Alle Auftritte von Michael, 27, wurden wegen Corona abgesagt. Trotzdem kann er seine hohe Mieten ausgerechnet jetzt problemlos zahlen. Indem er weiter Witze schreibt.
Das Coronavirus verändert für viele Menschen, wie und wo sie arbeiten. Und auch, wie viel Geld sie verdienen. Wer Glück hat, arbeitet im Homeoffice. Für Freiberufler aber brechen Aufträge weg, sie wissen nicht, wie sie ihre Miete bezahlen sollen. In der Serie "Kontoauszug" stellen wir Menschen vor, die genau davon erzählen: Was heißt Corona für meine Arbeit - und für mein Konto? Hier berichtet der 27-jährige Michael Mauder, der in München als Comedian arbeitet.
Mein Job
Beruf: Ich bin Comedian und verdiene mein Geld als Comedy-Autor. Aktuell arbeite ich als Redakteur an zwei verschiedenen Videoformaten im Internet mit – bei einem fest angestellt, bei dem anderen freiberuflich. Bei beiden schreibe ich vor allem Witze oder recherchiere Inhalte. Aktuell sind aber nur die nötigsten Mitarbeiter in der Redaktion: Der Moderator, einige Redakteure, Kameraleute und die Techniker fürs Studio. Alle anderen arbeiten wie ich von zu Hause aus. Per Videochat bin ich täglich sieben Stunden lang von meiner Küche aus mit den Kolleginnen und Kollegen verbunden. Das funktioniert gut, aber manche Aufgaben kann ich nicht mehr ausführen: Weil ich bei den Drehterminen unserer Show nicht vor Ort dabei sein kann, schreibe ich keine ganzen Sketche mehr, sondern vor allem einzelne Witze – und ja, ich werde fürs Witze schreiben bezahlt. Vor Corona bin ich auch als Stand-up-Comedian aufgetreten und habe selbstständig den Interviewpodcast Warum Comedy? produziert. Wegen der Auftrittsverbote konzentriere ich mich jetzt darauf. Zweimal pro Woche diskutiere ich im Podcast mit wechselnden Gästen über Themen der Comedy-Branche. Letztens habe ich beispielsweise mit Michael Mittermeier gesprochen.
Ausbildung: Ich habe keinerlei Comedy-Ausbildung, falls es so was überhaupt gibt. 2011 habe ich ein schlechtes Abitur gemacht und danach zwei Jahre lang als Studiotechniker bei einer Fernsehproduktionsfirma gearbeitet. Anschließend habe ich ein Geologiestudium angefangen, das mich von Anfang an überfordert hat. Ich habe schon im ersten Semester keine einzige Prüfung bestanden, diese Erkenntnis aber drei Jahre vor mir hergeschoben. Erst am Anfang des achten Semesters habe ich mein Studium abgebrochen. Während meines Studiums habe ich an Hotelrezeptionen gearbeitet. Auch nach dem Abbruch habe ich damit weitergemacht und angefangen, Comedy-Auftritte zu geben. Meine erste Show hatte ich 2016 in Stuttgart, weil mich da keiner kannte – hat funktioniert. Ich stand schon immer gern auf der Bühne, war Schlagzeuger in einer Band und habe Theater gespielt. Und weil mit dem abgebrochenen Studium ein Lebensabschnitt vorbei war, habe ich beschlossen, die Bühne zu meinem nächsten zu machen: 2017 stand ich auf 70 Kleinkunstbühnen in ganz Deutschland. Dieses Bühnenleben habe ich zwei Jahre lang aufrechterhalten – bis ich im Sommer 2019 an meinen aktuellen Job gekommen bin.
Arbeitszeit: Hier muss man meine verschiedenen Jobs trennen: In der einen Redaktion arbeite ich wöchentlich 32 Stunden an vier Tagen. Für das zweite Format, für das ich freiberuflich arbeite, kommen noch einmal fünf Stunden in der Woche dazu. Das ist nur zur Überbrückung während der Corona-Zeit gedacht, könnte aber verlängert werden. Beide Jobs kann ich problemlos von zu Hause erledigen. Weil ich keine Kinder betreuen muss, hat die Homeofficesituation für mich sogar mehr Vor- als Nachteile: Die Stunde, die ich sonst für den Weg zur und von der Arbeit nach Hause einplanen musste, kann ich jetzt in meine anderen Projekte investieren. Und auch an den zwei bis drei Abenden, die ich vor Corona auf der Bühne stand, habe ich jetzt Zeit für meinen Podcast. Früher habe ich den ganz hobbymäßig betrieben, jetzt bereite ich mich länger auf die Interviews vor und auch die Qualität steigt. Zusammengerechnet arbeite ich jetzt 45 Stunden in der Woche – das ist ungefähr so lange wie vor der Krise.
Meine Einnahmen
Brutto-Einkommen: Ich verdiene in der Corona-Krise mehr als vorher. In meinem fest angestellten Redaktionsjob verdiene ich weiterhin 1.440 Euro brutto im Monat. Durch meine Auftritte kamen früher Gagen und Spenden hinzu, das waren durchschnittlich 200 Euro im Monat. Doch der zweite Job gleicht die Krise derzeit mehr als aus: Dort verdiene ich freiberuflich 615 Euro. Zusammen komme ich also auf 2.055 Euro im Monat.
Netto-Einkommen: Noch bin ich umsatzsteuerbefreit, deshalb komme ich zusammen auf rund 1.700 Euro netto – das ist im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 400 Euro monatlich. Den Podcast betreibe ich derzeit unentgeltlich.
Meine Ausgaben
Miete: Ich leiste mir den in München teuren Luxus einer eigenen Zwei-Zimmer-Wohnung. 55 Quadratmeter im Stadtzentrum! Dafür zahle ich 950 Euro inklusive aller Nebenkosten. Mittlerweile kann ich sie sogar problemlos bezahlen. Gerade im Sommer war das in den vergangenen Jahren manchmal schwierig, weil die Leute statt zu Comedy-Auftritten lieber in den Biergarten gegangen sind. Mein Einkommen hat also je nach Jahreszeit geschwankt, meine Miete leider nicht – jetzt habe ich mehr Sicherheit.
Kleidung: Manchmal bekomme ich bei einem Auftritt vom Veranstalter ein Werbe-T-Shirt geschenkt, das trage ich dann ziemlich lange. So könnte man mein Modebewusstsein zusammenfassen. Ich habe keinerlei Gespür für Kleidung. Wenn eine Hose ein Loch hat, kaufe ich eine neue. Ich kenne aber meine Hosengröße nicht, sondern weiß nur, wo sie im Laden meines Vertrauens hängen. Seit Corona sind die Amazon-Boten ja im Dauereinsatz. Bei mir klingelt keiner. Ich kaufe vielleicht einmal jährlich neue Kleidung und damit warte ich jetzt bis nach Corona. Mehr als 100 Euro pro Jahr kommen sicher nicht zusammen.
Lebensmittel: In der Corona-Krise gebe ich tatsächlich mehr Geld für Lebensmittel aus, weil ich für meine Verhältnisse sehr viel Essen liefern lasse – im Schnitt ein- bis zweimal pro Woche. Außerdem koche ich jetzt öfter. Beim Einkaufen war ich früher immer sehr sparsam. Supermarkt-Nudeln für 70 Cent haben die Mehrausgaben für das bestellte Essen ausgeglichen. Mittlerweile gönne ich mir auch mal eine Donauwelle. In Restaurants gehe ich generell sehr selten. Und durch das Homeoffice esse ich mittags auch nicht mehr mit den Kolleginnen und Kollegen. Ich schätze, dass ich im Durchschnitt auf 12 bis 14 Euro am Tag komme. Deshalb veranschlage ich 400 Euro im Monat für alles zusammen.
Unterhaltung: Ich habe sowohl Amazon Prime für 7,99 Euro als auch ein Netflix-Premiumabo für 15,99 Euro. Beides hatte ich aber schon vor Corona, weil ich es gewissermaßen beruflich nutze, um die internationale Comedy-Szene im Blick zu behalten. Davon versuche ich, mich inspirieren zu lassen und Erkenntnisse für den Podcast und mein eigenes Programm zu gewinnen – wenn ich denn irgendwann wieder auftreten darf. Zu diesen rund 24 Euro kommen 9,99 Euro für Spotify. Ich merke auch, dass ich diese Abos aktuell stärker nutze. Insgesamt komme ich also auf 39 Euro.
Freizeit: Vor Corona war ich noch zwei- bis dreimal im Monat im Fitnessstudio, seit der Pandemie nicht mehr – obwohl das Studio weiter 20,36 Euro abbucht. Ich gehe auch eher selten aus. Schon seit Langem verbringe ich fast jede Stunde, die ich nicht schlafe, als Comedian.
Reisen: Im Jahr 2017 war ich mal im Urlaub. Und auch das nur, weil ich einen für meine Verhältnisse sehr gut bezahlten Auftritt ergattert hatte – bei der Schufa in Berlin. Dann habe ich mir vier Tage in England gegönnt und alles wieder ausgegeben. Für mich hat Reisen lange bedeutet, dass ich mir bei einem Auftritt in Hamburg oder Berlin die Stadt anschaue, bevor ich abends auftrete. Diese kurzen Tapetenwechsel habe ich als Urlaub verbucht. Mehr war finanziell nie drin. Diese Kurztrips finden jetzt nicht mehr statt, ich verspüre aber auch keinen Drang, nur um des Urlaubs willen wegzufahren. Es schmerzt allerdings, dass ich seit meinem 27. Geburtstag deutlich mehr für meine Bahncard 50 zahlen muss – 229 Euro pro Jahr statt wie bisher 70. Und ich saß seitdem nicht einmal im Zug. Wenn man Nahverkehrstickets dazuzählt, komme ich auf durchschnittlich 35 Euro pro Monat.
Versicherungen: Ich bin über meine Arbeit krankenversichert – und das war's. Ich habe tatsächlich keine weiteren Versicherungen. Keine Hausratsversicherung, keine Haftpflicht, nichts. Das ist vielleicht ein bisschen naiv, aber einfach nicht drin.
Telefonie: Für Festnetz und Internet in meiner Wohnung zahle ich 43 Euro. Meinen Handyvertrag habe ich erst vor Kurzem gewechselt, seitdem zahle ich nur noch acht Euro monatlich. Zusammen sind das 51 Euro.
Das bleibt am Ende übrig: Obwohl ich Kulturschaffender bin und die ganze Branche am Boden liegt, kann ich gerade sogar Geld zurücklegen. Es gab Zeiten, in denen ich am Monatsende die 20-Cent-Stücke aus meiner Spardose gefischt habe. Jetzt habe ich ein Plus von rund 150 Euro im Monat. Für mich zahlt sich aus, dass ich in der Branche gut vernetzt bin, sodass ich über Kontakte und Empfehlungen immer irgendwo unterkomme. Ich habe ein fertiges Bühnenprogramm in der Tasche, damit bin ich in der Lage, auch einen ganzen Abend allein zu gestalten und Geld zu verdienen. Das ist gut zu wissen, auch wenn ich das aktuell nicht in Anspruch nehmen kann.
Wenn Sie uns auch erzählen mögen, wie sich Ihre Arbeit durch das Coronavirus verändert und was das für Ihren Kontostand bedeutet: Schreiben Sie uns an kontoauszug@zeit.de.
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