Ausland Matteo Salvini
Es geht ihnen nicht um seine Rede - sie wollen ein Selfie mit ihmGerade hat Matteo Salvini, italienischer Innenminister und Chef der rechten Lega-Partei, die Koalition in Rom platzen lassen - und schon fängt er an, Wähler zu umwerben. Unsere Reporterin war am Strand vom Termoli dabei.
Elektrobässe schallen über den Strand, grün-weiße Sonnenschirme flattern in einer milden Brise. Es sind zwar nur 27 Grad aber die 84 Prozent Luftfeuchtigkeit lassen die Schweißperlen auf die Stirn treten. Es ist Mittagszeit, und alle warten auf den Mann der Stunde: Jeden Moment soll Matteo Salvini, italienischer Innenminister und Vorsitzender der rechtsnationalen Lega-Partei, hier ankommen und vom DJ-Pult aus sprechen.
Es ist der Morgen nach seiner großen Ankündigung: Nach monatelangem Streit innerhalb der Regierung hat Salvini am Donnerstagabend die Koalition mit der Fünf-Sterne-Partei aufgekündigt, mit der er seit Mai vergangenen Jahres die Regierungsgeschäfte führt.
Es habe keinen Sinn mehr, mit den Nein-Sagern weiterzumachen, hatte er verkündet, und den Ministerpräsidenten Guiseppe Conte aufgefordert, das Parlament einzuberufen, um festzustellen, dass es keine Regierungsmehrheit mehr gibt. „Geben wir das Wort schnell an die Wähler zurück", forderte Salvini.
Keine 24 Stunden später ist der Innenminister bereits auf Wahltour unterwegs: 15 Termine wird er in den kommenden neun Tagen absolvieren. Am heutigen Freitag wird er in Termoli erwartet, einem verschlafenen Städtchen in der Region Molise an der Adriaküste. Spätestens seitdem Salvini vergangene Woche den Plan seiner „italienischer Sommer"-Tour verkündet hat, ist klar, dass er es auf baldige Neuwahlen abgesehen hat.
Seine Route führt ihn durch alle Regionen, in denen seine Lega bei den vergangenen Wahlen zum europäischen Parlament im Mai ein Ergebnis eingefahren hat, das unter den 34 Prozent des nationalen Durchschnitts lag. In Molise war die Lega mit 24 Prozent nur zweitstärkste Kraft nach den fünf Sternen.
Salvini kommte zweieinhalb Stunden zu spätEigentlich war der Auftritt des Innenministers am Strand für 10 Uhr angekündigt gewesen, doch er verspätet sich erheblich: Ganze zweieinhalb Stunden lässt er seine Anhänger warten. Paul Kalkbrenners Song „Sky and Sand" schallt aus Boxen, die vor der Bar aufgebaut sind. Die Bässe wummern, die Menschen warten im Schatten, rauchen Zigaretten, trinken Espresso und ab elf Uhr wird auch der ein oder andere Prosecco ausgeschenkt.
Mit der Zeit steigt die Zahl der Wartenden, anstelle zu sinken. Doch Termoli ist ein Nest, es sind vielleicht zwei- oder dreihundert Menschen, die hier auf ihren Innenminister warten. An einem weißen Stehtisch vor dem DJ-Pult steht eine Frau mittleren Alters mit ihrem Ehemann, sie kommen aus Rom, sind hier in Termoli im Sommerurlaub.
„Er geht unter das Volk, das gefällt uns", sagt Felicetta (57), die einen grünen Bikini trägt. „Normalerweise sehen wir ihn nur im Fernsehen, aber hier können wir ihn anfassen." Ihr Ehemann Michele (59) pflichtet ihr bei: „Er hält sich nicht für etwas Besseres, wie die anderen Politiker das tun."
Beide haben Salvini bereits bei den Wahlen im vergangenen Jahr ihre Stimme gegeben und sie werden es wieder tun. „Weil er es geschafft hat, die Zahl der ankommenden Flüchtlingsboote zu reduzieren." Ohne Salvini würde Italien unter der Last der illegalen Flüchtlinge zusammenbrechen, davon ist das Ehepaar überzeugt.
Eine Frau fortgeschrittenen Alters, ganz in rot gekleidet, hat ein Schild vorbereitet, auf das sie „Fremde im eigenen Land" geschrieben hat. Es lehnt zu ihren Füßen, während sie auf Salvinis Ankunft wartet.
Auch Domenica (56) aus Turin, die mit ihrem Ehemann, ihren zwei Töchtern und fünf Chihuahua-Hunden drei Wochen Urlaub am Strand macht, sieht Salivins größte Stärke in seiner Antiflüchtlingspolitik. „Vor unserem Haus dealen die Ausländer offen mit Drogen, es gibt Prostitution und niemand tut etwas dagegen," sagt die kleine Frau mit mittellangen schwarzen Haaren, die ein Bikinioberteil mit Fransen trägt. Zwar habe sich noch nichts geändert, seit Salvini zum Innenminister gewählt worden sei, aber man merke, dass er wirklich versuche, etwas zu ändern.
Auch ihre beiden Töchter, 19 und 24 Jahre alt, stehen hinter Salvini. Sie sehen ihn heute zum ersten Mal persönlich und man merkt ihnen die Aufregung an. Alessia, die Kommunikationswissenschaften studiert, sagt: „Salvini ist der einzige Politiker, den man wirklich versteht, wenn er spricht. Gleichzeitig merkt man, dass er bescheiden ist."
Die Familie hat noch nicht mitbekommen, dass Salvini gestern das Regierungsbündnis aufgekündigt hat, schließlich sind sie im Urlaub. Die Nachricht freut alle drei: „Hoffentlich gewinnt er dieses Mal die Wahl", sagt Alessia. Die junge Frau hat schon im vergangenen Jahr für Salvini gestimmt. Auch ihre Mutter hat der Lega ihre Stimme gegeben.
Eigentlich sei sie immer einer Meinung mit Salvini, sagt Mutter Domenica. Das einzige Problem sei das Bahnprojekt in Turin, die sogenannte TAV, die Turin und Lyon über eine Hochgeschwindigkeitsstrecke verbinden soll.
Die Lega ist dafür, das versteht Domenica nicht. Und ausgerechnet an diesem Thema ist am Mittwoch die Regierung zerbrochen: Die Fünf-Sterne-Bewegung, Salvinis Koalitionspartner, hatte sich im Senat gegen das Projekt gestellt, das die Lega befürwortet. Anschließend hatte Salvini gesagt, etwas in der Koalition sei „kaputtgegangen" und schließlich zu Neuwahlen aufgerufen.
Am Freitagmittag hat die Lega schließlich einen Misstrauensantrag gegen den Ministerpräsidenten Giuseppe Conte eingebracht. Nun muss der frühestmögliche Termin gefunden werden, an dem das italienische Parlament zusammenkommen kann, um über den Antrag abzustimmen.
Da das Parlament aber im August traditionell für einige Wochen schließt, ist noch unklar, wie schnell die Sitzung einberufen werden kann. Aktuell wird der 20. August als frühestmögliches Datum gehandelt. Das dürfte Salvini gut passen, bis dahin hat er alle Stopps seiner sommerlichen Wahlkampftour absolviert.
Endlich kommt Salvini. Spontaner Applaus bricht losUm 12.34 Uhr ist es schließlich so weit: Die Bässe werden abgedreht und Salvini bahnt sich seinen Weg durch die Menschen. Spontaner Applaus bricht los, die Menschen rufen „Matteo! Matteo!" und drängen sich in Salvinis Nähe, um ein Selfie mit ihm zu ergattern.
Doch die Organisation ist schlecht durchdacht: Salvini nimmt weitab des DJ-Pults an einem Tisch in einer Ecke Platz, es gibt kein Mikrofon, niemand kann ihn hören. Journalisten drängen sich vor ihm, Kameras klicken, die Menschen rufen durcheinander.
„Silenzio! Silenzio", fordert ein Mitarbeiter des Lega-Chefs. Das Durcheinander legt sich und Salvini hebt an, um ein paar Sätze zu sagen: Er höre - und das sei ein Ding der Unmöglichkeit -, dass es Gespräche zwischen Luigi di Maio und Matteo Renzi von der Partito Democratico (PD) gebe. Gemeinsam könnten PD und Fünf Sterne die Mehrheit im Parlament für sich beanspruchen.
„Ich hoffe, dass niemand über diese Möglichkeit nachdenkt, die gefährlich für die Demokratie wäre", ereifert sich Salvini, dem dieser Ausgang der Dinge nicht Recht sein kann. Er erklärt mit der Aufkündigung der Regierungskoalition, eine „kohärente und mutige Entscheidung" getroffen zu haben: „Ich weiß nicht, wie viele Parteien auf der Welt auf sieben Ministerien verzichtet hätten", sagt er. Und weiter: „Der würdevollste und transparenteste Weg ist jetzt, so schnell wie möglich an die Urnen zurückzukehren."
Er hoffe, dass Neuwahlen bereits Mitte Oktober stattfinden könnten, sagt Salvini. Und fügt in Anspielung auf den Staatspräsidenten Sergio Mattarella, dem die finale Entscheidung über die Ausrufung von Neuwahlen obliegt, hinzu: „Wenn sie das Volk denn neu wählen lassen."
Für längere Ausführungen ist kein Raum, die Menschentraube kann Salvini nicht hören. Nach wie vor hat niemand ihm ein Mikrofon gebracht. Darum steht Salvini vom Tisch auf und tut, was er am besten kann: In der Menge baden. Langsam arbeitet er sich vom Tisch zur Vorderseite der Strandbar, wo er auf einem Betonplateau geduldig und stundenlang Selfie-Fotos mit den Anwesenden macht.
Ein Stück italienischer Geschichte auf dem SmartphoneBeobachtet man ihn dabei, wird klar, warum die Menschen ihm hier zujubeln: Es ging ihnen nicht um seine Rede, sie wollen ein Selfie mit ihm. Ein Stück italienischer Geschichte auf ihrem Smartphone. Und Salvini scheint einer von ihnen zu sein. Scherzend beantwortet er ihre Rufe und nimmt sich für jeden von ihnen einen kleinen Moment Zeit.
Als es ihm nach einer Stunde irgendwann zu viel zu werden droht, ruft er ironisch, während er sich die Schweißperlen von der Stirn wischt: „Wollt ihr nicht mal ins Meer springen?" Und ein junger Mann ruft zurück: „Nein, wir haben doch gerade erst gegessen!" Mit Salvini sprechen die Menschen wie mit ihrem Onkel und wie ein guter Freund empfängt Salvini sie: Geduldig nimmt er ein Handy nach dem nächsten entgegen, umarmt den Eigentümer und macht ein Foto. Dafür lieben ihn die Menschen.