Viele Juristen wünschen sich Jobs bei internationalen Einrichtungen.
Zu Recht? Drei Geschichten aus New York, Genf und Brüssel.
Als Elisa, damals 25, nach ihrem ersten Staatsexamen und dem LL.M.- Studium zum ersten Mal vor dem glitzernden UN-Tower mitten in New York steht, ist sie euphorisch. Nun endlich geht sie selbst vorbei an den bunten Flaggen, die jeder aus den Nachrichten kennt. Rein in das Gebäude, in dem Entscheidungen gefällt werden, die die ganze Welt betreffen. „Obwohl ich durch das Studium schon recht abgebrüht war, dachte ich damals wirklich noch, dass hier die Welt verändert wird“, sagt Elisa. Heute, drei Jahre später, wundert sie sich über ihre Naivität. Ein Platz im Carlo-Schmid-Stipendienprogramm und ein Praktikum bei der UN, der Organisation der Vereinten Nationen – besser kann es für eine junge Juristin mit Schwerpunkt Völkerrecht kaum laufen. Entsprechend aufgeladen waren auch ihre Vorstellungen davon, was sie bei den Vereinten Nationen erwarten würde: „In meinem direkten Umfeld wollten fast alle zu internationalen Organisationen, darauf haben wir uns ja spezialisiert. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es ausgerechnet dort auch total langweilig werden könnte.“ Elisas Begeisterung hält nur wenige Wochen. In die anfängliche Euphorie mischt sich immer mehr das Gefühl, dass die UN vor allem ein riesiges Bürokratiemonster ist. Und mit diesem Gefühl kommen die Zweifel. „Ich hatte die Menschen, die bei der UN arbeiten, idealisiert. Die meisten Tätigkeiten sind relativ simple Schreibtischjobs, bei denen die Angestellten sich verzweifelt einreden müssen, dass dieser 84. Report zu einem Thema nun aber wirklich den Durchbruch bringen wird“, erinnert sie sich. Auch ihre Kollegen scheinen von den mühsamen Entscheidungsketten und von den langen Bearbeitungszeiten innerhalb des UN-Apparats frustriert. „Den UNSpirit hatte ich mir anders vorgestellt“, sagt Elisa. „Statt motivierter Menschen voller Tatendrang traf ich auf routinierte und manchmal durchaus recht naive Beamte. Auch mein Aufgabenbereich hat sich im Endeffekt wenig von der Arbeit in einem deutschen Landratsamt unterschieden.“
Den Realitätscheck wagen
Wenn Elisa ihren Uni- und Referendarkollegen heute von den romantisierten Erwartungen erzählt, lacht sie darüber. Vor drei Jahren stürzte sie die Ernüchterung jedoch in eine Sinnkrise. Der wachsende Unmut schlug sich auch auf Elisas Gesundheit nieder. Während des Praktikums musste sie sich immer mehr zwingen, morgens zur Arbeit zu gehen. Schließlich kehrte sie nach Deutschland zurück, ohne sich, wie viele ihrer Mitstipendiaten, um eine Verlängerung des Aufenthaltes zu bemühen. Eine Entscheidung, die die wenigsten ihrer Kommilitonen nachvollziehen konnten. „Ich musste mich immer wieder rechtfertigen, warum ich so eine Chance ausschlage. Im Endeffekt war das Praktikum aber genau der Realitätscheck, den ich brauchte. Heute weiß ich, was ich will.“ Trotzdem würde Elisa allen, die eine internationale Karriere anstreben, nicht davon abraten: „Ich kenne durchaus Leute, denen es in großen Organisationen zu gefallen scheint. Es gibt da sicherlich auch interessantere Bereiche. Man sollte seine Ideale einfach früh genug auf die Probe stellen.“ Richard, 27, tut gerade genau das: Als Praktikant arbeitet er drei Monate in Genf am Hauptsitz der ILO, der Internationalen Arbeitsorganisation. Dieser Ableger der UN ist für die Sicherung und Weiterentwicklung internationaler Arbeitsstandards zuständig. Im Gegensatz zu Freunden, die in Berlin Jura studiert haben und jetzt fast alle im Ausland arbeiten, war eine internationale Karriere während seines Studiums in Würzburg nur selten Thema. Vielleicht hatte Richard deshalb auch sehr realistische Vorstellungen davon, was ihn im Ausland erwarten wird: „Natürlich gab es diesen Mythos vom ‚die Welt verbessern‘ im Hinterkopf. Mir war aber klar, dass man in internationalen Organisationen öfter gegen verschlossene Türen rennt als in kleineren Unternehmen und Kanzleien. Man wird nicht von einem Tag auf den anderen die Probleme einzelner Länder lösen. Aber es ist schon wahnsinnig spannend, überhaupt mitzubekommen, wie die Länder der Welt miteinander kommunizieren.“ Wie das ungefähr aussieht, konnte Richard als Teilnehmer des Simulationswettbewerbs Model United Nations testen, noch bevor er sich für das Praktikum entschied. Studierende aus den unterschiedlichsten Nationen kommen zusammen und probieren aus, wie sich das Verhandeln im internationalen Kontext anfühlt. „Der Wettbewerb war ein erster Vorgeschmack, der mich sehr motiviert hat“, sagt er. „Trotzdem ist es nicht so leicht, dann tatsächlich einen Praktikumsplatz zu bekommen.“ Über mehrere Ecken hat er es schließlich doch geschafft. Er weiß, dass er damit Glück hatte. Ob ein Auslandsjob für ihn auf Dauer infrage kommt, weiß er allerdings gerade noch nicht. Genf wäre als Stadt nicht seine erste Wahl gewesen, der Job indes schon. „Da ich bloß drei Monate hier bin, mache ich mir noch keine Gedanken, wie mein Leben laufen würde, wenn ich fest angestellt wäre.“ Auf die Dauer würde er wahrscheinlich Freunde und Familie vermissen: „Es ist ja schon eine seltsame internationale Blase. Viele, die hier arbeiten, pendeln am Wochenende nach Hause. Da ist es auf Dauer bestimmt schwer, langfristige Freundschaften zu knüpfen.“ Gerade hat Richard seine Dissertation abgeschlossen. Er will den Sommer auf Reisen verbringen. „Selbst wenn ich eine Verlängerung angeboten bekäme – ich wüsste momentan nicht, ob ich sie annehmen würde. Gerade ist mir eher danach, einmal nichts für den Lebenslauf zu tun. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man seinen Traumjob auch finden kann, ohne das ganze Leben darauf hinzuarbeiten.“ Den Traum von der internationalen Karriere dem Zufall zu überlassen, das kam für Birthe, 33, nicht infrage. Seit vier Jahren arbeitet sie in der Generaldirektion für Wettbewerb der EU in Brüssel. Ein Ziel, das schon für die Studienwahl ausschlaggebend war: „Ich komme aus einem kleinen Ort an der dänischen Grenze. Ich wollte unbedingt mehr von der Welt sehen und dieses Bedürfnis mit einem Beruf verbinden, der Hand und Fuß hat. Da lag die Spezialisierung auf Völker- und Europarecht im Jurastudium nahe. Ich habe aber auch noch Politikwissenschaften studiert“, sagt Birthe. Schon während des Studiums testete sie verschiedene Wege. Birthes Lebenslauf lässt Fernweh aufkommen: Aufenthalte bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in Äthiopien, bei der EU-Kommission in Fidschi und bei der UN in New York sind dort verzeichnet. Im Gegensatz zu Elisa gefiel es Birthe an der amerikanischen Ost küste sehr gut: „Ich hatte Glück und habe mein Praktikum gleich nach dem theoretischen Studium zur Zeit der UNGeneralversammlung in New York gemacht. Das motiviert mich bis heute. Es gibt diesen UN-Spirit, den ich schlecht in Worte fassen kann, der mich aber im mer noch antreibt. Ich konnte zum Beispiel bei großen Prozessen der Friedenssicherung dabei sein und zusehen, wie die Kollegen Dinge voranbringen, die Menschen konkret betreffen.“ Dass viele Entscheidungen dann doch am Schreibtisch getroffen werden, war für Birthe nicht überraschend: „Man muss realistisch bleiben. Die UN ist ein großer Apparat, da laufen nicht alle mit beseeltem Lächeln durch die Gänge, weil sie gerade dabei sind, die Welt zu verbessern.“
Realistisch bleiben
Dann aber mal wirklich im berühmten „Situation Room“ der UN zu sitzen, das entschädigte sie für alle Praktikantenaufgaben und den ganzen Papierkram. Deutschland vermisst Birthe selten. „Vielleicht geht es in meinem jetzigen Job manchmal chaotischer und ungeordneter zu als in einem deutschen Unternehmen. Aber dieses Chaos habe ich mittlerweile sehr schätzen gelernt. Es ist ein verbreitetes Vorurteil, dass Beamte langweilige graue Mäuse sind. Hier kommen sehr intelligente Menschen mit dem Wissen aus den unterschiedlichsten Ländern zusammen. Da gibt es eher mehr Reibung als in anderen Jobs – und das empfinde ich als produktiv.“
Produktives Chaos
Anfangs fiel es Birthe schwer, so richtig in Brüssel anzukommen. Das Gehalt als Beamtin ermöglichte es ihr, sooft sie wollte, Freunde und Familie in Deutschland zu besuchen. „Am Wochenende kann man tun und lassen, was man will, und da pendeln sehr viele Kollegen nach Hause. Die EU will natürlich, dass man auch dort lebt, wo man arbeitet. Und auf die Dauer ist das Reisen ja auch anstrengend“, sagt Birthe. „Ich habe mir deshalb ganz bewusst Hobbys außerhalb dieser EU-Blase gesucht. Über Sportkurse habe ich zum Beispiel Leute von hier kennengelernt, mit denen ich heute befreundet bin.“ Über die gute Verbindung nach Berlin ist Birthe trotzdem sehr dankbar. Wie viele der Expats bei der UN oder bei der EU führt sie eine Fernbeziehung. Für die Liebe nach Deutschland zu ziehen kä- me momentan trotzdem nicht infrage: „Das müsste schon ein sehr spannender Job sein. Wer einmal erfahren hat, wie es ist, international zu arbeiten, weiß, was er daran hat.“ Am Ende ist ein Job in einer internationalen Organisation ein Job wie jeder andere auch, meint Birthe. Wer sich schon im Studium auf internationales Recht spezialisiert, sollte die Gelegenheit nutzen, frühzeitig herauszufinden, ob ein Leben auf Reisen mit ständig wechselnden Kollegen und Arbeitsplätzen wirklich das Richtige ist. „Und wenn nicht, dann geht damit die Welt auch nicht unter. Ausprobieren ist die einzige Möglichkeit herauszufinden, was wirklich zu einem passt. Man sollte ehrlich zu sich selbst sein und sich nicht unter Druck setzen lassen, egal, wie toll die Geschichten von anderen sind.“
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Als Elisa, damals 25, nach ihrem ersten Staatsexamen und dem LL.M.- Studium zum ersten Mal vor dem glitzernden UN-Tower mitten in New York steht, ist sie euphorisch. Nun endlich geht sie selbst vorbei an den bunten Flaggen, die jeder aus den Nachrichten kennt. Rein in das Gebäude, in dem Entscheidungen gefällt werden, die die ganze Welt betreffen. „Obwohl ich durch das Studium schon recht abgebrüht war, dachte ich damals wirklich noch, dass hier die Welt verändert wird“, sagt Elisa. Heute, drei Jahre später, wundert sie sich über ihre Naivität. Ein Platz im Carlo-Schmid-Stipendienprogramm und ein Praktikum bei der UN, der Organisation der Vereinten Nationen – besser kann es für eine junge Juristin mit Schwerpunkt Völkerrecht kaum laufen. Entsprechend aufgeladen waren auch ihre Vorstellungen davon, was sie bei den Vereinten Nationen erwarten würde: „In meinem direkten Umfeld wollten fast alle zu internationalen Organisationen, darauf haben wir uns ja spezialisiert. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es ausgerechnet dort auch total langweilig werden könnte.“ Elisas Begeisterung hält nur wenige Wochen. In die anfängliche Euphorie mischt sich immer mehr das Gefühl, dass die UN vor allem ein riesiges Bürokratiemonster ist. Und mit diesem Gefühl kommen die Zweifel. „Ich hatte die Menschen, die bei der UN arbeiten, idealisiert. Die meisten Tätigkeiten sind relativ simple Schreibtischjobs, bei denen die Angestellten sich verzweifelt einreden müssen, dass dieser 84. Report zu einem Thema nun aber wirklich den Durchbruch bringen wird“, erinnert sie sich. Auch ihre Kollegen scheinen von den mühsamen Entscheidungsketten und von den langen Bearbeitungszeiten innerhalb des UN-Apparats frustriert. „Den UNSpirit hatte ich mir anders vorgestellt“, sagt Elisa. „Statt motivierter Menschen voller Tatendrang traf ich auf routinierte und manchmal durchaus recht naive Beamte. Auch mein Aufgabenbereich hat sich im Endeffekt wenig von der Arbeit in einem deutschen Landratsamt unterschieden.“
Den Realitätscheck wagen
Wenn Elisa ihren Uni- und Referendarkollegen heute von den romantisierten Erwartungen erzählt, lacht sie darüber. Vor drei Jahren stürzte sie die Ernüchterung jedoch in eine Sinnkrise. Der wachsende Unmut schlug sich auch auf Elisas Gesundheit nieder. Während des Praktikums musste sie sich immer mehr zwingen, morgens zur Arbeit zu gehen. Schließlich kehrte sie nach Deutschland zurück, ohne sich, wie viele ihrer Mitstipendiaten, um eine Verlängerung des Aufenthaltes zu bemühen. Eine Entscheidung, die die wenigsten ihrer Kommilitonen nachvollziehen konnten. „Ich musste mich immer wieder rechtfertigen, warum ich so eine Chance ausschlage. Im Endeffekt war das Praktikum aber genau der Realitätscheck, den ich brauchte. Heute weiß ich, was ich will.“ Trotzdem würde Elisa allen, die eine internationale Karriere anstreben, nicht davon abraten: „Ich kenne durchaus Leute, denen es in großen Organisationen zu gefallen scheint. Es gibt da sicherlich auch interessantere Bereiche. Man sollte seine Ideale einfach früh genug auf die Probe stellen.“ Richard, 27, tut gerade genau das: Als Praktikant arbeitet er drei Monate in Genf am Hauptsitz der ILO, der Internationalen Arbeitsorganisation. Dieser Ableger der UN ist für die Sicherung und Weiterentwicklung internationaler Arbeitsstandards zuständig. Im Gegensatz zu Freunden, die in Berlin Jura studiert haben und jetzt fast alle im Ausland arbeiten, war eine internationale Karriere während seines Studiums in Würzburg nur selten Thema. Vielleicht hatte Richard deshalb auch sehr realistische Vorstellungen davon, was ihn im Ausland erwarten wird: „Natürlich gab es diesen Mythos vom ‚die Welt verbessern‘ im Hinterkopf. Mir war aber klar, dass man in internationalen Organisationen öfter gegen verschlossene Türen rennt als in kleineren Unternehmen und Kanzleien. Man wird nicht von einem Tag auf den anderen die Probleme einzelner Länder lösen. Aber es ist schon wahnsinnig spannend, überhaupt mitzubekommen, wie die Länder der Welt miteinander kommunizieren.“ Wie das ungefähr aussieht, konnte Richard als Teilnehmer des Simulationswettbewerbs Model United Nations testen, noch bevor er sich für das Praktikum entschied. Studierende aus den unterschiedlichsten Nationen kommen zusammen und probieren aus, wie sich das Verhandeln im internationalen Kontext anfühlt. „Der Wettbewerb war ein erster Vorgeschmack, der mich sehr motiviert hat“, sagt er. „Trotzdem ist es nicht so leicht, dann tatsächlich einen Praktikumsplatz zu bekommen.“ Über mehrere Ecken hat er es schließlich doch geschafft. Er weiß, dass er damit Glück hatte. Ob ein Auslandsjob für ihn auf Dauer infrage kommt, weiß er allerdings gerade noch nicht. Genf wäre als Stadt nicht seine erste Wahl gewesen, der Job indes schon. „Da ich bloß drei Monate hier bin, mache ich mir noch keine Gedanken, wie mein Leben laufen würde, wenn ich fest angestellt wäre.“ Auf die Dauer würde er wahrscheinlich Freunde und Familie vermissen: „Es ist ja schon eine seltsame internationale Blase. Viele, die hier arbeiten, pendeln am Wochenende nach Hause. Da ist es auf Dauer bestimmt schwer, langfristige Freundschaften zu knüpfen.“ Gerade hat Richard seine Dissertation abgeschlossen. Er will den Sommer auf Reisen verbringen. „Selbst wenn ich eine Verlängerung angeboten bekäme – ich wüsste momentan nicht, ob ich sie annehmen würde. Gerade ist mir eher danach, einmal nichts für den Lebenslauf zu tun. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man seinen Traumjob auch finden kann, ohne das ganze Leben darauf hinzuarbeiten.“ Den Traum von der internationalen Karriere dem Zufall zu überlassen, das kam für Birthe, 33, nicht infrage. Seit vier Jahren arbeitet sie in der Generaldirektion für Wettbewerb der EU in Brüssel. Ein Ziel, das schon für die Studienwahl ausschlaggebend war: „Ich komme aus einem kleinen Ort an der dänischen Grenze. Ich wollte unbedingt mehr von der Welt sehen und dieses Bedürfnis mit einem Beruf verbinden, der Hand und Fuß hat. Da lag die Spezialisierung auf Völker- und Europarecht im Jurastudium nahe. Ich habe aber auch noch Politikwissenschaften studiert“, sagt Birthe. Schon während des Studiums testete sie verschiedene Wege. Birthes Lebenslauf lässt Fernweh aufkommen: Aufenthalte bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in Äthiopien, bei der EU-Kommission in Fidschi und bei der UN in New York sind dort verzeichnet. Im Gegensatz zu Elisa gefiel es Birthe an der amerikanischen Ost küste sehr gut: „Ich hatte Glück und habe mein Praktikum gleich nach dem theoretischen Studium zur Zeit der UNGeneralversammlung in New York gemacht. Das motiviert mich bis heute. Es gibt diesen UN-Spirit, den ich schlecht in Worte fassen kann, der mich aber im mer noch antreibt. Ich konnte zum Beispiel bei großen Prozessen der Friedenssicherung dabei sein und zusehen, wie die Kollegen Dinge voranbringen, die Menschen konkret betreffen.“ Dass viele Entscheidungen dann doch am Schreibtisch getroffen werden, war für Birthe nicht überraschend: „Man muss realistisch bleiben. Die UN ist ein großer Apparat, da laufen nicht alle mit beseeltem Lächeln durch die Gänge, weil sie gerade dabei sind, die Welt zu verbessern.“
Realistisch bleiben
Dann aber mal wirklich im berühmten „Situation Room“ der UN zu sitzen, das entschädigte sie für alle Praktikantenaufgaben und den ganzen Papierkram. Deutschland vermisst Birthe selten. „Vielleicht geht es in meinem jetzigen Job manchmal chaotischer und ungeordneter zu als in einem deutschen Unternehmen. Aber dieses Chaos habe ich mittlerweile sehr schätzen gelernt. Es ist ein verbreitetes Vorurteil, dass Beamte langweilige graue Mäuse sind. Hier kommen sehr intelligente Menschen mit dem Wissen aus den unterschiedlichsten Ländern zusammen. Da gibt es eher mehr Reibung als in anderen Jobs – und das empfinde ich als produktiv.“
Produktives Chaos
Anfangs fiel es Birthe schwer, so richtig in Brüssel anzukommen. Das Gehalt als Beamtin ermöglichte es ihr, sooft sie wollte, Freunde und Familie in Deutschland zu besuchen. „Am Wochenende kann man tun und lassen, was man will, und da pendeln sehr viele Kollegen nach Hause. Die EU will natürlich, dass man auch dort lebt, wo man arbeitet. Und auf die Dauer ist das Reisen ja auch anstrengend“, sagt Birthe. „Ich habe mir deshalb ganz bewusst Hobbys außerhalb dieser EU-Blase gesucht. Über Sportkurse habe ich zum Beispiel Leute von hier kennengelernt, mit denen ich heute befreundet bin.“ Über die gute Verbindung nach Berlin ist Birthe trotzdem sehr dankbar. Wie viele der Expats bei der UN oder bei der EU führt sie eine Fernbeziehung. Für die Liebe nach Deutschland zu ziehen kä- me momentan trotzdem nicht infrage: „Das müsste schon ein sehr spannender Job sein. Wer einmal erfahren hat, wie es ist, international zu arbeiten, weiß, was er daran hat.“ Am Ende ist ein Job in einer internationalen Organisation ein Job wie jeder andere auch, meint Birthe. Wer sich schon im Studium auf internationales Recht spezialisiert, sollte die Gelegenheit nutzen, frühzeitig herauszufinden, ob ein Leben auf Reisen mit ständig wechselnden Kollegen und Arbeitsplätzen wirklich das Richtige ist. „Und wenn nicht, dann geht damit die Welt auch nicht unter. Ausprobieren ist die einzige Möglichkeit herauszufinden, was wirklich zu einem passt. Man sollte ehrlich zu sich selbst sein und sich nicht unter Druck setzen lassen, egal, wie toll die Geschichten von anderen sind.“
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