Es gibt dieses Kinderbuch aus den Siebzigern, „Das Leben der Tomanis" von Christine Nöstlinger, worin sich zwei brave blonde Mädchen in freche blaue Fabelwesen mit Wuschelschwänzchen verwandeln. Das passiert, nachdem die Mädchen ein faszinierendes Buch über diese Tomani-Wesen gelesen haben, das genau so heißt, wie jenes, in dem sie selbst vorkommen. Die Mädchen wollen dann keine Topflappen mehr häkeln, sondern Tomanis werden, nur noch tun und lassen, was sie wollen und Spaß haben. Das gelingt ihnen durchaus, lässt sie jedoch im Dorf schlagartig zu Aussätzigen werden. Denn so auszusehen und wild und frei zu leben, das ist für Mädchen nicht vorgesehen, mindestens sehr ungewöhnlich und beunruhigend.
Erziehung und Frauenrollen sind in den Siebzigern schon einmal in Frage gestellt worden. Statt gehorsam und schamhaft sollte frau nun frei sein dürfen, ihren Körper für sich beanspruchen. Heute wieder genügt eine Folge „Germanys Next Topmodel", der Blick in Frauenzeitschriften oder auf die Profile von Influencerinnen, um zu sehen, wie beliebt das Bild der schönen Dienstleisterin trotz der Errungenschaften der siebziger Jahre noch ist.
„Ein kompliziertes Baukastensystem aus Erziehung, Handlungsempfehlungen und nett verpackten Tipps reguliert unser inneres und äußeres Erscheinungsbild", schreibt die Berliner Journalistin Caroline Rosales in „Sexuell verfügbar". Die Autorin hat wie etliche andere dieses Jahr eine sexuelle Autobiografie geschrieben. Mädchen lernten schon früh, schreibt Rosales, dass sie von diesem Verhalten selbst profitierten. Bloß keine nervige Bitch sein! Hot aussehen, die „Problemzonen easy kaschieren", und immer „mit einem lässigen Augenzwinkern", erinnert sich auch Theresa Lachner, die den größten deutschen Sexblog hat und jetzt ihr Buch „Lvstprinzip" veröffentlicht. Frauen lernten, zu gefallen, allerdings nicht sich selbst. Der eigene Körper: schambesetzt. Die Open-Mike-Preisträgerin Doris Anselm schreibt in „Hautfreundin" nur von ihrem „Wort", wenn sie ihr Geschlecht meint. Denn das Wort dafür hat „so viel Scham aufgenommen", ist seit Jahrhunderten „nur flüsternd gesagt" worden, „mit niedergeschlagenen Augen, ohne Stolz, ohne Freude".
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