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Knast statt Gaza: Mein Kurzurlaub in einem israelischen Abschiebegefängnis

Spätestens, als sich der Kopf des israelischen Grenzbeamten nach rund anderthalb Stunden langsam rot färbt und er mir „Für mich sind alle Muslime Islamisten!" ins Gesicht schreit, begreife ich: Das hier ist mehr als eine gewöhnliche Sicherheitsbefragung. Ich sitze in einem Verhörraum von Tel Avivs Flughafen Ben Gurion.

Ich bin weder Muslim, noch Islamist. Mein „Vergehen" besteht stattdessen darin, dass ich als Journalist während des Gazakrieges nach Israel reisen wollte. Am 16. Juli fragte mich eine Kollegin, ob ich nicht Lust hätte, am 17. Juli buchte ich meinen Flug, am 19. Juli saß ich im Flieger. Auf meinem Plan standen Beduinen, denen die israelische Regierung Raketenbunker verwehrt. Eine Reportage über ein Behindertenzentrum wollte ich schreiben, mit einem ehemaligen Chef der „World Zionist Organization" ein Interview führen. Und vielleicht-so meine recht kleine Hoffnung-würde ich es nach Gaza schaffen. Doch aus all dem wurde nichts. Meine Reise führte von Berlin-Schönefeld über Tel Avis Flughafen Ben Gurion direkt ins israelische Abschiebegefängnis.

Zugegeben, ich hatte nicht mit einer reibungslosen Einreise gerechnet, weil ich schon den Kardinalfehler jedes Israel-Reisenden begangen hatte: Mein Pass ist voll mit arabischen Stempeln. Eigentlich besorgt man sich deshalb vorsichtshalber ein zweites, „sauberes" Exemplar. Doch diesmal waren meine Pläne einfach zu kurzfristig. Und das war nur das geringste Problem. Vor vielen Jahren war ich als aktivistischer Student auf einer palästinensischen Demo im Westjordanland festgenommen worden. Dass sich die israelischen Behörden dafür immer noch interessierten, erfuhr ich leider erst nach der Haft - dafür umso deutlicher: In der Nacht vor meinem Abflug bekommt ein Bekannter in Israel Besuch von Beamten des israelischen Geheimdienstes und lässt sich über mich ausfragen. Wenige Stunden zuvor hatten wir über meine Aktivistenvergangenheit gechattet - mittels des NSA-Spionagetools Skype. Dämlich, ich weiß.

Als die Warteschlange vor dem Häuschen des Passkontrolleurs immer kürzer und mein Herzschlag immer schneller wird, bin ich mir also längst sicher, dass ich hier nicht einfach wie ein normaler Tourist durchlaufen werde. „Ein Sicherheitsbeamter wird noch einmal mit Ihnen sprechen", nimmt mir der Passkontrolleur schließlich das letzte bisschen Hoffnung und deutet auf einen kleinen Warteraum in in der Ecke der Halle. Über einem Kaffeeautomaten laufen dort im Fernsehen Aufnahmen israelischer Drohnen in Endlosschleife. Zwei schwarze Striche rennen, einer versteckt sich hinter einer Mauer, bis sie doch im großen weißen Feuerball untergehen.

Mit mir warten ein brasilianischer Künstler, ein amerikanischer Geschäftsmann und ein Kolumbianer, der nicht viel spricht. Zwei junge amerikanische Studentinnen sind so schockiert über ihr Schicksal, dass sie sich gegenseitig anschreien. Alle haben sie palästinensische Wurzeln. Alle werden sie nach kurzer Befragung durchgewunken, nur ich warte und warte.

Nach rund einer Stunde werde ich schließlich in ein winziges Büro gebeten. Ein bulliger Typ mit emotionslosem Gesicht wartet hinter einem Röhrenmonitor auf mich. Ein zweiter Beamter blättert stumm in irgendwelchen Akten. Die Befragung beginnt relativ entspannt. „Was willst du in Israel, wen kennst du hier, für wen arbeitest du?", will er wissen. Ich erzähle ihm von meinen Plänen, dass meine Kollegin draußen wartet, von meinem Auftraggeber und freue mich, dass das Ganze scheinbar nicht über die Standard-Flughafen-Befragung hinaus geht. Zu früh.

Immer schneller nacheinander stellt er dieselben Fragen. Mehr als einen Halbsatz Zeit zum Antworten habe ich fast nie. Nach rund einer halben Stunde geht er die Stempel in meinem Pass durch:

„Was hast du im Iran gemacht?"

„Urlaub", antworte ich.

„Ich will wissen, was du im Iran gemacht hast!"

„Ich war mit meiner Freundin und Tocher am Persischen Golf, dann sind wir..."

„Sag mir, was du im Iran gemacht hast!"

So geht das scheinbar endlos. Spätestens als er im Netz einen kritischen Text auf irgendeiner rechtsradikalen Islamhasser-Seite über mich findet, wird aus dem Verhör zunehmend ein Geschrei. "FÜR WEN ARBEITEST DU WIRKLICH? WAS HÄLTST DU VON DER HAMAS? WER HAT DICH HERGESCHICKT? HALT DEN MUND! WARUM WIRST DU NERVÖS?" Na, warum wohl?

Rund fünf Stunden lang wechseln sich Verhörgeschrei und Langeweile im Warteraum ab. Bis mir irgendwann gegen Mitternacht eine „Security-Supervisorin" die ernüchternde Nchricht überbringt: „Fabian, wir haben uns entschieden, Sie nicht nach Israel einreisen zu lassen." Warum? „Sicherheitsgründe." Warum genau? „Sicherheitsgründe." Rechtliche Möglichkeiten, die Entscheidung anzufechten? „Keine." An ihrer Seite starren mich zwei stumme Dolph Lundgren-Doubles an. „Wir müssen sichergehen, dass Sie keine Bombe ins Flugzeug bringen", sagte sie. „Ich will in überhaupt kein scheiß Flugzeug!", antworte ich. Es nützt nichts. In einem großen, gefliesten Raum wird jede meiner Unterhosen auf Sprengstoffspuren untersucht. In einer Art Umkleidekabine geschieht dasselbe mit jedem Teil meines Körpers.

Wieder ein paar Stunden später weckt mich ein überraschend freundlicher Beamter des „Zentrums für Migration"-der israelische Euphemismus für Abschiebeknast. „Ich bringe dich an einen Ort, an dem du dich hinlegen kannst", verspricht er gegen halb drei Uhr Nachts. Bis zu dieser Minute war ich noch davon ausgegangen, dass ich mich einfach ins nächste Flugzeug nach Deutschland setze. Doch nachdem ich bereits die Nacht davor mit Reiseplanungen verbracht hatte, will ich nun nicht mehr diskutieren, sondern einfach nur noch schlafen. Gemeinsam mit zwei äthiopioschen Flüchtlingen fahren wir ins Abschiebegefängnis am Rand des Flughafens. Die Fahrt geht vorbei an hohen Stacheldrahtzäunen und durch Sicherheitsschleusen. Sie endet schließlich hinter einer schweren Stahltür, in einem Doppelstockbett in Zelle 3.

Am nächsten Morgen weckt mich der Lärm von vier kräftigen Russen, die gegen die Zellentür hämmern und auf Hebräisch nach dem morgendlichen Hofgang und damit einer der zwei täglichen Zigaretten verlangen. Meine „russischen" Mitbewohner stellen sich als bulgarische Gastarbeiter (Vater und Sohn), ein georgischer Fußballer und ein weißrussischer Reiseleiter heraus, dessen Reiseagentur zwar seinen dreißig Touristen ein Visum ausgestellt hatte, ihm aber nicht.

Die Zelle besteht aus drei Doppelstockbetten, Toilette und Waschbecken. Ich bin überrascht, wie sauber es hier ist. Für ein Gefängnis ist es auszuhalten-wenn man einmal von der Langweile und dem überall auf der Welt gleich absurden Umstand absieht, dass man Menschen, die nichts verbrochen haben, in Abschiebeknäste sperren kann.

Wie gesagt: das größte Problem in den nächsten drei Tagen war die Langeweile. Um die Stunden bis zur nächsten Zigarette zu überbrücken, verwandelten wir unsere Zelle in einen Fitness-Parcour: Beinheben und Trizepsdrücken zwischen zwei Doppelstockbetten, Liegestütze, Handstandlauf ... Sieger wird der weißrussische Reiseleiter, der im Nebenberuf Kung-Fu-Lehrer ist. Platz Zwei geht an einen ghanaischen Gebrauchtwagen-Händler. Platz drei belegt ein bulgarischer Bodybuilder, der scheinbar nicht mehr als einen Schlüpfer besitzt. Und ich? Naja, sagen wir, ich hab' mich bemüht.

Doch so unterhaltsam der Knastalltag mit den „Russen" auch ist, sehe ich in den verzweifelten Gesichtern einiger Mithäftlinge doch auch, wie privilegiert ich bin-einfach, weil ich das hier schon mal erlebt habe. Es ist nicht mein erster Gefängnisaufenthalt als Journalist. Zuletzt hatte ich vor zwei Jahren ein paar unfreiwillige Tage im berüchtigten syrischen Foltergefängnis Far' Falestin verbracht.

Das Schlimmste damals war die Isolation von jedem äußeren Reiz in Einzelhaft und die Ungewissheit, ob ich jemals wieder herauskäme. Dagegen sind drei Tage mit hyperaktiven Osteuropäern auf ein Flugzeug warten fast wie Urlaub mit Vollpension. Damals beschuldigten die syrischen Verhörspezialisten mich, für den Mossad zu arbeiten. Nun sind es ironischerweise meine angebliche Verbindungen zum politischen Islam, also zur Hamas, die mich in den Knast brachten.

Die Hamas ist es auch, die uns ein bis zwei zusätzliche Zigarettenpausen pro Tag beschert. Das Heulen der Sirenen und der dumpfe Knall der Abfangrakete am Himmel von Tel Aviv führt uns über den Schutzkeller meist in den Gefängnishof.

Zwischen fünf Meter hohen Zäunen und ein paar ausgeblichenen Bobbycars treffe ich dort Leute, die das israelische Gefängnissystem von einer wesentlich düstereren Seite kennengelernt haben. Thomas hat zum Beispiel gerade seine Strafe wegen Goldschmuggel abgesessen. „Die Leute sterben dort", erzählt er über seine Haft im Gefängnis Hadarim. Zugang zu Ärzten gebe es kaum. Wer „aufmuckt", werde in einen kleinen Raum „mit Piss-Ente am Pimmel und Schüssel unterm Arsch festgezurrt." Ein zweites Gefängnis, Givon, nennt er „Krätzeknast". Man könne bei jedem Häftling am Grad des Krätzebefalls sehen, wie lang dieser schon einsitze. Bei vielen gebe es am Körper keine freie Stelle mehr.

Am letzten Tag meiner Haft schlägt eine Rakete in der Nähe des Gefängnisses ein. Später erfahre ich: Es war jene Rakete, die den internationalen Flugverkehr für ein paar Tage lahmlegte. Mein Flugzeug ist eines der letzten. Im Gefangenentransporter fährt mich der Wärter vorbei an Wachhäuschen und schweren Stahltoren bis auf das Rollfeld neben die Maschine. Zum Abschied gibt er dem Flugzeugkapitän meinen Pass-und mir einen Schokoriegel.

Erleichtert bin ich schon, als ich mich in meinen engen Easyjet-Sitz presse. Aber auch frustriert angesichts dieser verkackten Reise-und wegen meiner Sitznachbarin. Rund 600 Menschen seien gestorben sagt sie, als ich sie nach dem Stand des Krieges frage. Dann schwärmt sie von der „unglaublichen Zurückhaltung der israelischen Armee." Woher ich eigentlich komme, wie mir Israel gefalle, was ich denn so Schönes hier gemacht habe, hageln jetzt ohne Pause Fragen auf mich ein. Mit dem letzten Stück Schokolade zwischen den Zähnen erzähle ich ihr, dass Israel mich als Hamas-Unterstützer in den Knast gesteckt hat-und genieße die Ruhe.

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