Ich halte die Verengung auf Industrie 4.0 für den deutschen Kastraten der Digitalisierung. Damit sind wir auf dem Holzweg. Denn im Grunde genommen optimieren wir damit nur die Produktion. Das ist nur inkrementelle Innovation und keine Geschäftsmodell-Innovation. Die Amerikaner beherrschen zunehmend auch die Industrie 4.0, aber ihr Fokus liegt auf der Entwicklung von Smart Services. Da entstanden Plattformen wie Airbnb oder Amazon und mehr: Google und Apple bauen bereits smarte Autos. Solche digitalen Geschäftsmodelle werden vermutlich schon bald eine dominante Rolle übernehmen. Deutschland steht in diesem Bereich relativ schlecht da. Gleichzeitig kommt der chinesische Maschinen- und Anlagenbau der Tüchtigkeit unserer Fabrikate inzwischen gefährlich nahe. Wir drohen also in einem Sandwich zwischen diesen zwei Weltregionen zu landen.
Woran liegt das? Hat Deutschland die Entwicklung von Smart Services verschlafen?
Eine Ursache ist wohl die sogenannte Pfadabhängigkeit: Die meisten Unternehmen, gerade erfolgreiche Mittelständler, sind den bisher erfolgreichen Weg weitergegangen und haben dabei nicht nicht links und nicht rechts geschaut. Irgendwann müssen sie dann feststellen, dass der Wettbewerb schräg und disruptiv über ihre Branche hinwegfegt. Hinzu kommt, dass wir in der Hochschulbildung zu sehr auf Maschinenbau und Ökonomie gesetzt haben - das heißt, vor allem auf die Effizienz von Technik und Geschäft. Andere Länder wie Frankreich, Schweden und die USA haben dagegen ihre Bildungssysteme deutlich breiter gehalten und die Disziplinen stärker miteinander vernetzt. Jetzt erleben wir die Konsequenzen: Beim Thema Innovationen haben wir in Deutschland eine signifikante Strukturschwäche. Das belegen die letzten Reports der KFW und des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung. Die Zahl innovativer deutscher Unternehmen ist stark zurückgegangen. Es gibt kaum neuartige Geschäftsmodelle, und einen erheblichen Rückgang von Produktinnovationen. Nur wenn es um Effizienz- und Prozessinnovation geht, halten wir einigermaßen mit. Das ist die Stärke deutscher Ökonomen und Betriebswirte.
Die USA haben im Bereich der digitalen Geschäftsmodelle bereits einen großen Vorsprung. Was muss sich in Deutschland ändern, damit unsere Unternehmen wieder wettbewerbsfähig werden?
Die erste Halbzeit ist verloren. Wir müssen jetzt radikal aufholen im Bereich der digitalen Kompetenzen. Und damit meine ich nicht das Nutzen von Social-Media-Kanälen, sondern - über embedded Software-Lösungen hinaus - die Entwicklung von digitalen Plattformen und Geschäftssystemen. Parallel dazu müssen Firmen ihre Arbeitskultur reformieren. Die meisten Unternehmen werden nach wie vor außerordentlich hierarchisch geleitet. Doch enge Führung tötet Innovationskraft. Wenn das Ziel Innovation und nicht nur Effizienz ist, muss sich die Arbeitskultur öffnen - für Ideen, die von außen reinkommen. Das Ziel ist 'Open Innovation', aber auch das Nutzen von Schwarmintelligenz. Unternehmen sollten sich zudem für Diversity, für echte Vielfalt, öffnen. Und hier es geht nicht nur um gleiche Chancen für Frauen und Männer, internationale Mitarbeiter oder Menschen unterschiedlicher Altersgruppen, wichtig ist, dass Menschen mit verschiedenen Denk- und Problemlösungsstilen zusammenkommen und quasi ein Biotop für die Entwicklung von Neuem entsteht. "Selbstbestimmung, Fantasie und Humor sind entscheidend für die Entwicklung von Innovationen"
Mit der Unternehmenskultur ändert sich auch die Rolle der Mitarbeiter. Welche Kompetenzen und Qualifikationen brauchen Beschäftigte in Zukunft?
In der neuen Arbeitswelt sind Begrifflichkeiten aus dem Kohlebergbau wie Beschäftigte oder Angestellte passé. Diese Ausdrücke beinhalten doch schon Unfreiheit. Passender wären die Bezeichnungen Mitarbeitende oder Unternehmensbürger. Menschen müssen künftig souveräner mitentscheiden können, wann, wo und mit wem sie an was arbeiten. Selbststeuerungskompetenz wird dafür immer wichtiger sowie Fantasie und Humor. Innovationen entstehen erst durch Assoziationen und das Übersetzen von Vorhandenem in neue Kontexte. Allein mit logischem Denken oder analytischem Problemlösen werden wir nichts Neues entwickeln.
Müssen Unternehmen dafür auch noch stärker zu Orten des Lernens werden?
Ja. Damit das gelingt, muss allerdings auch das Wissen aller im Unternehmen transparenter werden. Denn es geht weniger darum, Volkshochschulen in den Firmen zu errichten. Lernen und Arbeiten müssen miteinander verwoben werden. Dafür benötigen die Menschen Raum und Zeit, sich mit kreativer Bildung und Arbeit auseinandersetzen. Gleichzeitig brauchen wir Führungskräfte, die das auch honorieren und bei dem Thema selbst gute Vorbilder sind. Das Ziel muss sein, dass es das vernetzte, andere Wissen auf die Vorderbühne schafft und zu intelligenteren Managemententscheidungen führt.
Wie kann unser Bildungssystem auf die neuen Herausforderungen reagieren und die Menschen auf die künftigen Aufgaben und Herausforderungen vorbereiten?
Schulen und Hochschulen sind aus meiner Sicht ähnlich zu Effizienzmaschinen verkümmert, wie die Firmen. Denn die Bildungsreformen der letzten zwei Jahrzehnte haben nur formale Input-Output-Relationen verbessert, aber nicht die Kreativität gesteigert. Insofern stellt sich die Frage, inwiefern Fab-Labs, Maker-Garagen, Produktionshäuser oder das Lernen auf der Straße für unsere Zukunftsfähigkeit relevanter werden. Die Bedeutung informell erworbener Kompetenzen ist längst bekannt. Wir müssen also schauen: Gibt es kreative Ökologien in Deutschland? Gibt es zum Beispiel zusammen mit Hochschulen und Schulen High-Tech-High-Touch-Gründungsinitiativen oder Einrichtungen wo Schüler und Studenten gerne sind und ihre Freunde treffen? Wo hat man Spaß an der Veränderung der Dinge? Diese Art von Lern-Ökologien müssten geschaffen oder gestärkt werden. Denn die innovativen Hotspots der Welt sind genau die Metropolen und Regionen, wo Gemeinschaftsgefühl, Technologie und Unternehmertum zusammenkommen.
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