Vor zehn Jahren wurde Lennart Hartmann Herthas jüngster Bundesligaspieler - und stürzte ab. Heute leitet er eine Fußballakademie.
„Hat was, die blaue Tartanbahn, oder?" Man kann sich nicht ganz sicher sein, wie Lennart Hartmann diese Frage meint - schließlich ist seine Geschichte geprägt von Schmerzen. Da weckt die blaue Laufbahn Assoziationen. Hartmann sitzt auf der Haupttribüne und blickt auf das Spielfeld. Er war mal eines der größten Talente, die Hertha BSC je hervorgebracht hat. Am 17. August 2008 debütierte er mit 17 Jahren, vier Monaten und 14 Tagen in der Bundesliga, jünger war kein Hertha-Spieler. Zehn Jahre ist das her. Heute sitzt er nicht im Olympiastadion, sondern im Stadion Lichterfelde.
Ein angeborener Hüftschaden beendete einst seine Profi-Karriere, noch bevor sie richtig begonnen hatte. Auch Lucien Favre hat er es zu verdanken, dass er mittlerweile eine neue Perspektive besitzt. Der Trainer von Borussia Dortmund legte bei Hertha damals Wert darauf, dass die Jugendspieler das Abitur abschließen. „Dadurch konnte ich überhaupt erst mein Jura-Studium machen", sagt Hartmann. Er sei dem Schweizer dankbar, „für alles, was er für mich getan hat. Er war eine sehr, sehr wichtige Person in meinem Leben." Kontakt haben sie zwar keinen mehr, aber das Studium hat Hartmann in diesem Sommer erfolgreich beendet.
Der Weg dahin allerdings war steinig. Trotz „absolutem Sportverbot" versuchte der heute 27-Jährige neben seinem Studium noch in der Regionalliga zu spielen, um sich zu finanzieren, bis er merkte, „es geht nicht mehr". Plötzlich stand er vor der Frage: „Was machst du jetzt mit deinem Wissen von Lucien Favre oder Markus Babbel?" Von beiden Trainern hatte er viel gelernt, das wollte er weitergeben. Und mit Kindern arbeiten, „das wollte ich schon immer", sagt Hartmann.
Aus einer ersten Trainingsstunde mit nur einem Kind entstand schließlich die Lennart-Hartmann-Fußballakademie. In diesem Jahr organisierte der ehemalige Profi in Kooperation mit dem Siebtligisten Berlin United sein erstes Sommercamp für Nachwuchskicker. Knapp 30 Kinder meldeten sich an, einige davon gleich noch einmal für das zweite Camp ein paar Wochen später. Mittlerweile kämen rund 150 Kinder und Jugendliche zu ihm, „alles nur über Mundpropaganda", sagt Hartmann und lächelt.
Es geht um Fußball, natürlich. Vor allem um Technik und Athletik - aber nicht nur. „Ich hätte auf meinem Weg jemanden gebraucht", erzählt er. Damals, als er plötzlich zum großen Zukunftsversprechen aufstieg, als Physiotherapeuten ihn schikaniert haben sollen, weil „ein 17-Jähriger nichts auf der Liege zu suchen" habe. Als die Hüftdysplasie seinen großen Traum abrupt platzen ließ. Als die Ärzte ihm nicht helfen konnten und selbst der als Guru geltende, ehemalige Nationalmannschafts-Arzt Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt warnte: „Es wird nicht mehr lange gehen." Dieser jemand, den er in dieser „harten, herben Zeit" nicht hatte, „der möchte ich sein", sagt Lennart Hartmann.
Die Kinder könnten ihn jederzeit erreichen. Viele riefen ihn an und berichteten, wie sie gespielt hätten. Der Jurist weiß: „Irgendwann kommt der ganze Druck." Dann will er als Mentor da sein. Oder als Berater? Die Kombination zumindest sei „nicht blöd, als Anwalt kannst du auch als Spielerberater tätig sein". Nur ob das Millionen-Geschacher ihn glücklich machen würde, da ist sich Hartmann nicht sicher. Er weiß aus eigener Erfahrung, dass es „ein Geschäft mit ganz vielen Ecken und Kanten" ist. Trotzdem: Nach all den Rückschlägen scheinen sich die Dinge für ihn allmählich zu fügen.
Auf einer Wiese abseits des Stadions hat der ehemalige Hertha-Spieler Hütchen verteilt. Seine nächste Trainingsgruppe ist der jüngere D-Jugend-Jahrgang vom FC Viktoria 1889. Der Verein lässt seine Jugend-Teams von Hartmann trainieren, einmal die Woche für 45 Minuten. „Es geht vor allem um Technik, aber auch um Athletik", sagt er. Und das hat einen Grund: „Mir fällt extrem auf, dass die Kinder mittlerweile immer unbeweglicher sind."
Erst wird jongliert, dann wuseln alle in einem abgesteckten Feld wild durcheinander. Hartmann ruft Kommandos rein: „Übersteiger links, Übersteiger rechts, Lokomotive." Er macht die Übungen vor, eine Bewegung mit dem Ball reicht, um zu verstehen, warum er einst mit der silbernen Fritz-Walter-Medaille für den zweitbesten Nachwuchsfußballer der Nation ausgezeichnet wurde. „Wenn man Fußballer ist, dann bleibt man das auch", sagt Hartmann. Nur dem Zusehen konnte er noch nie etwas abgewinnen.
„Die Bundesliga zu gucken, fand ich als Kind schon immer langweilig", sagt er. Ihn fand man nicht vorm TV, sondern im Fußballkäfig. Das gibt er auch dem Nachwuchs mit: „Ein bisschen weniger Fifa, lieber mal selbst rausgehen und üben." Die Kinder hören ihm zu, selbst wenn die meisten ihn nicht kennen. Als er in der Bundesliga spielte, waren sie gerade zwei Jahre alt.
Freundschaften sind aus dieser Profi-Zeit nicht übrig geblieben, nur lose Kontakte zu Fabian Lustenberger oder Shervin Radjabali-Fardi. Sie waren damals die jungen, vielversprechenden Hertha-Talente, so wie es heute Arne Maier oder Dennis Jastrzembski sind. Hartmann gönne es jedem, der es schafft, sagt er: „Alle sollten trotzdem auch auf ein zweites Standbein setzen." Ihm selbst habe das Scheitern letztlich sogar Kraft gegeben, das viele Auf und Ab, und dass er es durchgestanden hat.
Ein bisschen kickt er sogar selbst noch, unter Thomas „Icke" Häßler bei Berlin United in der Landesliga. Nur trainieren darf er nicht, damit seine Hüfte nicht zu sehr belastet wird. „Die Mitspieler wissen um meine Lage", und mit Häßler sei alles abgesprochen. Wenn er da ist, dann spielt er, auch wenn er „nicht mehr der Schnellste und auch nicht mehr der Fitteste" ist.
Der Sport hat ihm trotz allem viel gegeben - und tut das immer noch. Seine Erfahrungen will er mit den Kindern und Jugendlichen teilen. „Sohlentrick links, Sohlentrick rechts": Einer der Viktoria-Jungen stolpert über den Ball. „Oh, Neymar war das noch nicht", ulkt Hartmann. Auch über das Wiederaufstehen hat er einiges zu erzählen.
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