Die Tragödie von Genua hat die Stadt zerrissen und das Land erschüttert. Menschen, die unter der Ponte Morandi lebten, haben seit Jahren vor dem bröckelnden Betonriesen gewarnt. Jetzt ist ihr Zuhause Sperrgebiet.
Der pensionierte Eisenbahner Ennio Guerci sitzt an seinem Computer im dritten Stock der Via Enrico Porro 10 in Genua, als sein Leben, wie er es kannte, endet. Ein dumpfes Krachen geht durch die Wohnung, der 68-Jährige stürzt ins Nebenzimmer, seine Frau Marina steht am Bügelbrett, starrt hinaus und sagt: "Oh Gott."
Es ist der Dienstag vergangener Woche, kurz vor zwölf am Mittag. Das Unglück hat Genua eine klaffende Wunde geschlagen, eine Lebensader gekappt. Und die schlimmsten Befürchtungen der Anwohner übertroffen. Denn es ist nicht so, dass es sie nicht gegeben hätte, die Ahnungen, die Warnungen vor dem Biest aus Beton, das über allem thronte.
Ennio Guerci schaut aus dem Fenster. Sein Blick sucht die Brücke, die sich ein Leben lang über seine Wohnung gespannt hat, die er liebte, als er mit ihr groß wurde, und die er hasste, als er mit ihr alt wurde. Doch wo einst 200 Meter Fahrbahn verliefen, hängt nur noch eine Wolke aus Staub in der Luft.
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erschienen in: stern 35/2018