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Feature

Familientreff trotz Badeverbot

Die Westpark-Seen: Julian Hahn und sein Team betreiben hier den Szene-Treff "Gans am Wasser". Dies tut dem ehemaligen IGA-Park gut - heute pulsiert das Leben im Westpark von früh morgens bis zum späten Abend.

„Obwohl wir mitten in der Stadt sind, ist es echt angenehm hier, weil der See die Temperatur runterkühlt“, erklärt Julian Hahn. Zusammen mit Florian Jund und Philipp Behringer betreibt er das Bauwagencafé Gans am Wasser im Westpark. Und tatsächlich: Auf Bierbänken und Sofas in blauer Himmelbett-Optik scheinen die Gäste Luft zu schnappen und den heißen Stadtsommer zu genießen. Ein Kurzurlaub mit Eiskaffee in der grünen Lunge von Sendling.

Drei Stunden, bevor die Freunde ihre Kaffeemaschine anwerfen und damit die ersten Gäste erfreuen, ist der Westpark fast leer. Es ist 6.13 Uhr, der Grillgeruch vom Vorabend liegt noch in der Luft. Ein Security-Dienst dreht seine Kontrollrunde. Eine Frau sucht nach liegen gebliebenen Pfandflaschen. Am Seeufer schlafen Enten und Gänse – bis plötzlich ein unsichtbarer Schalter umgelegt wird: Begleitet von empörtem Geschnatter und Geflatter schnaufen erste Jogger durch den Park, als hätten sie sich verabredet. Punkt halb sieben geht’s los. Dresscode: Softshelljacke. Eine Stunde später kommen Radlpendler auf dem Weg in die Arbeit dazu – bis zu 5000 sind es laut Zählungen jeden Tag.

Die Münchner haben sich den Westpark zurückerobert, als Sportstätte und Erholungsgebiet. Angelegt wurde er für die IGA 1983, die Internationale Gartenbauausstellung in München. Die Ausstellungsbeiträge verteilten sich auf 69 Hektar: Zwei Wasserflächen mit West- und Mollsee, 23 Nationengärten und ein Sonderbereich Grabbepflanzung. Bis heute ziehen das Sardenhaus und der Japangarten mit seinen akkurat getrimmten Kiefern viele Touristen an.

20 Jahre nach der IGA wurden die Parkanlagen für über drei Millionen Euro saniert. Seitdem ist der Westpark auch bei den Einheimischen wieder beliebter: Sanierte Wege, saubere Spielplätze und auch die Café-Betreiber um Julian Hahn haben ihren Anteil daran. Sie hauchen dem Park Leben ein. Mit viel selbst gebauter Deko, nachhaltigem Konzept und hausgemachten Rosmarin-Pommes vom Biobauern ist das Café Gans am Wasser so, wie das Tollwood-Festival früher war – authentisch.

Weil das Baden in beiden Seen verboten ist, herrscht keine Ballermann-Stimmung. Zur Abkühlung könne man aber schon mal die Füße ins Wasser stecken, sagt Hahn: „Vielleicht nuckelt ein neugieriger Karpfen dran.“

Hahn kennt den Westpark so gut wie nur wenige. Zusammen mit seinem heutigen Kompagnon Florian Jund ist er schon als kleiner Bub durch den Westpark geflitzt. Seine persönlichen Höhepunkte: Die großen Rutschen im Westteil des Parks „und natürlich der Wasserspielplatz!“ Für die Kleinsten gibt es auch heute noch nichts Schöneres, als sich dort gegenseitig nasszuspritzen – die perfekte Abkühlung im Sommer. Manche Familien kommen täglich vorbei: „Nur am Mittwoch ist weniger los. Dann wird das Wasser neu befüllt und ist noch ganz kalt“, wissen die Eltern.

Donnerstags ist es sauber und wieder wärmer, der perfekte Badetag für die ganze Familie. Oft kommen die Familien dann auch im Gans im Wasser vorbei, auf eine Kugel Eis. Oder auch vier Kugeln. Denn was nach schniekem Hipster-Café klingt, zieht ein kunterbuntes Publikum an. Vormittags sind es meist Mütter – und immer öfter Väter – mit ihren Kindern, mittags die Angestellten aus den umliegenden Büros, die für einen Spaziergang samt Espresso in den Park kommen. Nun gegen Abend wird das Publikum dann jünger, Café-Betreiber Hahn betont aber: „Wir sind ein Treffpunkt für das ganze Viertel.“ Der Kontakt zu den Anwohnern ist Hahn wichtig, Beschwerden hätte es noch keine gegeben – vielmehr sind viele Nachbarn selbst Stammgäste.

„Jetzt drücken wir alle auf den Lendenwirbelbereich“, schallt es aus den Lautsprechern, „uuund wieder entspannen!“ Rund 100 schwitzende Menschen knien auf Matten, Handtüchern oder einfach auf der Wiese. Unter den skeptischen Blicken der Gänse und unter Anleitung der Fit-im-Park-Trainerin dehnen sie ihre Rückenmuskulatur. Ob Zumba oder Wiesn-Wadl-Workout – auf der Gymnastikwiese ist für jeden was dabei. Manche sind auf dem Heimweg von der Arbeit, andere haben den Tag im Park verbracht: Sieben Tage die Woche, immer um 18 Uhr, verwandeln Sportbegeisterte den Westpark in Münchens größtes Freiluft-Fitnessstudio.

„One Radler, please“, bestellt eine neuseeländische Austauschstudentin, bevor sie sich auf dem großen Holzpodest im Gans am Wasser einen Platz sucht. Gegen 19 Uhr treffen dort die erschöpften Fit-im-Park-Sportler auf all diejenigen, die den Abend entspannter einläuten: Von Business-Dress bis Lederhose ist alles dabei, es vermischen sich englische, deutsche und arabische Wortfetzen zum typischen Münchner Biergartengemurmel. Zumindest so lange, bis die Musik losgeht. „Die offene Bühne ist ein wichtiger Teil des Cafés“, erklärt Betreiber Julian Hahn. „Aber im besten Fall kommen die Leute einfach so vorbei und stoßen per Zufall darauf.“ Vor einem guten Jahr gab es ein kostenloses Klavierkonzert des bekannten Pianisten Zoran Imširović. Chopin und Schumann schallten da über den Mollsee und überraschten all diejenigen, die sich keine Karten für die Philharmonie leisten können oder wollen.

Im Gans am Wasser muss niemand ständig nachbestellen, man kann mit einer einzigen Rhabarberschorle auch drei Stunden lang am See sitzen. Das aber machen die wenigsten: Es gibt die Familie auf dem Weg in den Biergarten Hopfengarten. Da ist das Rentnerehepaar, das für den Abend einen Tisch im Restaurant Rosengarten reserviert hat. Und man sieht die Pärchen mit Picknickkorb, die einen Zwischenstopp einlegen auf dem Weg zu „Kino, Mond und Sterne“. Im Sommer kann man auf der Seebühne seit 1995 Kinofilme unter freiem Himmel genießen.

Während am Flaucher die Partystimmung langsam auf ihren Höhepunkt zusteuert, geht es im Westpark am späteren Abend deutlich ruhiger zu: Keine Betrunkenen, die grölend herumtorkeln. Stattdessen Grüppchen, die in die Glut ihres Grills schauen, Pärchen beim Mondscheinspaziergang und die Igelfamilie, die sich unter den Bauwagen des Cafés hervorwagt, um nach übrig gebliebenen Rosmarin-Pommes zu suchen.

Nur einmal gab es Aufruhr, als das Gans-am-Wasser-Team schon beim Feierabendbier zusammensaß: „Das war vor einem Jahr, als es plötzlich platschte und ein Gummiboot über den dunklen See rudert“, erinnert sich Jund. „Wildwasser-Rafting auf dem Mollsee“, so hätten die beiden Leichtmatrosen ihre Fahrt scherzhaft genannt. Es ist ein gutes Zeichen für den Familien-Westpark, wenn diese Aktion als „wild“ in Erinnerung bleibt.