Familienfest in der chinesischen Provinz. Fünf Männer sitzen um einen Tisch, leicht angetrunken warten sie darauf, dass die Ehefrauen die nächsten Gerichte auftragen. Mit Schnapsgläsern im Anschlag nehmen sie den jüngsten in die Mangel: „Fei, hast du schon eine Freundin? Dein Vater wartet schon seit langem auf ein Enkelkind“, sagt einer der Angetrunkenen. Nachdem Fei, ein zarter Endzwanziger mit K-Pop-Frisur, nur ausweichend antwortet, platzt seinem Gegenüber der Kragen: Sie wüssten genau, was er in der Stadt treibe. „Du hast Schande über deine Familie gebracht“, brüllt er Fei hinterher, als dieser eingeschüchtert die Runde verlässt.
Es ist eine Schlüsselszene aus dem Spielfilm „Moneyboys“, der sich mit dem Schicksal männlicher Sex-Worker in China beschäftigt. Gedreht hat ihn C.B. Yi. Der österreichische Regisseur chinesischer Herkunft hat acht Jahre an seinem einfühlsamen Drama gearbeitet. In langen, bisweilen beklemmenden Sequenzen erzählt der Film die Geschichte von Fei, seinem Liebhaber Xiaolai, der von einem Freier zusammengeschlagen wird und seinem Jugendfreund Long, der, beeindruckt von Feis Verdiensten, ebenfalls als Prostituierter arbeiten will.
Obwohl „Moneyboys“ sein Debüt war, konnte C.B. Yi den Film im vergangenen Jahr gleich in Cannes in der Reihe „Un Certain Regard“ zeigen. Im Wettbewerb des Filmfestivals Max Ophüls gewann er Auszeichnungen für den besten Spielfilm, das beste Drehbuch und den Preis der Ökumenischen Jury, die wichtige soziale und interreligiöse Themen honoriert. Dabei geht es C.B. Yi nicht in erster Linie darum, das schlimme Schicksal und soziale Stigma männlicher Prostituierter in China anzuprangern. Er porträtiert die Sex-Worker vielmehr als „stille Helden“, die ihr Geld oftmals als Haupternährer an ihre Familien schicken. „In der patriarchalen Gesellschaft Chinas ist männliches Sex-Working ein größeres Tabu als das weibliche“, sagt der Regisseur. „Diese Männer opfern sich auf, obwohl sie wissen, dass sie gegen das Gesetz verstoßen und dass ihre Arbeit in der Regel den Moralvorstellungen ihrer Familie zuwiderläuft“.
C.B. Yi kam von Zhejiang nach Wien
Prostitution beider Geschlechter ist seit der Machtübernahme der Kommunisten in China streng verboten, doch die männliche Prostitution ist in der Öffentlichkeit noch weniger sichtbar. Mao Zedong hielt sie für ein Krankheitssymptom des Kapitalismus. Konkubinen und Konsorten galten zudem als Relikte des alten China und sollten verschwinden. Unter der Oberfläche florierte das älteste Gewerbe der Welt jedoch bis heute weiter. Schätzungen gehen davon aus, dass 17 Prozent aller chinesischen Männer zwischen 18 und 61 irgendwann in ihrem Leben eine Prostituierte aufgesucht haben. Für männliche Prostitution liegen keine Schätzungen vor. Auch deshalb wollte sich C.B. Yi diesem Thema widmen, es aber auch als Liebesgeschichte entwurzelter junger Menschen erzählen.
Auf eine gewisse Weise spiegelt „Moneyboys“ auch seine eigene Heimatlosigkeit wider, sagt der in einem Dorf in Zhejiang aufgewachsene Filmemacher. „Ich wollte auch der Frage nachgehen, was aus mir geworden wäre, wenn ich in China geblieben wäre – Welche Chancen hätte ich gehabt?“C.B. Yi kam im schwierigen Alter von 13 Jahren nach Österreich. Lange habe er hier keine Wurzeln schlagen können, sagt er langsam und bedächtig mit hörbarem Wiener Akzent. „Der Kopf wollte die Sprache nicht lernen. Dafür lag mir die visuelle Sprache“.
Während seines Sinologie-Studiums an der Universität Wien hatte er sich eine einfache Kamera gekauft und damit auf Anhieb einen Fotowettbewerb gewonnen. „Da wurde mir klar, dass ich hinter der Kamera stehen will.“ 2003 geht er für ein Auslandsjahr an die Filmakademie in Peking. Mit dem Kurzfilm, den er dort umsetzt, bewirbt er sich an der Wiener Filmakademie bei dem Regisseur Michael Haneke – und wird prompt genommen.
„Filme finden ihren Weg“
Eigentlich wollte er „Moneyboys“ auch in China drehen. „Ich bin den Menschen dort emotional näher. Und als Filmemacher ist es gut, da anzufangen, wo man sich auskennt.“ In der Provinz Hunan hatte er bereits ein Dorf gefunden, das ein großartiges Setting gewesen wäre. Das Casting lief bereits zwei Jahre, als er sich doch umentschied. Material und Drehgenehmigungen wurden immer teurer. Schauspieler sagten ab. Am Ende verwirklichte C.B. Yi den Film in Taiwan mit taiwanischen Schauspielern.
In China erscheinen wird „Moneyboys“ nicht. Dort sind Themen, die sich mit gleichgeschlechtlicher Liebe auseinandersetzen, tabuisierter denn je. C.B. Yi glaubt, dass die Strenge mit staatlichen Kinderwünschen zu tun haben könnte. China altert. Aus der LGBTQ-Community darf das Land jedoch kaum Kinder erwarten. Trotzdem hat er Hoffnung, dass sein Werk in seinem Heimatland nicht ungesehen bleibt. „Filme finden ihren Weg“ sagt der Regisseur, der bereits am Nachfolger arbeitet, der in Wien spielen wird. „Für die Europäer habe ich einen asiatischen, bildkräftigen Film gemacht. Für die Asiaten ist es ein europäischer Film im Stil Hanekes. Auch hier sieht man: Ich bin sowohl in China als auch hier ein Heimatloser geblieben.“ Fabian Peltsch
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