DIE ZEIT: Herr Gussek, der Sommer war der heißeste seit langer Zeit. Machen Sie im Saale-Unstrut-Gebiet bald Weine wie in der Toskana?
André Gussek: Ich will nicht zynisch klingen, weil der Klimawandel auf der Welt sicher verheerende Folgen hat. Aber die Weine aus unserer Region profitieren enorm. Seit zehn, fünfzehn Jahren erleben wir einen Sommer nach dem anderen, der Wetterrekorde bricht. Es wird immer heißer. Selbst der Sommer 2017, der sich recht kühl und regnerisch anfühlte, war letztlich ein guter für uns.
ZEIT: Also erwartet uns 2018 ein großartiger Jahrgang?
Gussek: Mir wurde einmal beigebracht, als Winzer solle man immer behaupten, der aktuelle Jahrgang sei der beste, der je gemacht wurde. Dann verkauft er sich nämlich besser. Aber 2018 ...
ZEIT: ... wird wirklich gut?
Gussek: Ja. Das kann ein toller Jahrgang werden. Es war ja tatsächlich so warm, als seien wir in Frankreich oder Italien. Gerade an die Rotweine haben wir ziemlich hohe Erwartungen. Beim Weißwein müssen wir sehen, mit dem haben wir viel Arbeit.
ZEIT: Wieso?
Gussek: Die Trauben hatten Stress, weil es nicht nur wunderbar sonnig war, sondern auch sehr trocken. Sie lagern dann nicht so viel Zucker ein, wie sie könnten, wenn es nasser wäre. Wir werden eine viel geringere Weißwein-Ernte haben als sonst, etwa 30 bis 50 Prozent büßen wir ein. Aber ich möchte nicht klagen. Alle Leute, die etwas von der Klimathematik verstehen, sagen uns Winzern hier die besten Perspektiven voraus.
ZEIT: Nach dem Mauerfall wurden die Weinbauern aus dem Osten noch Eskimo-Winzer genannt, weil die Region zu weit nördlich liege und zu kalt sei. Die Weine galten als Säurebomben. Sie haben in den Neunzigern in Naumburg Ihr eigenes Weingut aufgebaut. Wie erinnern Sie diese Zeit?
Gussek: Unser großes Glück war damals, dass wir so harmlos erschienen. Es gibt ja zwei ostdeutsche Wein-Anbaugebiete. Dresden-Meißen verfügt über 400 Hektar, Saale-Unstrut über knapp 800 Hektar. Das ist im Vergleich zu den westdeutschen Anbaugebieten so gut wie nichts. Allein die Pfalz hat 23.000 Hektar. Historisch gesehen, war unsere geringe Größe aber unser großer Vorteil.
ZEIT: Warum?
Gussek: Wir wurden unterschätzt! Ich erinnere mich, dass gleich nach 1989 die ersten interessierten Kollegen aus dem Westen kamen. Das waren Winzer, Weinhändler und Kellermeister, die gucken wollten, ob wir im Osten für sie vielleicht eine Bedrohung darstellen könnten. Aber dann sahen sie: Alles easy. Die Region schien viel zu klein zu sein, um wirklich eine Konkurrenz darstellen zu können. Deswegen haben die Kollegen uns herzlich willkommen geheißen in der Gemeinde der deutschen Weinwirtschaft. Sie wollten uns unter die Arme greifen.
ZEIT: Als Wein-Connaisseure galten die Ostdeutschen auch nicht gerade. Warum hatten die Ost-Winzer einen solch schlechten Ruf?
Gussek: Na ja, auf gutem Weinanbau lag in der DDR nun nicht die oberste Priorität. Ich selber habe in den Siebzigern Gärungs- und Getränketechnologie an der Humboldt-Universität in Berlin studiert. Durch Zufall landete ich als Kellermeister beim Staatsweingut in Naumburg, dem heutigen Landesweingut Kloster Pforta. Das war eine von DDR-weit nur vier Kellereien, in denen Trauben wirklich verarbeitet wurden. In allen anderen Kellereien wurden ausschließlich fertige Weine abgefüllt.
ZEIT: Das waren dann Weine aus dem Ausland?
Gussek: Ja. Bulgarische, rumänische, ungarische oder jugoslawische Weine wurden nach verschiedenen Rezepturen zusammengeschnitten, also gemixt. Und mit Zucker versehen, weil süßer Wein sehr beliebt war in der DDR. So wurde das Geschmacksgefühl der Bevölkerung ganz schön versaut.
ZEIT: Und was passierte mit den Weinen aus der Region?
Der Anteil der eigenen sächsischen oder Saale-Unstrut-Weine lag in der DDR in guten Jahren bei vier Prozent. Das war Bückware, die Flaschen bekam man nur, wenn man wen kannte, der sie hinterm Ladentisch hortete. Außerdem hatten wir große technische Probleme. Der wichtigste Posten in unserem Weingut war nicht der des Winzers oder des Kellermeisters, sondern der des Materialbeschaffers.
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