Neonazis und Kriegsnostalgiker pilgern zum Grab von Großadmiral Karl Dönitz. Und die Öffentlichkeit schaut weg.
Neonazis und Kriegsnostalgiker pilgern zum Grab von Großadmiral Karl Dönitz. Und die Öffentlichkeit schaut weg.
In Aumühle bei Hamburg scheint die Zeit mitunter stillzustehen. Unweit von hier hat Otto von Bismarck seine letzte Ruhe gefunden. Das Reich ist längst Geschichte, doch hat sein Gründer eine Stiftung und ein Museum hinterlassen. Gewöhnlich ist nicht viel los am Rande des Sachsenwaldes. Am Totensonntag im November dieses Jahres jedoch, während die Republik auf die „Zwickauer Terrorzelle" und das mit ihr verbundene Behördendebakel schaute, fand auf dem Waldfriedhof Aumühle-Wohltorf eine merkwürdige Zusammenkunft statt.
Ein Kranz der NPDVon der Öffentlichkeit unbemerkt trafen sich dort knapp 30 Personen. In kleinen Grüppchen seien sie über den Friedhof gelaufen und hätten sich vor einer Ruhestätte versammelt, erinnert sich eine Anwohnerin. Ein Kranz der NPD wurde niedergelegt, ehe man zum Kriegerdenkmal weiterzog. Die Dame hatte ein „Heldengedenken" norddeutscher Neonazis am Grab von Großadmiral a.D. Karl Dönitz beobachtet.
Schon bei der Beerdigung des letzten Oberbefehlshabers der deutschen Kriegsmarine vor dreißig Jahren war es auf dem Friedhof mit der Ruhe vorbei. Viertausend Trauergäste kamen, um Dönitz das letzte Geleit zu geben. Die Presse listete die Kranzschleifen auf: Veteranenverbände der Marine, Wehrmacht und Waffen-SS, die „Nationalzeitung" und Rudolf Hess rühmten den Verstorbenen. Die Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger hielt die Ehrenwache, auch die heute verbotene Wiking-Jugend marschierte auf. Angehörigen der Bundeswehr war die Teilnahme an der Zeremonie in Uniform vom Verteidigungsministerium verboten worden.
Die Anwohnerin kann sich noch gut an das Begräbnis erinnern. Auch in ihrer Verwandtschaft band man sich damals das Ritterkreuz um und erwies dem Großadmiral seine Referenz. Doch mit dem Ableben der Generation der Kriegsteilnehmer, hoffte sie, würde die Verehrung verschwinden. Am vergangenen Totensonntag waren es jedoch junge Leute und nur wenige alte, die dort am Grab sangen: „Ich hatt' einen Kameraden, einen bessern findst Du nicht ..." Die Dame wirkt nicht, als ob sie sich leicht einschüchtern ließe, aber diese Szene war ihr unheimlich.
Problematik bei Polizei bekanntAuf dem zuständigen Polizeirevier ist man sich der Problematik bewusst. „Das Grab ist bei einer speziellen Klientel bekannt", heißt es auf Nachfrage. Aber zumindest nach außen hin sei es ruhiger um das Grab geworden, noch in den Neunzigern hätte es uniformierte Aufmärsche gegeben. Von der Kranzniederlegung habe man zwar erfahren, aber keine Veranlassung gehabt, ihr nachzugehen. Außerdem, so sinniert der Beamte, habe er gehört, dass es auch Leute gäbe, die Gründe hätten, dem Verstorbenen dankbar zu sein.
Damit spielt er auf die „Operation Hannibal" an, bei der die Marine im Januar 1945 unzählige Flüchtlinge aus Ostpreußen evakuierte. Bis heute speist sich aus ihr die Verehrung für Dönitz. Diese Legende unterschlägt allerdings, dass 1944/45 frühzeitige die Räumung Ostpreußens von der politischen und militärischen Führung des Reichs so lange verhindert worden war, bis nur der Seeweg blieb. Auch standen, wie der Marinehistoriker Dieter Hartwig schreibt, für die Seekriegsleitung bis zum Schluss stets die Kampfhandlungen im Mittelpunkt, während die Rettung von Zivilisten meist auf Eigeninitiative von Kommandanten und Mannschaften zurückging.
Ohnehin hatte Dönitz seine Karriere nicht als Kommandant von Rettungsbooten gemacht, sondern zählte zu den deutschen Militärs, die für ihren „Führer" den Krieg gewinnen wollten. Er war überzeugter Nationalsozialist und Bewunderer Hitlers. Also solcher sollte er ab Mitte der Dreißigerjahre die deutsche U-Bootwaffe neu aufbauen. Im Zweiten Weltkrieg wurde diese erst zur Bedrohung für alliierte Konvois und schließlich für die eigenen Mannschaften. Fast 30.000 U-Bootfahrer kamen nicht zurück. Für Dönitz aber zahlte sich die Treue zum Nationalsozialismus aus: Er wurde Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, bekam das Eichenlaub zum Ritterkreuz sowie das Goldene Parteiabzeichen der NSDAP verliehen. Hitler bestimmte ihn schließlich testamentarisch zu seinem Nachfolger. Als Chef der „Amtierenden Reichsregierung" setzte er auf einen Separatfrieden mit den Westalliierten, doch blieb ihm nicht viel mehr als die Kapitulation. Sein Glaube an die „wahre Volksgemeinschaft", die nur der Nationalsozialismus geschaffen habe, litt unter der Niederlage kaum. Er versuchte sogar, ein Verbot der NSDAP zu verhindern. Vom Internationalen Militärgerichtshof zu zehn Jahren Haft verurteilt, leugnete Dönitz auch nach der Entlassung jede Verantwortung. Er sah sich als Soldat, der nur seine Pflicht getan hatte.
Fester Bestandteil der rechten SzeneHeute wird er von der rechten Szene verehrt. „Heldengedenken", wie es im Jargon des Nationalsozialismus hieß, ist fester Bestandteil ihrer Traditionspflege. Immer wieder kommt es vor allem zwischen Volkstrauertag und Totensonntag zu Aufmärschen und Kranzniederlegungen an Soldatenfriedhöfen und Kriegerdenkmälern, nicht selten auch am Rande offizieller Feierlichkeiten. In Schleswig-Holstein stehen neben dem Dönitz-Grab vor allem das Marinemal an der Kieler Förde und der Lübecker Ehrenfriedhof bei NPD und „freien" Neonazis hoch im Kurs. Zur Vermeidung von Protesten halten die braunen Kameraden ihr Treiben mittlerweile lieber im Verborgenen. Man agiert dezentral und klandestin, Propaganda wird mit den Besuchen nur in eingeweihten Zirkeln betrieben. In den Internetforen der „freien Nationalisten" Schleswig-Holsteins ist für den Volkstrauertag 2011 von vier weiteren Gedenkfeiern, meist an Kriegerdenkmälern, die Rede. Hamburger Neonazis hielten eine ähnliche Veranstaltung ab.
Die Pressestelle der Polizei in Lübeck bestätigt, dass es zu Versammlungen in Aumühle kommt. Da keine Straftaten vorliegen, hält man sich bedeckt. 2008 finden solche „Heldengedenken" im Verfassungsschutzbericht Schleswig-Holsteins Erwähnung. Doch auch anlässlich des Geburtstages von Dönitz kam es wiederholt zu Versammlungen am Grab. 2006 marschierte der „Bund Junges Ostpreußen" dort auf, wiederholt auch die neonazistische „Gemeinschaft Deutscher Frauen" - mit Fahnen und Kränzen.
Das Grab von Karl Dönitz ist nicht der einzige Anziehungspunkt für Rechte in Aumühle. Der österreichische Antisemit und „alldeutsche" Bismarck-Bewunderer Georg von Schönerer, dessen politische Vorstellungen Hitler inspirierten, liegt ebenfalls auf dem Waldfriedhof begraben. Auch sein Grab wird immer wieder mit Blumen bedacht. Am Gedenkstein für 30 ums Leben gekommene sowjetische Kriegsgefangene liegt dagegen kein Kranz.
In den letzten Jahren wurde den Aufmärschen wenigstens teilweise ein Riegel vorgeschoben. Allerdings sehe man keine Handhabe gegen die Kranzniederlegungen, betont Dr. Jenckel, der Vorsitzende des Friedhofsausschusses Aumühle-Wohltorf. Man räume den Kranz der NPD auch nicht ab, schließlich sei die Partei nicht verboten. Auf dem Friedhof gäbe es auch einen Gedenkstein für Rüdiger Schleicher, einem Angehörigen des Widerstands. Man würde nicht intervenieren, wenn jemand am 20. Juli dort einen Kranz mit schwarz-rot-goldener Schleife ablegen wolle, also tue man auch nichts, wenn die NPD am Grabe Dönitz ihr Schwarz-weiß-rot niederlege, so Jenckel. „Im Tode sind am Ende alle gleich."
Der Waldfriedhof Aumühle ist seit drei Jahrzehnten Ziel von Kriegsnostalgikern und Neonazis. Diese Verehrung lebt maßgeblich vom Wegschauen der Öffentlichkeit. Der rechten Szene bieten die Treffen Erlebnis und Selbstbestätigung. Sie sind weder ein neues noch ein rein ostdeutsches Phänomen. Das sollte beim Blick auf das Geschehen in Thüringen nicht vergessen werden.