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Ein Mord, der nie geklärt wurde

Als Melek Bektas die Gedenktafel ihres ermordeten Sohnes enthüllt, überkommt sie wieder der Schmerz. Sie entflieht der Menschentraube, in dessen Mitte sie eben noch stand, atmet tief durch, die Lippen zittern, ihre Tränen kann sie nicht aufhalten. Burak Bektas wurde am 5. April 2012 auf der Straße erschossen. Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln seither - ohne Ergebnis. Inmitten des Gedenkens werden die Vorwürfe lauter. Es geht um Rassismus, die NSU-Morde und einen verurteilten Tatverdächtigen.

Es war damals dunkel, als Burak Bektas mit vier Freunden in der Nähe der Bushaltestelle Klinikum Neukölln stand. Plötzlich, wie aus dem Nichts, kam ein Mann zu ihnen, zog eine Waffe und schoss. Ohne Vorwarnung. Bis heute gibt es weder ein Motiv noch eindeutige Spuren. Der Täter verschwand so schnell im Dunkeln, wie er erschienen war - und ist wohl noch auf freiem Fuß.

„Die Ungewissheit ist eine Last in unserer Familie", sagt Buraks Bruder Fatih. Er hoffe weiter, dass der Mörder eines Tages gefasst werde. „Nur leider ist sehr viel Zeit vergangen." Dabei hatte es bereits einen Tatverdächtigen gegeben: Rolf Z. Ein Mann, der in der Nähe gewohnt und oft mit Waffen hantiert haben soll. Jener Z. hatte im September 2015, ebenfalls in Neukölln, einen Engländer mit einer Schrotflinte erschossen. Auch hier ist das Motiv unklar, das Gericht urteilte auf elf Jahre und sieben Monate Haft. Z. soll bekennend ausländerfeindlich sein. Es ist das einzige Motiv, das Familie Bektas sowie deren Freunden und Unterstützern wahrscheinlich erscheint. Ihre These: So unvermittelt wie den 31-jährigen Luke Holland könnte Z. auch Burak getötet haben. Und so fiel das Wort Rassismus häufig am Sonntagnachmittag am Gedenkort an der Rudower Straße Ecke Möwenweg. Ulrich Schmidt von der Initiative „Für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektas", die von engagierten Mitmenschen zur Unterstützung der Familie ins Leben gerufen wurde, sagt: „Wir sehen einen möglichen Zusammenhang zwischen der Selbstenttarnung der NSU und, einem halben Jahr später, der Tat an Burak." Die Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) hatten bis 2007 mehrere Menschen mit Migrationshintergrund ermordet. Die Beschreibungen von Buraks Freunden, die in jener Nacht den Angriff des fremden Mannes überlebt hatten - zwei von ihnen schwer verletzt - passten jedenfalls zum vermeintlich rechten Z., sagt Fatih. Doch es bleibt das, was es schon seit fünfeinhalb Jahren ist: Spekulation, denn Beweise fehlen. „Ich kann keinen konkreten Vorwurf erheben", muss Fatih zugeben. Was der Familie bleibt, ist die Anteilnahme der Menschen.

Etwa 100 waren am Sonntag gekommen, Burak zu gedenken. Die Enthüllung der goldenen Tafel war schon die zweite Veranstaltung der Initiative an der Gedenkstätte, die auch ein Mahnmal gegen Rassismus werden soll. Im April dieses Jahres war der Sockel für die Bronze-Skulptur präsentiert worden, die am 5. April 2018 montiert werden soll. Dann jährt sich Buraks Todestag bereits zum sechsten Mal.


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