Mit 54 Toren ist er Berlins bester Torjäger. Lamprecht wuchs mit Löwen auf, scheiterte bei Hertha und ist bald Soldat in Mali.
Berlin. Benjamin Lamprecht humpelt in einem blauen Superman-Einteiler aus der Kabine in Richtung Spielfeld. Er hatte sich mal wieder viel vorgenommen. Wie immer, eigentlich. Der 26-Jährige ist geradezu getrieben von seinem Ehrgeiz: „Ich kann nicht verlieren", sagt er selbst. Mit 54 Toren in 23 Spielen hat er in dieser Saison mehr Tore geschossen als jeder andere Fußballer in Berlin.
Erstaunlich ist das schon, überraschend aber nicht. Schon die Scouts von Hertha BSC erkannten einst das Talent vom heutigen Kreisliga-Stürmer des MSV Normannia. Von der D- bis zur B-Jugend spielte Lamprecht für den Bundesligaklub, bis die Trainer der Meinung waren, er sei zu klein und schmächtig für eine Karriere als Profi-Fußballer. „Das war hart, da sind Tränen geflossen", erinnert sich Lamprecht. Sowieso lief in seinem Leben nicht alles wie erhofft.
Nach der Trennung seiner Eltern zog der damals neun Jahre alte Benjamin zu seinem Vater - in den Zoo. Denn dort war der Papa Elektriker, wohnte in einer Betriebswohnung auf dem Gelände. Auf dem Weg zur Schule musste Lamprecht stets an den Gehegen vorbei, in denen er nach der Schließung häufig spielte: mit Löwenbabys, Würgeschlangen und Gorillas. „Das war schon echt eine coole Zeit", erzählt Lamprecht und muss lächeln beim Gedanken daran.
Mittlerweile ist er selbst Vater, lebt getrennt von Kind und Mutter, und hat eine Karriere bei der Bundeswehr eingeschlagen. Als angehender Feldwebel kümmert er sich um die Informationstechnik und verwaltet die Hardware. Eine „heizungsnahe Verwendung", scherzt der Stürmer. Viel Bewegung habe er in dem Bürojob nicht und zum Training könne er unter der Woche auch nicht, was seine Torquote umso erstaunlicher macht.
Doch möglicherweise ist es auch mit dem Toreschießen bald vorbei. Zumindest vorerst. Denn auch für ihn ist ein Auslandseinsatz Pflicht, erst kürzlich hat er sich auf eine Stationierung in Mali beworben, dem aktuell größten Auslandseinsatz der Bundeswehr.
„Afrika interessiert mich, die ganze Kultur, ich freue mich darauf", sagt Lamprecht. Natürlich habe er Respekt vor dem Einsatz, sagt er, Angst dagegen nicht. Trotzdem: In einer Kampfeinheit eingesetzt zu werden, habe er sich nie vorstellen können. Denn Kämpfen will Lamprecht nur noch an einem Ort: „Auf dem Fußballplatz."
So wie sein Gegenspieler vom SC Lankwitz, der ihn am vergangenen Sonntag auf dem mit weißen Hütchen und roten Pylonen abgesteckten Rasenplatz bereits in der zehnten Minute ungestüm gegen das rechte Bein trat und verletzte. Mit schmerzverzehrtem Gesicht hielt sich der Kreisliga-Stürmer den rechten Knöchel.
Als auch eine halbe Flasche Eisspray keine Besserung brachte, ließ Lamprecht seinem Frust freien Lauf, warf seine Schuhe erst gegen den Zaun, dann mit voller Wucht auf den Boden, gefolgt von einem lauten Fluch. Erst der Trost der Freundin brachte ihn etwas runter. Die vom Trainer vorgegebenen 60 Tore wird der Berufssoldat damit nicht mehr erreichen können, für ihn ist die Saison schon drei Spieltage vor Ende gelaufen. Eigentlich war sie das vorher schon.
Vor fünf Wochen zog sich Lamprecht einen Muskelfaserriss zu, spielte aber weiter. Vor drei Wochen folgte, wenig überraschend, die nächste Diagnose: Muskelbündelriss, absolutes Sportverbot, ohne Wenn und Aber. Das Problem: Der Aufstieg war zu diesem Zeitpunkt noch nicht geschafft. Also wickelte sich Lamprecht, wie auch an diesem Sonntag in Lankwitz, einfach einen Druckverband um den Oberschenkel.
„Er hat eine Klatsche", sagt Trainer Sascha Wleklinski über seinen Stürmer - und stellte ihn dennoch weiter auf. So lange er laufen könne, spiele er auch, meint der Torjäger, und nahm in der Folge einfach das linke Bein zum Schießen. Es machte keinen Unterschied.
In den zwei Spielen nach der Diagnose schoss Lamprecht sechs Tore, darunter beim 2:1-Sieg gegen SFC Friedrichshain die beiden entscheidenden zum Aufstieg in die Bezirksliga. Irgendwie verwundert es kaum, dass Lamprecht, ein Soldat der einen Superman-Einteiler trägt und als Kind aus Spaß mit Löwenbabys gekämpft hat, mit einem Muskelbündelriss im Oberschenkel mehr Tore als jeder andere Stürmer in dieser Millionenstadt schießt.
Die 54 Tore haben unterdessen auch andere Vereine aufhorchen lassen. Er habe teils hoch dotierte Vertragsangebote aus der Brandenburg-Liga erhalten, die finanziell „weit über Hartz-IV" hinaus gingen. Aber Lamprecht ist ein Familienmensch, er schätzt das vertraute Umfeld in Wittenau, auch im Verein. Vergangene Woche hat er der Mannschaft allen Verlockungen zum Trotz versprochen, zu bleiben. „Wenn du so einen Mann in deiner Mannschaft hast, musst du froh sein", sagt Normannia-Kapitän Steve Langer.
Wie wichtig er für diese Mannschaft ist, war am Sonntag deutlich zu sehen. Ohne den Mann, der bisher mehr als die Hälfte aller Tore seiner Mannschaft erzielt hat, setzte es gegen den Abstiegskandidat aus Lankwitz mit 2:6 die erste Saison-Niederlage. Hinzu kamen vier weitere verletzte Spieler, drei davon bei Normannia, einer beim SC Lankwitz, eine gelb-rote Karte und ein des Feldes verwiesener Sascha Wleklinski.
Der Normannia-Trainer hatte den Schiedsrichter beleidigt, nachdem dieser nach einem Foul auf Vorteil entschied - für Normannia. Lamprecht kommentierte die Geschehnisse kopfschüttelnd vom Spielfeldrand aus: „Ohne Worte." Es war für ihn ein Tag zum Vergessen. In seinem Superman-Outfit humpelte Lamprecht nach Abpfiff davon - nur Fliegen kann er dann doch nicht.
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