Eric Hegmann

Chefredakteur, Paarberater, Hamburg

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Liebe ist nicht nur ein Versprechen, Liebe ist ein Tuwort

Wohin ist die Freude verschwunden? War das jetzt alles? Kommt da noch mehr? Wenn der Alltag die Liebe frisst

Vielleicht stimmt dieses Versprechen ja gar nicht, dass es nur am Anfang genug Feuerwerk und Rumms geben muss, damit aus der Liebe auf den ersten Blick die eine Liebe fürs ganze Leben wird. Vielleicht haben wir nur die Kurzfassung dieses Märchens vorgelesen bekommen. Vielleicht ist die Langfassung von dunklen Mächten vor uns versteckt worden, damit wir die Hoffnung nie aufgeben? Vielleicht aber gab es dieses Versprechen gar nicht und das ganze Gedöns um die Liebe ist ja ein großes Missverständnis.

In einer solchen Stimmung erlebe ich ganz viele Paare in der Beratung. Sie sind enttäuscht, desillusioniert und traurig. Sie fühlen sich betrogen. Nicht unbedingt von ihrem Partner. Irgendwie von der Welt. Von den Bildern von der Verlobung im Ruderboot auf einem See im Central Park, dem Brautjungfern-Flashmob vor der barocken Landkirche, den Händchen haltenden Urgroßeltern im Familienalbum. Denn zuhause warten Windeln und die Wäsche, das defekte WLAN und die elektronische Steuererklärung. Kann ein Absturz in die Realität schmerzhafter sein?


Unsere Bilder von Romantik sind Momentaufnahmen mit großer Wirkung. Sie halten die Zeit fest. Es bleibt ein Versuch, denn Vergänglichkeit ist der Preis, den jedes Lebewesen fürs kleine und große Glück zu zahlen hat. Das bereitet Angst. Wenn es gut läuft, weil wir morgens nicht wissen können, ob wir den geliebten Menschen am Abend in die Arme schließen können oder ob irgendein Unglück das verhindern wird. Wenn es schlecht läuft, weil wir fürchten, der Schmerz und die Verletzung, die uns der Partner zugefügt hat, wird nie vorbeigehen.


Glück ist, was wir spüren, wenn uns Veränderung gut tut


Die meisten Beziehungskonflikte entstehen, weil Partner, die glaubten, durch ein Versprechen zu einem Herz und einer Seele zusammengeschweißt worden zu sein, entdecken, dass sie eben doch zwei Menschen mit auch einmal unterschiedlichen Bedürfnissen geblieben sind. Das ist eine gewaltige Enttäuschung. Wir sehen ein besseres Ich in unserem Partner, wenn wir sie oder ihn kennenlernen. Verhaltensweisen, die wir mögen, die wir bewundern, die uns faszinieren - weil sie unseren ähnlich sind oder, wenn wir Glück haben, uns vielleicht sogar inspirieren, besser zu werden und gemeinsam zu wachsen.

So viele wundervolle Kleinigkeiten bestätigen uns ja auch darin. Wenn wir einander die Sätze vervollständigen, wenn wir gemeinsam lachen, nacheinander und miteinander gähnen oder sich unser Blick in einem magischen Moment trifft. Da ist es dann wieder: Das Versprechen, das Märchen. Es ist wie eine Vertreibung aus dem Paradies, immer wieder und immer wieder, wenn sich das Glück nicht wiederholen lässt. „Das haben wir uns so nicht vorgestellt", sagen Paare und dabei wird viel geweint.


Es ist Zeit, das Versprechen zu hinterfragen. Zunächst einmal: Wer hat es uns gegeben? Ja, da war dieses ergreifende Video mit dem Paar, das nach 70 Jahren Ehe gemeinsam eingeschlafen ist. Eine Liebe, die so lange hält, das ist also möglich. Die Fotos, die Bilder, die zeigen das. Das ist echt. Und wenn dieses Paar das haben konnte, dann hätten wir das bitte auch gerne. Wir haben doch schließlich ein Recht auf Glück, auf Liebe. Oder? Wo kann man das bestellen?


Wir haben das Potential zu Glück und Liebe geschenkt bekommen. Wir sind fähig, uns zu freuen, uns zu umarmen, uns zu verzeihen. Uns dabei zu unterstützen, mit einer Wirklichkeit zurecht zu kommen, die nicht Glück, sondern nur Veränderung kennt. Glück ist, was wir spüren, wenn uns Veränderung gut tut.


Veränderung nicht nur zuzulassen, sondern sie zu begrüßen, sie durchaus auch mal zu formen, wenn sie uns schadet, das lässt Glück zu. Alles andere ist die Angst vor dem Neuen. Jeder einzelne und jedes Paar kann immer wieder neu entscheiden zwischen Angst und Glück.


Denn Liebe ist nicht nur ein Versprechen, Liebe ist ein Tunwort.

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