Eric Hegmann

Chefredakteur, Paarberater, Hamburg

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Artikel

Misstrauen: Was jede Beziehung zerstört

Warum so viele Beziehungen nach einer Affäre nicht mehr zu retten sind? Weil die Vertrauensbasis gestört ist. Da steht ein Partner und bittet um Verzeihung und verspricht, sich nie wieder so verletzend zu verhalten und der andere würde sich gerne versöhnen, würde gerne vergeben - doch kann nicht, weil das Misstrauen zu groß, die Verletzung zu tief ist.

In der Beratung erlebe ich die Situation oft. Der Betrogene macht sich Selbstvorwürfe: „Wie konnte ich das alles nur nicht mitbekommen? Was ist mein Anteil? Wo habe ich weggestoßen und abgeblockt?" Alle diese Fragen lassen sich beantworten. Viel schwerer ist aber dieser letzte, entscheidende Gedanke: „Kann ich meinem Partner (oder irgendeinem Menschen) jemals wieder vertrauen?"

Wer aufmerksam Kommentarspalten unter Liebesgeschichten oder Beziehungsratgebern liest, wird immer wieder Aussagen wie diese bemerken: „Alles richtig, aber nicht, wenn man so verletzt wurde ...". Den meisten Schreibern ist durchaus klar, wie viel Schwäche sie damit preisgeben. Wie viel kleiner sie sich machen, als sie eigentlich sind. Nur, sie können in dieser Situation nicht anders mit ihrem Schmerz umgehen, als ihn nach außen zu tragen, wie ein Schutzschild.

Wenn wir Schmerzen verspüren, dann weil uns damit gesagt wird: Was gerade passiert, was du gerade machst, was jemand mit dir anstellt, das tut dir nicht gut. Es ist eine Warnung. Angst will uns vor Schmerz bewahren. Die größte Angst verspüren wir, wenn wir den Schmerz noch nicht kennen und nicht wissen, was uns erwartet, wie schlimm es werden wird. Denn dann ahnen wir, was uns Grausames erwartet und unsere Fantasie kennt deutlich weniger Grenzen als die Menschen um uns herum.

Das Festhalten am Schmerz, den man kennt, mit dem man sich arrangiert hat, ist deshalb weniger Furcht einflössend, als eine neue Verletzung zu riskieren. Die könnte ja - so malen wir uns das aus - noch weitaus schlimmer kommen.


Wer zu viel vertraut, kann immer wieder enttäuscht werden. Wer nie vertraut, bleibt unglücklich, weil er ohne zwischenmenschliche Beziehungen auskommen muss. Und nein, auch Hund, Pony, Katze oder Vogel können am Abend nicht die Arme ersetzen, die Sie zärtlich umschließen und Ihnen das Gefühl von Halt und von Stärke vermitteln, dass Sie benötigen, um unbeschadet durch diese Zeit zu kommen. Wenn zwei Verliebte einen Gedanken teilen, aufblicken, ihre Augen sich treffen und sie sich gegenseitig ineinander wieder erkennen: Was kann es geben, das uns mehr zu Menschen macht als die Liebe?

Einstein wird der Satz zugesprochen: „Der Gipfel des Wahnsinns ist es, auf Veränderungen zu hoffen, ohne etwas zu verändern." Wenn Sie also unter Misstrauen leiden, wenn Sie sich sicher sind, Sie können nie wieder Vertrauen fassen, dann belassen Sie es nicht dabei, sondern werden Sie aktiv, damit Sie wieder Beziehungen zu Menschen eingehen können. Denn auch wenn Vertrauen manchmal missbraucht wird und manche Beziehung unglücklich endet, ohne Vertrauen wird JEDE Beziehung im Unglück enden. Misstrauen ist die sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Was können Sie dagegen tun? Alleine häufig nicht so viel, dass Sie nicht doch immer wieder in die Schutzhaltung verfallen, die Sie vor neuen Verletzungen bewahren soll. Die Ursprünge Ihrer Ängste liegen oft nicht nur in Ihrer letzten Beziehungserfahrung, sondern weit davor. Eine systemische Familienaufstellung kann Ihnen möglicherweise weiterhelfen. Sie finden dabei vielleicht die Glaubenssätze, die Ihnen verbieten, Vertrauen zuzulassen. Das wird kein Spaziergang, aber mit Unterstützung von Spezialisten ist es möglich, sich wieder auf andere Menschen einzulassen - auch nach schwersten Verletzungen. Therapeuten können den Umgang mit traumatischen Erfahrungen erleichtern und Ihnen wieder Ihre Lebensqualität zurückgeben.

Wagen Sie es. Belassen Sie es nicht dabei, Ihren Schmerz zu beklagen. Als Sie das Laufen lernten, sind Sie immer wieder gefallen. Ihre Eltern wussten das, Sie haben Sie dennoch ermutigt, Ihre ersten Schritte zu wagen. Sie haben Sie aufgehoben, Ihnen die Tränen aus dem Gesicht gewischt und zu einem neuen Versuch motiviert. Stellen Sie sich vor, die hätten stattdessen gesagt: „Das kann dir immer wieder passieren. Besser, du bleibst da den Rest deines Lebens sitzen."

Stehen Sie auf, greifen Sie Ihren Schmerz an, lassen Sie sich helfen - und bleiben Sie nicht alleine!


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