liebich & Felix S. Schulz


Kamerun ist ein Land im Bürgerkrieg. Englischsprachige und französischsprachige Kameruner im südlichen Teil des Landes befinden sich in jahrzehntelang schwelenden Konflikten, in denen seit einigen Jahren die Gewalt sich Bahn bricht. Rund 250.000 Menschen aus der Zentralafrikanischen Republik haben dort Zuflucht gesucht, im Norden terrorisiert die islamistische Gruppe Boko Haram die Bevölkerung. Wie konnte es dazu kommen?


Die Geschichte des Konfliktes

Seit 1844 eine deutsche Kolonie, wurde das Territorium Kameruns nach dem Ersten Weltkrieg Mandatsgebiet Großbritanniens und Frankreichs. 1960 erklärte der französische Teil Kameruns seine Unabhängigkeit, einige Monate später ging das britische Nordkamerun in das Staatsgebiet von Nigeria über, ein Jahr später gliederte sich der britisch verwaltete Teil von Südkamerun nach einer Abstimmung in das Gebiet des neuen Staates Kamerun ein.


Zwischen den anglophonen Kameruner*innen im Süden des Landes und den frankophonen Kameruner*innen im Rest des Landes herrschen seit Staatsgründung Konflikte. Mit der Neuziehung der Grenzen im Jahre 1972 wurden zwei verschiedene Volksgruppen mit unterschiedlichen sprachlichen und kulturellen Hintergründen in einem Land vereinigt, wenngleich mit einer zweisprachigen Verfassung. Doch der Föderalismus wurde abgeschafft, das ganze Land wurde ausschließlich nach der Hauptstadt Yaoundé ausgerichtet. Das Fünftel Anglophoner sah sich einer Diskriminierung ausgesetzt, insbesondere durch Behörden, die, wie die Regierung, frankophon dominiert sind. Dies führte zum Anwachsen einer anglophonen, separatistischen Bewegung. Inzwischen hat der Aufstand schätzungsweise 3.000 Todesopfer gefordert, mehr als eine halbe Million Bewohner mussten Haus und Hof verlassen. Der Präsident erklärte einige Zeit später einen Krieg gegen den Südwesten und Nordwesten seines eigenen Landes.


Sieben mal Sieben

Im Oktober 2018 wurde Paul Biya (86), bereits seit 1982 im Amt, zum siebten Mal für eine siebenjährige Amtszeit zum Staatsoberhaupt gewählt. Am Wahltag kam es zu Schießereien und Ungereimtheiten: in einigen Wahlbezirken wurde nicht gewählt, in anderen Regionen, die teils stark unter Boko-Haram-Terrorangriffen leiden, wählten laut offizieller Angabe 89 Prozent der Menschen den Präsidenten wieder. Im ganzen Land soll er rund 71 Prozent der Stimmen erhalten haben. Diese Zahlen können nicht stimmen. Vor der Bekanntgabe der Ergebnisse wurden facebook, WhatsApp und andere Internet-Dienste blockiert, Oppositionelle an dem Verlassen ihrer Häuser gehindert und bewaffnete Polizisten eingesetzt.


Und dann regierte Biya weiter. Drei Viertel der Bevölkerung haben in ihrem Leben nie einen anderen Präsidenten als Biya erlebt, der aufgrund seiner undurchsichtigen Art auch „die Sphinx" genannt wird. Er steht vor allem aufgrund seines drastischen Kurses gegenüber dem anglophonen Teil in der Kritik. Sämtliche hohe Ämter seiner Regierung sind mit frankophonen Politikern besetzt.


Anglophon gegen frankophon

Als die anglophonen Separatisten an Macht gewannen und sich organisierten - sie wollen eine Abspaltung ihres Landesteils und eine eigenständige Nation namens „Ambazonien" - entsandte die Regierung vermehrt französischsprachige Professor*innen, Lehrer*innen und Richter*innen in den Teil des Landes. Diese beherrschten weder die englische Sprache, noch kannten sie das angelsächsische Rechtssystem. Justiz und Bildung sind eng an das britische System angelehnt und weisen frappierende Unterschiede zu den im restlichen Teil des Landes etablierten Strukturen auf. Ein Großteil der englischsprachigen Bevölkerung begriff diese Schritte als gezielten Versuch, ihren Landesteil zu vereinnahmen und fühlte sich unter anderem bei Behördengängen diskriminiert. War einige Jahrzehnte eine friedliche Koexistenz möglich, so ist die Situation jedoch seit drei Jahren massiv angespannt. Als im Jahr 2016 Jurist*innen zu Protesten gegen die Regierung aufriefen und die Rechte des anglophonen Teils Kameruns einforderten, reagierte die Zentralregierung mit Gewalt. Das Militär wurde eingesetzt, um Protestierende zu verhaften - manche wurden erschossen. Das führte zu weiteren Protesten einer breiteren Masse und einer Spirale der Gewalt. Militärs fielen über Städte und Dörfer her, brandschatzen, mordeten, vergewaltigten. Ganze Dörfer, die laut Regierung „Sezessionisten" beherbergen würden, wurden niedergebrannt, die Bevölkerung flüchtete sich in umliegende Wälder. Vor dem Hintergrund dieser Gewaltausbrüche radikalisierten sich Teile der englischsprachigen Bevölkerung weiter und reagierten mit Racheakten. Teilweise ganze Landstriche sind nicht mehr von der Zentralregierung kontrollierbar.


Aber auch andere Bedrohungen sind für viele Menschen Realität. Homosexualität steht unter Strafe und sieht eine Gefängniszeit von bis zu fünf Jahren vor. Nach Berichten von Human Rights Watch sind Flüchtlinge in Grenzregionen oftmals Gewalt und Folter von Militärs ausgesetzt.


Das Land im Querschnitt

Unter den Staaten der zentralafrikanischen Regionalorganisation CEMAC ist Kamerun wirtschaftlich immer noch am Stabilsten aufgestellt und will bis 2035 Schwellenland werden. Die Stadt Douala verfügt über einen Hafen, der nicht nur für Kamerun, sondern auch für den Tschad und Zentralafrika, Binnenländer ohne Seezugang, von essentieller Bedeutung ist. Rohöl und Holz, aber auch landwirtschaftliche Produkte wie Kakao und Baumwolle, gehören zu den Hauptexporten. Doch ein reiches Land ist nicht gleichbedeutend mit einer reichen Gesellschaft. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze des Landes, insbesondere zeigen sich große Einkommensdisparitäten zwischen dem reichen Süden und dem armen Norden. Auch die einstige Monopolstellung bei vielen Exportprodukten bröckelt. Privatisierungen kosteten Jobs und führten zu enormen Profiten für großenteils ausländische Investoren. Es herrscht ein erheblicher Investitions- und Reformstau, und das Wirtschaftswachstum reicht nicht aus, um der Armut etwas entgegenzusetzen. 80 Prozent der Bevölkerung Kameruns ist jünger als 35 Jahre, im Land leben rund 25 Millionen Einwohner - oft ohne Perspektiven. Weniger als fünf Prozent der Einwohner haben überhaupt ein Bankkonto.


Was tut Deutschland?

Deutschland gehört zu den wichtigsten entwicklungspolitischen Förderern Kameruns. 2016 wurden Mittel in Höhe von 125,5 Millionen Euro bereitgestellt, 2017/18 weitere 23 Millionen Euro. Einer der Hauptschwerpunkte der Entwicklungshilfe ist der Themenkomplex "Gute Regierungsführung" (BMZ). Wie gut das klappt, mag der geneigte Wahlbeobachter entscheiden. Eine Umschichtung von Geldern der Entwicklungshilfe hin zu regierungsfernen Organisationen oder NGOs im Allgemeinen ist seitens der Bundesregierung derzeit nicht vorgesehen. 2018 wurde pyrotechnische Munition im Wert von über 270.000 Euro nach Kamerun exportiert. Ungeachtet der Menschenrechtsverstöße waren Spezialkräfte der Bundeswehr im Rahmen der Militärmission „Western Lion" an der Ausbildung kamerunischer Sicherheitskräfte beteiligt. Je zehn Soldaten gaben in mehreren Blöcken 50 Angehörigen der Gendarmerie ihre Erfahrungen weiter. Die Ausbildungsmission wurde als Geheimsache behandelt und erfolgte ohne Mandat des Bundestags - öffentlich wurde sie erst durch eine von mir gestellte Parlamentarische Anfrage. Es war abenteuerlich und falsch, dass die Bundeswehr Sicherheitskräfte in einem Land ausgebildet hat, in dem Bürgerkrieg herrscht. Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, dass keine militärischen Ausbildungs- oder Unterstützungsmissionen Deutschlands in Kamerun stattfinden und dafür, dass der Dialog zwischen den Konfliktparteien vorangetrieben wird. Wir werden weiter gegen Waffenexporte in die Region kämpfen und für die stärkere Bereitstellung von Geldern der Entwicklungshilfe an NGOs statt an die Regierung.

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