Erik Baumgärtel

Journalism and Political Communication , Berlin

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Viele Spätis blieben am Sonntag geschlossen

Nach Gerichtsurteil: Viele Betreiber halten sich an das Verbot der Sonntagsöffnung. Andere trotzen dem Gerichtsurteil - und sorgen sich um ihre Existenz.

Berlin. In der Hermannstraße sitzt H. Kizilgün (57) vor seinem Spätkauf und schreckt plötzlich auf: „Kommt die Polizei?", fragt er. „Ich sitze hier schon den ganzen Tag und beobachte, ob die Behörden vorbeigefahren kommen. Zweimal habe ich sicherheitshalber schon den Laden abgeschlossen. Ich lasse sogar alle Lichter aus, um keine Aufmerksamkeit zu erregen."

Kizilgün kennt das Urteil des Berliner Verwaltungsgericht. Vor wenigen Tagen wurde die Urteilsbegründung veröffentlicht. Demnach können sich Spätshops nicht automatisch auf eine Ausnahmeregelung beziehen, wenn es um ihre Sonntagsöffnung geht. Denn laut dem Gericht richte sich ein Berliner Spätkauf typischerweise allgemein und unspezifisch auf die Versorgung der näheren Umgebung aus und müsse daher sonntags grundsätzlich geschlossen bleiben.

Viele Späti-Besitzer wollen das Urteil nicht hinnehmen, auch Kizilgün nicht. Man sieht ihm an, dass das Katz-und-Maus-Spiel mit den Behörden ihm an die Nieren geht. Einmal musste er bereits 650 Euro Strafe zahlen, weil er sonntags vergessen hatte, die Bierbänke reinzustellen. „Das macht mich krank und mir als kleinem Händler die Existenz kaputt", sagt er. „Ich brauche den Sonntag, die Einnahmen sind wichtig. Ich muss mit dem Laden meine Familie durchbringen."

Späti-Kunden bedauern das Gerichtsurteil

Einige Kilometer weiter in Friedrichshain besucht Roger (45) den Spätshop, in dem er Stammkunde ist. Er hat erst am Sonntag von dem Urteil des Verwaltungsgerichts erfahren und fragt die Kassiererin in der Kopernikusstraße: „Habt ihr eine Sondergenehmigung, oder warum habt ihr zum Sonntag geöffnet?" Die Frau guckt nur überrascht.

Von einer Schließpflicht am Sonntag habe sie noch nie gehört. Der Chef, so meint sie, habe dann wohl eine Ausnahmegenehmigung. Sicher sei sie aber nicht. Kunde Roger schätzt die Sonntagsöffnung der Spätis. Sie trage dazu bei, Berlin einzigartig und lebenswert zu machen, sagt er.

„Dieses Urteil nimmt uns ein wenig Freiheit"

Tatsächlich halten sich die meisten Läden in den Bezirken an die Vorschrift. Doch immer wieder gibt es Händler, die dem Urteil trotzen. Wenige Meter weiter, in der Gabriel-Max-Straße, gibt es einen weiteren kleinen Kiosk, der auch sonntags Kunden empfängt - und in dem reger Andrang herrscht. Kunde Daniel (26) meint: „Dieses Urteil ist Schikane."

Er selbst arbeitet am Wochenende auf dem Trödelmarkt am Boxhagener Platz und nutzt deshalb häufig den Spätkauf. Gerade bei den Temperaturen am vorherigen Wochenende sei er froh gewesen, dort ein kühles Getränk zu bekommen.

Auch bei anderen Kunden stößt die Gerichtsentscheidung auf Unverständnis. „Ich bedauere das sehr, denn dieses Urteil nimmt uns ein wenig Freiheit. Ich selbst schaffe es nicht, unter der Woche einzukaufen. Ich bin auf den Späti hier angewiesen", sagt Sozialarbeiterin Isabell (40) und begutachtet das noch vorhandene Obst. „Ich befürchte, dass viele Anwohner noch nicht verstanden haben, was das Urteil für ihren Kiez bedeutet."

Späti-Verkäuferin befürchtet Jobverlust

Damala (42), die in dem Kiosk seit drei Jahren Verkäuferin ist, springt ihren Kunden bei. Sie weiß um das Problem der Sonntagsöffnung, hat auch von dem Urteil gehört. „Wir öffnen trotzdem. Das Ordnungsamt kommt unter der Woche regelmäßig. Wir hoffen einfach, dass wir nicht entdeckt werden und gehen das Risiko ein", sagt sie. Sie und ihr Chef sind sich sicher: Wenn eine Kontrolle kommt, dann würden sie erst einmal eine Ermahnung bekommen.

Und viel schwerer wiegt bei Damala die Angst, dass sie ihren Job verlieren könnte. „Ich arbeite hauptsächlich am Wochenende. Und für den Inhaber ist es ein wirtschaftliches Problem, wenn der Sonntag wegfällt", sagt sie. Die Verluste, befürchtet sie, wären enorm.

1500 Euro Strafe drohen bei Verstoß

Dennoch sagt Damala: Sollten sie eine Ermahnung bekommen, dann müssten sie künftig wohl sonntags geschlossen bleiben. Denn bei einem Verstoß gegen das Verbot einer Sonntagsöffnung drohen bis zu 1500 Euro Strafe. Das Berliner Ladenöffnungsgesetz schreibt vor, dass sonntags nur der Verkauf von Souvenirs und „Bedarfsartikeln für den alsbaldigen Verbrauch" erlaubt ist. Zudem könnten die Läden Lebens- und Genussmittel zum sofortigen Verzehr anbieten und dafür von 13 bis 20 Uhr öffnen. Heißt: Taschentücher sind erlaubt, bei der Küchenrolle oder einen Putzmittel wird es schon wieder schwierig.

Ob sich alle Spätis daran halten, kontrolliert in den Bezirken das Ordnungsamt. In vielen Behörden herrscht jedoch Personalmangel. Dann kommt eine Kontrolle meist nur, wenn sich Anwohner beschweren. Auch die Entscheidung, ob die Ausnahmeregelungen für einen Späti gelten, liegt bei der Behörde. Besonders restriktiv gegen Verstöße soll Charlottenburg-Wilmersdorf vorgehen.

Wer am Sonntag durch den Bezirk spaziert, stellt fest, dass tatsächlich fast alle Spätibetreiber ihre Rollläden geschlossen haben. Vielen ist der Druck offenbar zu groß, die drohende Strafe zu hoch.

Späti-Betreiber aus Charlottenburg-Wilmersdorf will im Ernstfall klagen

Yoldas Güngör (25) dagegen denkt nicht daran, seinen Shop am Sonntag geschlossen zu lassen. Er hat ihn erst vor ein paar Monaten am neuen Primark-Shoppingcenter an der Hardenbergstraße eröffnet. „Ohne den Sonntag könnte kein Späti in Berlin überleben", sagt er. „Wenn man von uns verlangt, dass wir schließen sollen, dann müssten die gleichen Pflichten für alle gelten und man müsste es den Tankstellen auch verbieten."

Güngör kennt die Vorschriften aus dem Ladenöffnungsgesetz genau, beklagt aber deren Undurchsichtigkeit. Schon oft habe er versucht, mit dem Bezirksamt zu verhandeln - auch, weil die Arbeitsplätze seiner Mitarbeiter davon abhängen. Güngör will nun, sollte ihm das Ordnungsamt mit Strafen drohen oder die Öffnung weiter verbieten, gegen die Behörde klagen.

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