Bier trinkende Soldaten, an ihrer Seite Frauen in langen Kleidern, deren Zöpfe zu Countrymusik wippen. Dazu stets der Geruch von gegrillten Steaks in der Nase. So stelle ich mir das Deutsch-Amerikanische Volksfest während der Besatzungszeit vor. Ich frage mich, ob es damals so war und wie viel davon heute noch übrig ist.
Bei warm-sonnigen Wetter schlendern Familien im Marienpark von Fahrgeschäft zu Fahrgeschäft. Es ist voll, aber erträglich am Eröffnungstag. Überall begegnen mir große Kinderaugen, die begeistert auf ein Kettenkarussell oder ängstlich auf eine Geisterbahn starren. Ich versuche mich als Erstes im Bogenschießen. „Eher nichts für Kinder", denke ich, „so schwer wie das geht." Drei Pfeile, keiner sitzt, schnell weiter.
Im hinteren Teil des Geländes steht das „Dorf", ein Platz mit einer großen Bühne, gesäumt von hölzernen Imbiss- und Getränkebuden. In der Mitte steht eine Freiheitsstatue, die einen roten Männerslip trägt. Plötzlich fährt ein alter Militärjeep vor. Darin sitzen winkend Veranstalter Thilo-Harry Wollenschlaeger und die im März von ihrer Weltreise zurückgekehrte Rallyefahrerin Heidi Hetzer. „Jetzt sind wir wieder da, an einem Ort, wo die Amerikaner Schutzmacht waren", jubelt Wollenschlaeger den Festbesuchern zu. Dreimal musste das Volksfest mittlerweile umziehen: vom Hüttenweg zur Argentinischen Allee, von dort, raus aus dem ehemals amerikanischen Sektor, in die Nähe des Hauptbahnhofes in Mitte, mit der Folge, dass es 2016 gar kein Deutsch-Amerikanisches Volksfest mehr gab. Nun abermals eine Neuauflage, dieses Mal in Mariendorf. Die Organisatoren hoffen auf eine halbe Million Besucher.
Bei genauerem Hinschauen fällt jedoch auf: Authentisch amerikanisch ist es kaum. „Wir sind mit den Amerikanern groß geworden", erzählen mir Gabi Stippa und Winfried Zühlke. Mit acht und zehn Jahren seien sie das erste Mal auf dem Volksfest gewesen. Heute sind sie 55 und 56. Es sei „ein normaler Rummel" geworden, meint Zühlke. Dabei wünscht er sich statt eines Volksfestes ein Kulturfest, mit Countrymusik und Cowboys. „Es sind überall Plakate, wie es sein könnte, aber es ist nicht so", klagt der Berliner. Tatsächlich hängen zwar überall Amerikaflaggen, waschechte US-Amerikaner treffe ich hingegen fast keine.
Dafür komme ich mit der Getränkestand-Betreiberin Irene Simmons ins Gespräch: Sie hat einen ehemaligen US-Soldaten geheiratet, den sie vor vielen Jahren auf dem Volksfest kennengelernt hat. „Die Soldaten sahen alle aus wie professionelle Footballspieler", erinnert sie sich. Zwischen ihnen sei sie sich immer klein vorgekommen. Das Flair von damals könne das Fest heute nicht mehr haben, sagt sie. Wollenschlaeger habe sich zwar größte Mühe gegeben, aber: „Wenn die Amerikaner weg sind, dann fehlt natürlich etwas." Mit Cheerleadern, Livebands sowie einer Waffen-, Geräte- und Autoschau versucht der Veranstalter, das auszugleichen.
Wollenschlaegers Vater hatte das Volksfest 1961 ins Leben gerufen, für einen Kulturaustausch zwischen den in Berlin stationierten amerikanischen Soldaten und den Einheimischen. Am letzten Tag des ersten Volksfestes, dem 13. August 1961, begann der Bau der Berliner Mauer.
Für mich gilt es als Nächstes, das Rodeo zu überstehen. In der Bingohalle leihe ich mir einen Cowboyhut, dann geht es auf den Elektrobullen. Erschreckend schnell muss ich feststellen: Sich darauf zu halten, ist schwerer, als es aussieht. 30 Sekunden später liege ich auf der Matte. Animiert von meiner Flugeinlage wollen nun auch andere ihr Glück versuchen. „Yee-haw" schallt es mir nach - Zeit für ein Bier. An einem Getränketruck kaufe ich mir ein Bud-Light, und für einen Moment fühle ich mich wieder zurückversetzt in das Jahr 2007, als ich für ein Jahr Austauschschüler in den USA war. Das Bier schmeckt noch genauso mild-wässrig wie damals. Mir wird klar, warum die Menschen bis heute gern kommen, auch wenn es größtenteils nur noch ein Deutsches Volksfest mit USA-Deko ist: Nostalgie.
Auf der Bühne spielt derweil Wayne Graneda eine Mischung aus Rock und Soul. „Der spricht total schlecht Deutsch, richtig authentisch", scherzt Fan und Musiker Stefan „Gibbi" Franzen. Er sei schon als Jugendlicher immer auf dem Volksfest gewesen. „Mittlerweile", meint Franzen, „hat es schon wieder einiges von dem, wie es früher war." Seiner Meinung nach gehört es auf den früheren Flughafen Tempelhof.
Das Tempelhofer Feld fasst rund 300 Hektar, das Volksfest benötigt 60.000 Quadratmeter. „Aber da kriegen die Politiker gleich Ausschlag", meint Veranstalter Wollenschlaeger leicht säuerlich. Dabei ist auch die Zukunft des Geländes im Marienpark mehr als unsicher. Wie das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg mitteilte, soll auf dem Grundstück „ein Gewerbegebiet mit besonderem Charakter" entstehen. „Schausteller werden mehr als stiefmütterlich behandelt in dieser Stadt", sagt Wollenschlaeger, der gern Planungssicherheit hätte.
Für mich endet der Besuch mit dem Anbruch der Dunkelheit und einer „Breakdance"-Fahrt. Mit einem flauen Gefühl im Magen wandere ich durch die flackernden Lichter der Ausstellerbuden Richtung Ausgang und denke: „Amerika ist auch nicht mehr das, was es mal war."
Bis zum 13. August hat das 56. Deutsch-Amerikanische Volksfest täglich ab 14 Uhr geöffnet. Lankwitzer Str. 45-57 . Informationen unter deutschamerikanischesvolksfest.de.
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