Fanni Tihanyi

Freelance journalist, Berlin

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Burnout mit 27: Hier erzählt Sarah, wie sich das anfühlt

Es ist Freitagabend, eigentlich könnte Sarah sich freuen: endlich Wochenende. Aber sie ist zu müde. Kurz vor Feierabend wollte ihr Chef, dass sie „noch schnell" ein Meeting für nächste Woche vorbereitet. So ging das die ganze Woche, so geht das fast jeden Tag. Immer ist sie müde.

Statt Pläne für den Abend zu machen, hat die 27-Jährige eine Tiefkühlpizza aus dem Supermarktregal genommen, mit Spinat - wenigstens ein paar Vitamine. An der Kasse blickt sie auf die Schachtel in ihrer Hand und denkt: Genauso fühle ich mich. Verhärtet, tiefgefroren, eingeschweißt.

Sarah möchte nicht mit ihrem vollen Namen in diesem Beitrag auftauchen. Die 27-Jährige hat in den letzten Monaten fünf Kilo zugenommen. Früher ging sie dreimal die Woche ins Fitnessstudio. Stattdessen legt sie jetzt abends ihre Füße hoch, die vom vielen Sitzen anschwellen. Ihre Augen brennen, wahrscheinlich vom Starren auf den Bildschirm. In ihren Mundwinkeln juckt ein hartnäckiger Lippenherpes.

An diesem Abend steht sie im Supermarkt an der Kasse und denkt: „Es reicht! Ich kann nicht mehr."

Sarah ruft eine Freundin an, die ihre Ausbildung zur Psychotherapeutin macht, sie sagt: "Du hast wahrscheinlich ein Burnout."

"Ein Burnout? Ach nee, ich doch nicht", sagt Sarah.

Burnout

Als Burnout bezeichnet man eine anhaltende körperliche, mentale und emotionale Erschöpfung, die durch Belastungen am Arbeitsplatz hervorgerufen wird. Viele assoziieren sie mit hochrangigen Managern, tatsächlich aber ist sie weit verbreitet. Laut eines Gesundheitsreports der Techniker Krankenkasse erlebt jeder 5. Erwerbstätige eine solche Phase.

Denn Burnout ist offiziell keine Krankheit - mit einem Erreger und eindeutigen Symptomen. Also gibt es auch keine eindeutige Diagnose. „Es ist eine psychische Störung ohne klare Definition", sagt Timo Lorenz, wissenschaftlicher Mitarbeiter zum Thema Arbeits- und Organisationspsychologie an der Freien Universität Berlin. Sie gehe oft mit einer Depression oder Angststörungen einher und ließe sich davon nur schwer abgrenzen.

Stress, unregelmäßige Arbeitszeiten, Überstunden - Gewerkschaften prangern seit Jahren die zunehmende Arbeitsbelastung an. Gefangen zwischen einer wachsenden Zahl an Möglichkeiten einerseits und größerer Unsicherheit andererseits, sind auch Berufseinsteiger betroffen: Eine Studie der AOK etwa ergab, dass schon ein Drittel der Auszubildenden unter Müdigkeit, Mattigkeit und Erschöpfung litten. 15 Prozent fühlen sich ausgebrannt. ( Wirtschaftswoche)

Manchmal muss es schnell gehen:

Sarah hat erst vor kurzem ihr Studium abgeschlossen und arbeitet seit einem halben Jahr als Assistentin für ein mittelständisches Unternehmen. Am Anfang war sie ehrgeizig und engagiert. Sie war glücklich darüber, dass sie überhaupt eine Stelle fand. Sarah hat Philosophie und Germanistik studiert. Sie verdient nicht viel, die Stelle ist auf ein Jahr befristet, aber immerhin.

Doch der Arbeitsalltag übermannte Sarah schnell. Sie verlässt das Haus jeden Tag um 8 Uhr und kommt nicht vor 20.30 Uhr zurück. Laut Vertrag muss sie 42 Stunden die Woche arbeiten. Mit Überstunden kommt sie auf bis zu 55 - das sind elf Stunden täglich, plus zwei Stunden Fahrt.

Sarah pendelt nur noch zwischen Bett und Arbeitsplatz.

Das liegt zum einen an ihrem Chef, der ihr regelmäßig Überstunden einbrockt. Kurz vor Feierabend fallen ihm Aufgaben ein, die Sarah am besten schon gestern fertig gestellt haben sollte. Aus ihrem Email-Postfach springen sie rote Ausrufezeichen an, das Symbol für „hohe Wichtigkeit."

Fertig macht Sarah aber vor allem die Banalität ihrer Aufgaben: Kaffee kochen, Tische eindecken und Excel-Tabellen kopieren. "Dafür habe ich fünf Jahre studiert? Ernsthaft?" fragt sie sich täglich. Anerkennung oder Lob bekommt sie dafür nicht, geschweige denn ein Dankeschön.

Auch Sarahs Kollegen machen ständig Überstunden, darüber reden kann sie mit ihnen aber nicht. Beim Mittagessen oder auf dem Gang tauschen sie nur das Nötigste aus, wirken unnahbar, uninteressiert.

"Körperliche und mentale Überlastung kann durch Arbeitsumstände begünstigt werden", sagt Wissenschaftler Lorenz. Dazu gehörten ungeregelte Arbeitszeiten, unklare Aufgabenregelungen.Aber auch die Arbeitsatmosphäre sei wichtig. Die Bindung zu Kollegen und die Werte eines Unternehmens wirken sich mindestens so negativ aus, wie Arbeitsstress. Der letzte AOK-Fehlzeitenreport bezeichnet Burnout nicht als individuelle, sondern als "Organisationskrise".

Schlafstörungen? Diese Tipps können helfen:

Sarah fühlt sich ständig, als seien ihre Nerven dünne Fäden, kurz vorm Reißen. Wenn ihre S-Bahn ein paar Minuten zu spät kommt, flucht sie laut am Bahnsteig. Zuhause schreit sie ihren Freund an. Andere Freunde sieht sie kaum noch. Trotzdem zweifelt sie mehr an sich, als am Job.

Das liegt auch an der Reaktion anderer. "Schluss mit der Jammerei!" wiegeln ältere Verwandte Sarah ab. Sie solle lieber dankbar sein, wie gut es ihr geht. Früher sei alles schlimmer gewesen: Wer Erfolg wollte, musste richtig dafür kämpfen. Sarah kämpft eigentlich auch und zwar jeden Morgen mit sich selbst. Sie schaut dann in den Spiegel und fragt sich: "Ist es das wert?"

Vielleicht muss sie sich auch einfach ans Arbeitsleben gewöhnen?

"Dass man sich vom Freundeskreis entfernt und abkapselt, ist ein mögliches Symptom für ein Burnout", sagt Lorenz. Betroffene sind häufig lustlos, sie ziehen sich zurück und sind gereizt.

Wie sich dein Leben verändert, wenn du anfängst zu arbeiten:

Bestimmte Persönlichkeitsmerkmale begünstigen ein Burnout zusätzlich, sagt Lorenz. Perfektionisten beispielsweise, die eher zu Selbstausbeutung neigen. Oder Menschen wie Sarah, die sich nicht fair behandelt fühlen und denken, sie könnten nichts bewirken.

"Was diese Menschen tun können: Für sich selbst sorgen", so Lorenz. Aber wie geht das?

Sarah fällt es schwer, zuzugeben, dass sie nicht weiterkommt. Zumindest, ohne sich dabei als Versagerin zu fühlen.

Der Wert eines Menschen, sagt sie, werde in unserer Welt daran gemessen, was er macht - also arbeitet.

Bin ich ohne Job nichts wert?

Oder ist sie sich wert genug, um trotzdem zu gehen? Einen Job brauche sie ja, eine Alternative hat sie noch nicht.

Für den Anfang, sagt Lorenz, würde es schon reichen, wenn Sarah mehr auf sich achtet. Wichtig seien echte Erholungsphasen, bei dem der Kopf nicht ans Büro denkt. Das kann alles sein: Kochen, Filme schauen, Tai-Chi. Auch gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf und regelmäßiger Sport können psychischen Stress lindern. Vor allem aber: "Soziale Kontakte pflegen und offen darüber sprechen, wie es mir geht", so der Arbeitspsychologe. Wenn nichts hilft, sollte man unbedingt einen Arzt aufsuchen. Und zur Not einfach die Reißleine ziehen.

Als Sarahs Freundin von einem Burnout spricht, winkt sie erst ab. Später spürt sie Erleichterung. Endlich hat ihr Zustand einen Namen. Endlich wird sie ernst genommen.

An diesem Freitagabend beschließt sie: "Ich kündige."
Gerechtigkeit Fluglinie streicht Tausenden Angestellten Bonus, führt stattdessen Lotterie ein

Die kann aber nur noch einer gewinnen.

Angestellte der Fluglinie United Airlines bekommen ihre Bonuszahlungen künftig nach dem Glücksprinzip. Bislang gab es pro Quartal eine Sonderzahlung, falls die Angestellten gewisse Leistungen erbrachten. Nun wird das System durch eine Lotterie ersetzt.

Alle nehmen an der Auslosung teil - aber nur einer kann dann 100.000 Dollar gewinnen.

Das teilte Scott Kirby, der Vorsitzende von United Airlines, in einem Memo an die Mitarbeiter mit. Darin heißt es, die Lotterie sei "ein aufregendes neues Belohnungsprogramm". ( Quartz)

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