Ein neues Seekabel soll ein Kernproblem der Energiewende lösen: die schwankende Leistung von Windrädern und Solaranlagen. Stauseen im hohen Norden werden damit zur Batterie des Kontinents. Zu Besuch beim Baustart der Nordlink-Leitung am Vollesfjord.
Aus Südnorwegen berichtet Volker Kühn
Die Hand von Stein H. Auno gleitet über den Tisch zu seinem Smartphone. Zuerst ruft er die App auf, die ihm die Akkufüllung seines BMW i3 anzeigt. Fast voll, er grinst zufrieden. Dann wischt der Manager des norwegischen Netzbetreibers Statnett durch die Menüs, bis im Browser eine Nordeuropa-Karte erscheint. Blaue Pfeile darauf geben an, in welche Richtung der Strom durch die Netze der Region fließt. Aunos Grinsen wird breiter. "Wir exportieren mal wieder kräftig."
Keine der fünf Preiszonen, in die Norwegen unterteilt ist, führt zu diesem Zeitpunkt Strom aus dem Ausland ein. Stattdessen fließt er über die Landgrenzen nach Russland, Finnland und Schweden sowie durch zwei Seekabel nach Dänemark und Holland.
Bald kommt eine neue XXL-Trasse hinzu: Nordlink, ein 623 Kilometer langes Kabel, das Statnett zusammen mit dem niederländischen Netzbetreiber Tennet und der KfW-Bank zwischen Norwegen und Deutschland baut. Es ist der Grund, warum sich die Projektpartner an diesem Abend Ende Juli zum Festmahl im malerisch über dem Fjord gelegenen Utsikten-Hotel treffen: Wenn alles glattläuft, wird Nordlink am kommenden Morgen ganz in der Nähe von einem Kabelverlegungsschiff aus mit dem Land verbunden.
Zwei-Milliarden-Euro-Leitung: Norwegen wird zur Batterie Europas
Es ist ein Meilenstein beim Bau der Zwei-Milliarden-Euro-Leitung, durch die ab 2020 bis zu 1400 Megawatt Strom fließen sollen. Das entspricht in etwa der Leistung des aktuell größten deutschen Atomkraftwerks Isar 2 und fast einem Drittel aller derzeit installierten deutschen Offshore-Windparks.
Damit wächst die ohnehin große Bedeutung Norwegens für Europas Stromversorgung. Das Land im hohen Norden mit seinen 5,2 Millionen Einwohnern wird mehr und mehr zur Batterie des Kontinents.
Der Grund sind seine gewaltigen Wasserkraftwerke. Nirgendwo in Europa sind die Bedingungen dafür günstiger als im regenreichen Norwegen mit seinen steilen Fjordwänden und den Seen in den fast menschenleeren Hochebenen darüber. Sind die Speicher komplett gefüllt, könnten sie theoretisch 82 Terawattstunden Strom liefern - fast ein Fünftel des gesamten deutschen Jahresverbrauchs.
"Wir haben viel mehr Energie als wir brauchen", sagt Statnett-Manager Auno, der Nordlink als Projektleiter verantwortet. "Und Deutschland braucht nach dem Atomausstieg neue Quellen. Von dem Kabel profitieren also beide Seiten." Dann steckt er das Handy weg. Zeit, zu Bett zu gehen - die Verlegung der Leitung beginnt am frühen Morgen und vorher hat sich auch noch das norwegische Radio für ein Interview angemeldet.
Die "Skagerrak" verlegt tonnenschwere Unterwasserkabel
Auf der Baustelle am Vollsfjord herrscht anderntags gespanntes Warten. Unten auf dem Wasser liegt die "Skagerrak", eines der größten Kabelverlegungsschiffe der Welt. Sie hat die ersten 124 Kilometer des Nordlink-Kabels an Bord. Gesamtgewicht: etwas mehr als 6000 Tonnen.
Eine Kamera überwacht 30 Meter unter dem Wasserspiegel den ersten heiklen Moment des Tages: Das Kabel, samt Ummantelung so dick wie ein Bein, wird an ein Stahlseil angeschlossen, das es durch einen nur wenig breiteren, aber 400 Meter langen Tunnel bis hinauf zur Baustelle oben am Fjord ziehen soll. Dort entsteht derzeit eine sogenannte Kabelübergangsanlage, von der aus die Leitung später an Masten aufgehängt über 50 Kilometer bis zu einer weiteren Großbaustelle bei Tonstad geführt wird.
Hier errichtet der Schweizer Industriekonzern ABB auf einer Fläche von 16 Fußballfeldern eine Konverterstation. Sie ist nötig, weil durch Nordlink Gleichstrom fließt - eine Technologie, die es erlaubt, Energie über große Distanzen nahezu verlustfrei zu transportieren.
Konverterstationen in Tonstad und in Schleswig-Holstein
Bevor der Strom ins Hochspannungsnetz eingespeist und verteilt werden kann, muss er allerdings in Wechselstrom umgewandelt werden. Deshalb baut ABB nicht nur auf norwegischer Seite in Tonstad, sondern auch im schleswig-holsteinischen Wilster die dazu erforderlichen Konverterstationen. Nordlink hat aber noch eine weitere Besonderheit: Das Kabel funktioniert in beide Richtungen. In weniger als einer Stunde kann es vom Import- auf Exportbetrieb geschaltet werden.
Am späten Vormittag strahlt Ragnhild Katteland über das ganze Gesicht. Die Managerin des französischen Kabelherstellers Nexans ist verantwortlich für die Anlandung des Kabels - und das ist soeben unversehrt aus dem Tunnelausgang oben am Fjord gekommen. "Der schwierigste Teil ist geschafft", freut sie sich und beobachtet, wie eine Winde das Kabel nun über die nächsten Meter bis zur Übergangsanlage zieht.
Nexans, nach eigenen Angaben einer der drei größten Kabelproduzenten weltweit, wird Nordlink vom Vollesfjord bis an die deutschen Hoheitsgewässer verlegen. Während die "Skagerrak" mit ihrer gewaltigen Kabeltrommel voranfährt, folgt ihr etwas langsamer die "Polar King", ein Spezialschiff, das die Leitung mithilfe eines Unterwasserschlittens bis zu zwei Meter tief in den Boden eingräbt. Dort ist sie vor den Schleppnetzen der Fischerboote sicher.
"Wenn es über der Nordsee stürmt, kann Norwegen seine Wasserspeicher schonen"
Die Verlegung des Seekabels auf deutscher Seite ist für Sommer nächsten Jahres geplant. Dafür ist das dänische Unternehmen NKT zuständig, das Anfang des Jahres die Kabelsparte von ABB samt dem Nordlink-Projekt für knapp 840 Millionen Euro übernommen hat.
An Land laufen die Bauarbeiten in Schleswig-Holstein bereits, im September war der offizielle Spatenstich in Wilster. Von dort verlaufen die ersten 54 Kilometer bis Büsum als Erdkabel, wobei unter anderem der Nord-Ostsee-Kanal unterquert werden muss. Anschließend geht es als Seekabel durchs Wattenmeer gen Norden.
"Wir kommen gut voran", sagt der zuständige Tennet-Projektleiter Gunnar Spengel. Er sieht in Nordlink die Antwort auf eine der drängendsten Fragen der Energiewende: die schwankende Erzeugung von Wind- und Solarkraft. "Wenn es über der Nordsee stürmt und wir einen Stromüberschuss in Deutschland haben, sodass die Preise fallen, kann sich Norwegen mit günstigem Windstrom versorgen und seine Wasserreservoirs schonen", sagt er. "Und umgekehrt stabilisiert die norwegische Wasserkraft die Versorgung in Deutschland, wenn hier Flaute herrscht."
Auch Schleswig-Holsteins grüner Umweltminister Robert Habeck spricht von einer Win-win-Situation: "Mit Nordlink verbinden wir zwei sich optimal ergänzende Systeme zum Austausch von erneuerbaren Energien", sagte er beim Spatenstich in Wilster.
Durch die Kopplung von Wind- und Wasserkraft sollen saubere Quellen zunehmend konventionelle Kraftwerke bei der Bereitstellung der sogenannten Grundlast ersetzen - also zuverlässig die Menge an Energie liefern, die dauerhaft im Netz benötigt wird.
Dass Nordlink dazu beitragen kann, zeigt die Kapazität des Kabels: Bei voller Auslastung mit 1400 Megawatt kann es gut 2,5 Millionen Haushalte in Deutschland versorgen. Fließt der Strom in umgekehrter Richtung, reicht er für 600.000 norwegische Haushalte - im Norden ist der Verbrauch höher, weil hier auch die Heizungen elektrisch laufen.
Seekabel soll auch Schwankungen an den Strombörsen dämpfen
Länderübergreifende Kabel wie Nordlink dienen aber nicht nur der Versorgungssicherheit. Sie sollen auch die extremen Schwankungen an den Strombörsen dämpfen. Manchmal fallen die Preise dort sogar ins Negative, wenn besonders viel Ökostrom die Netze flutet. Die Kraftwerksbetreiber zahlen dann drauf, um ihre Energie loszuwerden. Der Anschluss an zusätzliche Märkte könnte die Situation entspannen.
Statnett-Projektleiter Auno beobachtet die Arbeiten am Vollesfjord mit einem Kaffeebecher in der einen und dem Handy in der anderen Hand. Er hat wieder die Nordeuropa-Karte aufgerufen. Wie am Vorabend zeigen fast alle blauen Pfeile von Norwegen in die Nachbarländer. Ein typischer Tag, das Land produziert fast ständig mehr Strom, als es selbst verbraucht. Auch Nordlink wird voraussichtlich die meiste Zeit von Nord nach Süd laufen - ähnlich wie ein weiteres XXL-Kabel, das Statnett und National Grid aus Großbritannien derzeit zwischen Norwegen und Schottland verlegen.
Das muss allerdings nicht immer so bleiben. Schreitet der Ausbau der Erneuerbaren weiter so voran wie in den vergangenen Jahren, könnte Strom aus Deutschland immer öfter günstiger als der aus Norwegen werden. Dafür spricht auch der Preisverfall beim Bau von Offshore-Windrädern: Im Frühjahr erklärten die Energiekonzerne EnBW und Dong Energy, beim Bau von drei neuen Windparks in der Nordsee komplett auf Subventionen über die EEG-Umlage verzichten zu wollen.
Ob der Strom nun von Nord nach Süd oder umgekehrt fließt, kann dem Konsortium hinter Nordlink allerdings egal sein. Die Betreiber verdienen in jedem Fall: Sie kassieren einen Großteil der Preisdifferenz zwischen beiden Enden des Kabels.
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