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Fließende Männer, strömende Frauen

"Le Rhône" hat ihren seit jeher männlichen Namen (lateinisch "rhodanus") behalten. Foto: Schmidt

 Die meisten Flussnamen in unserem Sprachraum sind weiblichen Geschlechts, etliche aber auch nicht – seltsam eigentlich. Wie entstehen Flussnamen überhaupt? Und warum haben Flüsse entlang ihres Laufs nicht ganz verschiedene Namen, sondern meist nur einen? Fragen über Fragen, hier die Antworten.

 

Von Walter Schmidt

 

Wasser rinnt, der Rhein auch. Das ist kein Wunder, denn sowohl das Verb rinnen als auch der Name des größten deutschen Flusses gehen wahrscheinlich auf die indogermanische Wortwurzel rei zurück, die fließen oder eben rinnen bedeutet. Schon die alten Kelten am Rhein jedenfalls nannten ihn Renos, die Römer dann Rhenus – bei ihnen trugen alle Flüsse lateinische Namen männlichen Geschlechts. Und so heißt der Rhein auch bei den Franzosen le Rhin, also der Rhein, obwohl sonst in Frankreich einem Flussnamen meist der weibliche Artikel vorangeht.

Dafür, ob Flüsse quasi männlich oder weiblich sind, „gibt es keine verlässliche Regel, sondern allenfalls eine Tendenz: Etwa drei von vier Flüssen im deutschen Sprachraum tragen weibliche Namen“, sagt der Sprachwissenschaftler Albrecht Greule von der Universität Regensburg, dessen „Deutsches Gewässernamenbuch“ im Januar 2014 erscheinen wird. Und noch etwas lässt sich sagen: Je länger der Fluss, umso größer die – nach wie vor bescheidene – Wahrscheinlichkeit, dass sein Name männlichen Geschlechts ist. So finden sich in der Größenklasse „100 Kilometer plus“ immerhin acht männliche Flüsse, nämlich Rhein, Neckar, Main, Kocher, Inn, Lech, Regen sowie Rhin, ein Nebenfluss der Havel. Auffällig auch, dass diese Flüsse vorwiegend in der Südhälfte Deutschlands fließen. Doch auch bei den über 100-km-Flüssen sind die meisten Namen weiblich – warum auch immer.

In Süd- und Südwestdeutschland sowie in Österreich mag das schon daran liegen, dass viele Flüsse den Wortbestandteil -ach (althochdeutsch: aha für Fließgewässer) in sich tragen, der mit dem lateinischen aqua verwandt ist und jeden Fluss quasi zur Frau macht, etwa die Salzach, die Schwarzach oder die wilde Ötztaler Ache. Zudem hatten früher viele Bäche, die heute männlichen Geschlechts sind, weibliche Namen. So kennen Historiker die „Schlacht an der Katzbach“, bei der Preußen und Franzosen 1813 in Schlesien aufeinander schossen. Bis heute sagen in manchen Dialekt-Regionen alte Menschen noch die statt der Bach, was dazu passt, dass auch Beeke oder Bäke, zwei niederdeutsche Bezeichnungen für Bach, weibliches Wortgeschlecht aufweisen.   

Die meisten unserer Gewässernamen bestehen aus zusammengesetzten Wörtern, nämlich aus einem vorangestellten Teil, der das Gewässer näher beschreibt, und einem angehängten Grundwort, das es einer bestimmten Gattung zuordnet, so wie bei -bach oder -ache, aber auch bei -see. Oder wie im Spanischen bei Rio Grande oder Rio Tinto. Dort allerdings reitet der Gattungsbegriff Rio voran und macht, da selbst maskulin, alle Flüsse männlich.

Bei Seen wird das Grundwort manchmal weggelassen, wodurch aus dem Stechlinsee einfach der Stechlin wird – unabhängig von Geschlecht dieses Wortteils. Ähnliches kann in unseren Tagen auch bei einem Bach geschehen, wenn umgangssprachlich aus dem Murmelbach mit der Zeit schlicht „der Murmel“ wird, und zwar über die sich einschleifende Verkürzung: „Wir gehen runter zum Murmel“ statt „...zum Murmelbach“. Und das, obwohl die Murmel ja weiblich ist.

Sächlichen Geschlechts sind Flussnamen in unserem Sprachraum nie, was auf den ersten Blick seltsam anmutet, wo doch durch alle Flüsse das geschlechtsneutrale Wasser rinnt und Namen für Feuchtgebiete wie das Moor oder das Bruch ebenfalls sächlich sind, etwa im Falles des Oderbruchs oder des Maudacher Bruchs in Ludwigshafen. Offenbar scheint Wasser, das fließt und nicht etwa bloß sumpfartig steht und blubbert, kein Neutrum sein zu wollen. Doch der Freiburger Namenforscher Konrad Kunze weist darauf hin, dass Moor und Bruch eben keine Eigennamen, sondern Gattungsbegriffe sind. Salopp gesagt, gehören sie also in eine andere Schublade als individuelle Flussnamen wie Neckar oder Werra. Auch das Teufelsmoor bei Worpswede wird unverwechselbar erst durch den vorangestellten Teufel, nicht durch seine Zugehörigkeit zu den Mooren. Ursprünglich hieß es übrigens doofes – im Sinne von taubes – Moor.

Viele Gewässernamen, gerade die der Ströme und großen Flüsse, sind Jahrtausende alt, und auch Gottheiten oder Wassernixen mögen in ihren Namen weiterleben, doch „ich bin da äußerst vorsichtig, weil wir das sprachwissenschaftlich einfach nicht beweisen können“, urteilt der Gewässernamen-Fachmann Albrecht Greule. Möglich, dass der Fluss selbst als Gottheit verehrt wurde, denkbar aber auch, das irgendwo an seinem Ufer ein Heiligtum lag, an dem jemand bloß lokal vergöttert wurde, bis irgendwann der ganze Fluss so hieß.

 

Der Name des Neckars zum Beispiel bedeutet so viel wie „der Wütende“ oder der „Losstürmende“, abgeleitet aus dem indogermanischen Wort neik oder nik. Da der Neckar kein rasender Gebirgsfluss ist, mag man das als Namen eines früher verehrten Wesens oder einer alten Gottheit deuten, doch zwingend ist dieser Schluss nicht. Eher wird in vielen Fällen die Landschaft den Namen jenes Baches oder Flusses geprägt haben, der sie durchströmte, „wahrscheinlich aufgrund geographischer Besonderheiten entlang des Flusslaufs, auf die man heute gar nicht mehr ohne Weiteres zurückschließen kann“, vermutet Greule.

Jedenfalls muss, wer Gewässernamen erhellen möchte, weit zurückblicken, denn sie „sind meistens die ältesten geographischen Namen, die wir in Europa haben, viel älter als die Namen der Städte“, sagt Jürgen Udolph, Leiter des Zentrums für Namenforschung in Leipzig. Verantwortlich dafür sei schlicht der Umstand, dass Flüsse ihrer Länge wegen seit jeher für viel mehr Menschen von Bedeutung gewesen sind als örtlich begrenzte Dörfer oder auch Städte.

Ist ein Flussname erst einmal fest in einer Sprachgemeinschaft verankert, dann bleibe er „darin lange und fast unverändert bestehen“. Ein Ort hingegen – und mit ihm sein Name – konnte im Lauf der Geschichte durch Kriege oder Pestepidemien wüstfallen und verschwinden. Udolph zufolge „haben wir in Niedersachsen mehr Wüstungen als heute noch bestehende Orte“. Flüsse indes verschwinden höchst selten. Als Faustregel, natürlich mit Ausnahmen, könne gelten: „Je länger ein Fluss, umso älter ist sein Name.“ Derzeit gehe man davon aus, dass viele Flussnamen „im zweiten vorchristlichen Jahrtausend“ entstanden, also über 3000 Jahre alt sind.

 

c/o Walter Schmidt, Bonn, 2013


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