Die Deutschen lieben Österreich. Die Sprache, das Land, die Berge, die Wiener Kaffeehauskultur, Schnitzel und Mehlspeisen. Umgekehrt ist das nicht so. Wir Ösis schimpfen nur allzu gerne über diese Piefke, wie umgangssprachlich Deutsche mit entsprechender Sprachfärbung wenig liebevoll genannt werden. Über die Deutschen und ihre Arbeitsmoral (lächerlich). Die Deutschen, die uns unsere Studienplätze wegnehmen (unerhört). Die Deutschen, die in Funktionskleidung durch Wien laufen (spießig). Die Deutschen, die ihre selbsternannten Stullen in der Tupperware herumtragen (kleinkariert).
Bei Sportveranstaltungen wie der Fußball-EM oder -WM oder bei Wintersport ist Österreich grundsätzlich für jede andere Mannschaft, nach dem Motto: Hauptsache Deutschland verliert. Als meine Cousine nach Deutschland ( München wohlgemerkt) ging, fragten alle ständig: „Wie geht's dir da drüben?". Als ich in der Schule für ein Referat Hochdeutsch üben musste und ich auf dem Weg nach Hause mit meinem Nachbarn sprach, fuhr er mich an: „Eva, jetzt red' ned so gschert ( öst. für: dumm und keine feinen Umgangsformen habend).
Lange Rede, kurzer Sinn: Wer in Österreich aufwächst, kommt um die Vorurteile Deutschen gegenüber einfach nicht herum. Deutschsein wird grundsätzlich als Synonym für alles Negative benutzt - meist für nervtötende Korrektheit oder spießige Humorlosigkeit. Beschwere ich mich zum Beispiel, dass jemand zu spät kommt, heißt es: Sei nicht so deutsch. Außer es geht um Politik und Wirtschaft, dann blicken wir nur allzu gerne zu unserem Nachbarland hinüber, lästern aber hinter seinem Rücken weiter.
Lange dachte ich, dass diese Feindseligkeit auf Gegenseitigkeit beruhe und dadurch irgendwie okay sei. Schließlich beschimpfen Österreicher*innen die Deutschen schon lange mit dem Begriff „Piefke" und Deutsche verniedlichen uns mit dem Begriff „Ösi". Und beide Seiten werfen mit Stereotypen und Vorurteilen über Streber*innen und Altnazis um sich.
Seit ich in Berlin lebe, weiß ich, dass es nicht ganz so ist. Egal, was ich tue, sage oder erzähle, ich bin vorrangig immer Österreicherin. Und dafür bekomme ich ganz automatisch Sympathiepunkte. Als wäre meine Nationalität irgendein Verdienst. Die meisten Deutschen verbinden mit Österreich schöne Erinnerungen an Urlaub in den Alpen oder in Wien und projizieren all das auf mich. Zu altbewährten Klassikern wie Kaffeehauskultur, Schnitzel und Apfelstrudel zählt seit einigen Jahren auch eine Welle an österreichischer Popkultur. So kommt es, dass Österreich ein bisschen hip wurde. Meine deutschen Freunde wollen nun mit mir zum Yung Hurn-Konzert in Hamburg, grölen mit, wenn er über den 22. Bezirk rappt, ohne irgendeine Ahnung zu haben, was das ist. Oder wollen mit zu Stefanie Sargnagels Lesung in Kreuzberg und fragen danach, was bedeutet.
Deutsche lieben Österreich
Die Deutschen idealisieren Österreich. Damit meine ich natürlich nicht die Politik, diesbezüglich blicken viele ängstlich auf ihr Nachbarland und fragen sich, wie sie im eigenen Land besser mit Rechtspopulismus umgehen können, aber die Kultur und Sprache begeistern sie. Darum werde ich auf Partys regelmäßig vorgestellt als: „Das ist Eva, sie ist aus Österreich!" Tada! Danach folgt meist eine theatralische Pause, als wäre es ein Zeitpunkt für Applaus oder zumindest anerkennendes Staunen. Ich weiß nie, wie ich darauf antworten soll.
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