Eva Reisinger

Freie Journalistin und Autorin , Wien

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Gewalt in der Corona-Krise: Wenn das Zuhause für Frauen kein sicherer Ort ist

So viel wie nur irgendwie möglich zu Hause bleiben. Das ist das Credo der Tage. Wer zu Hause bleibt, kann weniger Menschen anstecken. Während einige Personen nun ihr Leben entschleunigen und sich Zeit für sich selbst nehmen, ist für andere das Zuhause ein lebensgefährlicher Ort.


China verzeichnet eine Verdreifachung der gemeldeten Fälle von häuslicher Gewalt im Vergleich zum Vorjahr. Eine vergleichbare Geschichte spielt sich in den USA ab. Laut einer Hotline für Betroffene häuslicher Gewalt in Portland haben sich die Anrufe in der vergangenen Woche verdoppelt. Auch in Deutschland sind die ersten Auswirkungen zu spüren. Zum Beispiel in Offenbach: Schon vor der Corona-Krise waren dort viele Frauenhäuser voll. Seit Montag kämen immer mehr Frauen, doch sie könnten nicht mehr aufgenommen werden. Frauen konnten dort nur an die Polizei verwiesen werden.


Die eigenen vier Wände gelten laut Statistik als einer der gefährlichsten Orte für Frauen überhaupt. Der Täter stammt häufig aus dem nahen Umfeld, ist meist Teil der Familie, oft der eigene Partner. Jede dritte Frau in der EU wird statistisch betrachtet einmal in ihrem Leben Opfer von psychischer, körperlicher oder sexualisierter Gewalt. Das sind rund 62 Millionen Frauen.


Durch Krisensituationen erhöht sich das Risiko zusätzlich. Viele Familien müssen nun auf engstem Raum ungewohnt viel Zeit miteinander verbringen. Dazu kommen Existenzängste: Behalte ich meinen Job? Kann ich meine Familie ernähren? Wie lange hält der Ausnahmezustand an? Männer werden in Krisenzeiten gewalttätiger, das ist aus der Forschung bekannt. Hinzu kommt, dass es Frauen sehr viel schwerer gemacht wird, sich Hilfe zu holen.


Sie können nicht ungestört telefonieren, unauffällig eine Beratungsstelle aufsuchen oder persönlichen Kontakt mit jemandem aufnehmen. „Viele Opfer von Gewalt sind bisher wortwörtlich zur Polizei gelaufen", erklärt Rosa Logar von der Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie in Wien.

Die aus gesundheitlichen Gründen wichtigen Ausgangsbeschränkungen erschweren den Kampf gegen häusliche Gewalt. Manche Beratungsstellen gehen auch davon aus, dass viele Opfer von Gewalt Angebote erst nach der Krise annehmen können. Erst wenn die Krisensituation vorbei ist, könnten sie dann die erlebte Gewalt aufarbeiten.

Es gab schon vor der Corona-Krise ein sehr hohes Maß an Gewalt gegen Frauen in unserer Gesellschaft.


Katharina Göpner

„Es gab schon vor der Corona-Krise ein sehr hohes Maß an Gewalt gegen Frauen in unserer Gesellschaft", betont Katharina Göpner vom Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe in Berlin. „Das Problem dahinter sind patriarchale Strukturen, Sozialisierungen und die gesellschaftliche Benachteiligung von Frauen. Wir dürfen nicht vergessen, dass Gewalt gegen Frauen alltäglich ist und sich durch alle Schichten zieht."


Während in der Politik zahlreiche Maßnahmen für die Wirtschaft verlautbart werden, müssen möglichst schnell auch konkrete und ausreichende Maßnahmen gegen die zunehmende häusliche Gewalt durchgesetzt werden. Dazu wird es mehr Personal, mehr Ressourcen und mehr Kapazitäten brauchen, sagen Expertinnen. Wie:

schnelle und unbürokratische finanzielle Aufstockungen für Hilfseinrichtungen (wie etwa Frauenhäuser, Beratungsstellen etc.) die Bereitstellung von zusätzlichen Unterkünften für Betroffene mit gleichzeitiger Sicherstellung von Anonymität und Betreuung den Ausbau von telefonischen Sprechzeiten und Onlineberatung klare Signale, dass es auch in Krisenzeiten keine Akzeptanz für Gewalt gibt viel Aufmerksamkeit für das Thema, damit die Informationen zu den Betroffenen gelangen viel Solidarität - jede*r sollte sich fragen: Nehme ich eine Form von Gewalt in meinem Umfeld und in meiner Nachbar*innenschaft wahr? Je nach Situation entweder die Polizei oder eine Beratungsstelle kontaktieren. keine Panik verbreiten - es gibt nach wie vor Beratung und Hilfe für Frauen, das ist ganz wichtig.

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