Im Leipziger Stadtteil Probstheida sind sie sehr stolz auf ihre Holztribüne. Manche sagen, es sei die älteste der Welt, mindestens aber die älteste Europas. Am Mittwoch werden hier wieder einige Hundert Fans mit blau-gelben Schals ihren 1. FC Lokomotive Leipzig anfeuern: Es ist Derby-Zeit in Leipzig, denn der Gegner heißt BSG Chemie Leipzig (Anstoß 14:05 Uhr; TV MDR).
Ein Duell mit langer Tradition, das auch in der Regionalliga noch immer viele Fans anzieht. Rund 8000 werden im Bruno-Plache-Stadion erwartet. Das wäre für beide Klubs deutlich mehr als der Saisonschnitt. "Das Fieber steigt", sagt Lok-Präsident Thomas Löwe. "Derbys sind emotional etwas Besonderes", sagt auch der Vorstandsvorsitzende von Chemie, Frank Kühne.
Beide Vereine befinden sich derzeit auf heikler Mission: Die Fans erwarten, dass die Tradition der Klubs gewahrt wird, gleichzeitig müssen sie sich nicht nur im modernen Fußballgeschäft behaupten, sondern auch neben einem jungen, kräftigen Konkurrenten: RB Leipzig ist inzwischen der übermächtige Verein in der Stadt.
"Der Rest von Leipzig" gewinnt die Meisterschaft
Vor allem Chemie Leipzig hat eine sehr ambivalente Beziehung zu RB. "Das ist schwierig zu beschreiben", sagt Kühne: "RB hat ja grün-weiße Wurzeln." Grün und Weiß sind die Farben von Chemie. Eine verworrene Episode des Ost-Fußballs hätte einst beinahe für das Verschwinden von Lok und Chemie gesorgt und hat den Erfolg von RB letztlich erst ermöglicht.
Alles begann mit der Leistungssportreform der DDR. Demnach sollten bei Lok Leipzig, ähnlich wie beim BFC Dynamo aus Berlin, die besten Spieler der Stadt spielen. Für Chemie blieb da nur der "Rest von Leipzig". Doch eben jener längst zum Sprichwort gewordene Rest gewann 1964 prompt die Meisterschaft - es war die Geburtsstunde der bis heute sehr lebendigen Rivalität der Klubs.
In der Wendezeit sollte mit viel Geld der Aufstieg in die Bundesliga erkauft werden. Das schlug fehl, Misswirtschaft und Unwissen ließen die neuen Vereinskonstrukte VfB Leipzig, hervorgegangen aus Lok, und FC Sachsen Leipzig (Chemie) schnell abstürzen. Rebellische Fans beider Lager gründeten ihre Vereine unter altem Namen neu - Chemie 1997, Lok 2003 - und begannen ganz von vorn.
2011 löste sich Sachsen Leipzig auf, das Ende war schon Jahre zuvor absehbar gewesen. Red Bull erwägte damals, Ende der Nullerjahre, den Klub zu übernehmen. Das scheiterte am DFB und an Fan-Protesten. RB stieg dann 2009 beim damaligen Oberligisten SSV Markranstädt ein und übernahm die vier ältesten Jugendmannschaften von Sachsen Leipzig.
Lok kämpft gegen den schlechten Ruf
"Schritt für Schritt" will Kühne die neue, alte BSG Chemie nun wieder im höherklassigen Fußball etablieren. Ähnliche Töne schlagen sie auch bei Lok ein. Das Credo lautet: vernünftig wirtschaften, keine wilden Träumereien mehr. Für die Fans ist derzeit sogar die Regionalliga Nordost reizvoll mit ihren vielen Ex-DDR-Mannschaften und damit traditionellen Rivalitäten.
Diese Rivalitäten haben aber auch Schattenseiten, in der Vergangenheit wendeten sich viele Fans von Lok und Chemie ab. Zu viel Gewalt und rechtes Gedankengut herrschte in den Kurven. Bei Lok ist Chef Löwe nun schon der dritte Präsident, der zusammen mit dem Vorstand dagegen vorgeht. Zahlreiche Hausverbote wurden ausgesprochen, die Botschaft lautet: Wer negativ auffällt, fliegt. Erste Erfolge sind durchaus sichtbar, Fans und Sponsoren kamen zurück. Mittlerweile liegen Pläne für einen kompletten Stadionumbau in der Schublade. Gesucht wird noch ein Investor.
RB Leipzig hat zwar viele Feinde, aber eben auch keine historischen Rivalen. Dafür spielt das Team in der Champions League, das Stadion ist fast immer ausverkauft und soll nun erweitert werden. Der Verein stoppte den Verkauf von Dauerkarten für Bundesliga plus Königsklasse bei 18.500 Tickets. Der erhoffte Ansturm auf die Champions-League-Tageskarten blieb aber aus - was auch an den Preisen gelegen haben dürfte: Ein Ticket für eine hintere Reihe auf dem Oberrang kostet noch knapp 50 Euro.
RB ist vom Feind zur Normalität geworden
Ein genauerer Blick auf Dauerkartenbesitzer verrät noch einiges: Rund 80 Prozent stammen aus dem Stadtgebiet, berichtet die "Mitteldeutsche Zeitung". Laut Verein kommen die meisten aus den Stadtteilen Plagwitz, Schleußig, Zentrum West und Zentrum Nord. Sie gehören zu den einkommensstärkeren der Stadt. Eine Studie von YouGov hat Leipzig zuletzt als viertbeliebtesten Bundesligaverein bezeichnet - noch vor dem HSV. Allerdings noch deutlich hinter größeren wie Bayern oder Dortmund.
In Leipzig aber schlug dem Verein aus der aktiven Fanszene von Lok und Chemie früher blanker Hass entgegen. Darin entdeckten die beiden verfeindeten Lager ausnahmsweise mal eine Gemeinsamkeit. Das hat sich zumindest teilweise geändert. RB als Konkurrent in der Stadt sei "Normalität geworden", sagt Lok-Chef Löwe. Einige Fans der Traditionsvereine schauen sich am Samstag bei RB die Bundesliga an und am Sonntag die Regionalliga bei Lok oder Chemie.