Fabian Peltsch

Journalist, Sinologe, Berlin/ Beijing

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Torres: Perlen aus der Dunkelheit

Die Intimität der Songs von Torres erinnert an PJ Harvey - und an Sigmund Freud.

Die Intimität der Songs von Torres erinnert an PJ Harvey - und an Sigmund Freud.


Es sind nicht die Kritiken, die Torres Angst machen, nicht die Tourneen und Interviews. Was ihr angesichts ihres zweiten Albums am meisten Sorgen bereitet: wie ihre Eltern darauf reagieren werden. „Musik ist für mich die beste Art, mit meiner Familie zu kommunizieren. Es gibt vieles, was ich ihnen nicht ins Gesicht sagen kann", erzählt die 24-Jährige, die von ihren Eltern, zwei strenggläubigen Baptisten aus Georgia, auf den kuriosen Namen Mackenzie Scott getauft wurde.


Der Tag, an dem die Eltern sterben

„The Exchange", der achtminütige letzte Song auf „Sprinter", handelt von ihnen. Monatelang schrieb sie daran, es ist das längste, das verstörendste Stück auf einem mitreißend intimen Album. Über spärlicher Gitarrenbegleitung wiederholt sie mit brüchiger Stimme Zeilen wie „I'm afraid to see my heroes age/ I am afraid of disintegration/ When you go, will I go, too?" - „Es geht um den Tag, an dem meine Eltern sterben werden, um ihren unvermeidlichen Tod", sagt Torres und lacht dabei schüchtern, als hätte sie etwas Unerhörtes gesagt.

„Als Kind wachte ich oft mitten in der Nacht auf und hatte Panikattacken, weil ich plötzlich an das Sterben denken musste. Nächtelang saß ich aufrecht im Bett und dachte über die Ewigkeit nach, die ich nicht begriff." Obwohl sie sich gut verstehen, hat Torres ihren Eltern noch keinen der neuen Songs vorgespielt. Die existenziellen Ängste dürfte sie nach der religiösen Auffassung ihrer Familie gar nicht haben.


Depressionen und Existenzängste

In ihrer Jugend erlebte Mackenzie eine Periode der Depression, die bis heute nicht ganz abgeklungen ist. Sie nahm Medikamente, die ihren Kopf durcheinanderbrachten, wie sie sagt: „Ohne die Möglichkeit, meine Gefühle in Form von Musik zu artikulieren, wäre alles zehnmal schlimmer geworden."

Wie aus tief sitzenden Rissen perlen Balladen, deren zerbrechliche Intensität an die frühe Tori Amos erinnert. Andere Lieder, wie „Strange Helios" und „New Skin", waten mit zähnefletschender Wut durch den Schlick des Unbewussten - man denkt an PJ Harvey, die ihre eigene innere Dunkelheit einst ähnlich cool aufwirbelte.

Es gibt heute nicht mehr viele junge Musiker, die sich trauen, ihre Existenzangst so ungefiltert zu formulieren wie Torres - ohne sie durch einen ironischen Unterton erträglicher zu machen. „Die Wahrheit ist wohl, dass ich noch keine beruhigende Antwort auf meine Fragen gefunden habe. Ich stecke mitten in all dem drin, eine Lösung habe ich nicht parat", sagt sie.


Bedürfnis nach Mystik

Von den Erlösungsangeboten der Kirche hat Torres sich losgesagt, die Bibel übt aber nach wie vor eine große Anziehungskraft auf sie aus - in ihren Liedern fallen Namen wie Zachäus, Christus, Jahwe. „Ich finde mehr und mehr meine Faszination für das Christentum wieder, nur die Dogmen verstehe ich nicht. Heute empfinde ich mich am ehesten als Mystikerin. Auch wenn es hippy-dippy klingt, glaube ich, dass alles miteinander verbunden ist."

Auftritte erlebt sie zuweilen als mystische Erfahrungen. „Wenn alles stimmt, löse ich mich auf, ich fühle meinen Körper nicht mehr, fange an zu schweben." Es scheint, als würde sie sich ein bisschen für ihre Spiritualität schämen. Auch über diese Dinge kommuniziert sie am liebsten durch Musik. „Viele Menschen haben durch die Kirche oder durch ihre religiöse Erziehung immer noch Vorurteile. Sie schieben jegliches Bedürfnis nach Mystik von sich. Mit meinem Album will ich diesen Leuten sagen, dass man die Welt anders betrachten kann - nicht nur die Welt, sondern Existenz an sich."

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