Der Berliner Synchronsprecher Simon Jäger spricht Rollen von Filmstars wie Matt Damon und liest Bestseller von Sebastian Fitzek ein.
Fast jeder kennt ihn aus dem Kino. Aber kaum jemand weiß, wie er aussieht. Simon Jäger ist die deutsche Stimme der US-Filmstars Heath Ledger, Jet Li, Josh Hartnett und Matt Damon. Zudem liest Jäger die Bücher des Berliner Bestsellerautors Sebastian Fitzek ein. Seine Stimme ist berühmt. Er selbst mag es nicht sein. Ein Gespräch über das bizarre Geschäft des Synchronisierens, Persönlichkeit - und den Umgang mit dem Tod.
Simon Jäger: Ich habe schon sehr gerne meine Ruhe, ziehe mich gerne zurück. Das mag vielleicht auch mit dem Beruf zusammenhängen. Ich arbeite ja sehr isoliert. In dem Raum, wo das Mikro und ich sind, da geht's darum, dass Ruhe ist. Das ist wichtig, sonst funktioniert keine Aufnahme. Und die Ruhe fehlt mir dann, wenn sie nicht da ist. Auch wenn es trotzdem nicht immer leicht ist, was ich da mache.
Eigentlich sollen wir als Synchronsprecher sieben Tage die Woche 24 Stunden Zeit haben. Wenn es aus persönlichen Gründen kompliziert wird, ist man schnell raus. Mal ganz abgesehen vom Thema Gage. Die Formulierung ist dann immer „leider" und „schade", aber im Prinzip sind sie schnell bei der Umbesetzung. Nach dem Tenor: Wenn sie nicht wollen, dann suchen wir uns eben einen anderen. Dazu kommt der zeitliche Druck, der von den amerikanischen Produktionsfirmen gemacht wird. Diese Anforderungen sind manchmal einfach nicht zu erfüllen. Und trotzdem findet sich immer eine Synchronfirma, die es versucht.
Ich habe ja als Kind schon angefangen mit dem Job. Mit sieben oder acht, jedenfalls sehr früh. Wir waren damals eine Truppe von vielleicht 20 Kindern, die alle Hörspiele gemacht haben. Jetzt sind wir erwachsen geworden, manche haben selbst Kinder. Die meisten kenne ich seit mehr als 40 Jahren. Eigentlich ist jeder Tag, den ich arbeiten gehe, wie ein Klassentreffen. Da herrscht, glaube ich, nicht so ein großer Futterneid.
Damals, am Anfang Ihrer Karriere, haben Sie auch vor der Kamera gestanden.Das stimmt. Ich hatte kleinere Auftritte bei Peter Lustig und in der Schwarzwaldklinik. Aber ich bin vor der Kamera relativ talentfrei.
Meiner Meinung nach ist es hilfreich, sich der Rolle unterzuordnen. Man sollte da nicht probieren, seinen eigenen Film daraus zu machen. Dafür haben die Kollegen auf der Leinwand den Charakter ja entwickelt und entsprechend gespielt. Also versucht man, sich dem anzupassen und bestenfalls zu unterstützen. Aber zu einer guten „Synchro" gehört ja noch sehr viel mehr. Da muss ein gutes Buch geschrieben werden. Da muss jemand in der Regie sitzen, der auch mal Hilfestellung geben kann und das komplette Bild vor Augen hat.
In den letzten Jahren ist das wirklich vernachlässigt worden. Es muss alles immer schneller gehen. Zum Teil soll Material getextet und synchronisiert werden, obwohl es gar kein Bild gibt. Da steht dann zwar, was die Leute tun, aber man sieht eben keinen Schauspieler, die Leinwand ist schwarz. Später kommt ein Pamphlet über mehrere Seiten, was uns denn einfalle, so eine Arbeit abzuliefern. Man würde ja gar nicht hören, dass die Frau da im Unterhemd steht. (lacht) Also, es gibt bizarre Situationen in diesem Geschäft. Ich kann da inzwischen sehr drüber lachen. Aber eine Zeit lang habe ich es doch persönlich genommen.
Ja, und vor allem: Ich fühlte mich nicht ernst genommen. Das ist mein Beruf, ich habe den über Jahre gelernt, und dann kommt jemand und sagt: Was ihr da macht, ist doch eh vollkommen egal, ihr macht doch unseren Film nur deutsch. Bild? Braucht ihr nicht, ihr könnt doch auch so quatschen. Und das ist ungerecht. Ich glaube, jeder Kreative identifiziert sich irgendwie mit seiner Arbeit. Ob Techniker, Schauspieler oder Synchronsprecher. Das ist immer ein Teil Persönlichkeit, den man da hineingibt. Deshalb ist auch das Produkt immer ein Stück weit persönlich.
Wenn eine Werbeabteilung in den Dialog eingreifen will, weil sie gerne einen ganz bestimmten Satz platzieren möchte, weil der sich gut vermarkten lässt, dann müssen wir uns dem fügen. Selbst wenn es total asynchron ist. Als Dialogautor sitzt man da und denkt: Es sieht schlecht aus, es ist viel zu lang, der sagt nur drei Worte, aber die wollen 18 haben ... und ganz abgesehen davon hat es manchmal rein gar nichts mit dem Film zu tun. Es ist wie in vielen Bereichen: Wer die Party zahlt, bestimmt die Musik. Diese Macht auszunutzen und zu sagen: Vergiss nicht, wie klein du bist, das macht ein bisschen Bauchweh. Und ich habe dann irgendwann keine Lust mehr.
Durch das Internet wurden wir plötzlich bekannt. Auf einmal gab es ein Gesicht zu der Stimme. Mich rief mal ein Bekannter an und sagte: Du bist bei Wikipedia. Und ich fragte nur: Was ist denn Wikipedia? Da war ich schon irritiert.
Schon, aber das bin ja nicht ich. Sondern das Buch, der Charakter, die Stimme des Schauspielers.
Ja, total. Es hat schon einen Grund, warum ich Synchronsprecher bin. Wenn ich machen würde, was Matt Damon macht, würde ich nur dastehen und gucken wie ein angeschossenes Reh. Ich möchte das auch gar nicht, mich morphen, jeden Tag auf die Streckbank und mit 75 noch so aussehen wie mit 25. So ist ja das Filmgeschäft mittlerweile. Ich kann damit nicht so viel anfangen. Ich werde gerne alt und faltig.
Schon, ja. (lacht) Aber das Synchronisieren ist eine anstrengende Arbeit, das darf man nicht unterschätzen. Ich stehe da sechs bis acht Stunden und rede im wahrsten Sinne des Wortes jemandem nach dem Mund. Das mache ich sehr konzentriert und bin danach müde. Wenn ich aus dem Studio komme, dann habe ich keine Lust mehr, mich mit irgendetwas zu beschäftigen. Mir ist es schon zu viel, wenn ich danach beim Spazieren mit dem Hund drei Leute treffe. (lacht)
Nun, ich bin ein altes West-Berliner Kind. Mit dem Mauerfall ist diese Stadt verschwunden, und ich glaube, die fehlt mir. Wer dort nicht groß geworden ist und die 70er-Jahre in West-Berlin nicht kennt, der weiß gar nicht, was für ein Dorf das war. Und jetzt ist es Berlin. Es ist toll, wie ein riesiger Ameisenhaufen. Aber ich bin froh, wenn ich zu Hause in meinem Garten sitze. Wobei, da fährt die S-Bahn durch...
Ich habe eigentlich keinen großen Bezug zu ihr. Manchmal freue ich mich und denke: gut gemacht! Es gibt aber auch Szenen, da denke ich: Mist! Das hätte ich gerne anders gemacht. Das waren dann vielleicht zwei Sätze oder sogar nur ein Wort. Ich ergötze mich aber auch nicht daran. Es erinnert mich eher an meine Arbeit. Es bleibt ein Beruf.
Ich bin mal Heath Ledger begegnet. Das hat mich gefreut. Wir haben uns angeguckt, die Hand gegeben, und ich glaube, wir hätten uns gut verstanden. Aber es war der falsche Rahmen, wir haben uns beide nicht wohlgefühlt. Das war auf einer Premierenfeier, am Potsdamer Platz. Trotzdem war es lustig. Wir haben uns auf ein Metallgitter gesetzt und die Leute angeguckt. Er beugte sich zu mir rüber und fragte: Sag mal, wo kann man denn hier tanzen gehen? Ich habe ihn dann zu irgendeinem Laden geschickt. Das war alles.
Ja, das ist scheiße. Gerade bei Heath Ledger. Ich habe ihm unheimlich gerne beim Spielen zugeguckt. Wie er mit den Rollen umgegangen ist, da war es leicht, mich anzupassen. Ich fand ihn immer sehr glaubhaft. Es ist schade und traurig, ich hätte ihm gerne weiter zugeguckt.
Das steht da in zweiter Reihe. Klar nimmt mir das die Möglichkeit, diese Rollen weiterzusprechen, aber ich mache ja auch noch andere Sachen. Es ist trotzdem wie ein Lieblingstheaterstück, das man gerne gespielt hat. Und dann kann man es nicht mehr spielen.
© Berliner Morgenpost 2019 - Alle Rechte vorbehalten.
Original