Ein Kommentar von Victoria Reith, moma-Redakteurin
Am Rande eines Festivals in Ansbach in Bayern hat sich ein Mann in die Luft gesprengt. Beunruhigend insgesamt, und besonders für Festivalgänger und Besucher anderer Großveranstaltungen. Aber aus Angst zu Hause zu bleiben ist keine Option.
Spätestens seit dem 13. November ist der Gedanke da, dass es auch bei uns passieren kann. An diesem Abend überfielen in Paris islamistische Terroristen das Bataclan und töteten 90 Menschen. 40 weitere starben durch Terroristen im Rest der Stadt, in Restaurants, auf der Straße. Glücklicherweise scheiterten in St. Denis die Angreifer mit ihren Plänen, ins Stade de France zu gelangen, in dem die deutsche und die französische Fußball-Nationalmannschaft ein Freundschaftsspiel austrugen.
An diesem Abend dachte ich mir "Das hätte auch ich sein können" - Konzerte, Bars, Stadien, das sind Orte, die ich auch gerne und häufig besuche. Trotzdem dachte ich in den vergangenen acht Monaten nie darüber nach, etwas an meinen Gewohnheiten zu ändern - auch wenn die Gefahr plötzlich nicht mehr abstrakt, sondern konkret schien - Paris ist von Köln gerade einmal 500 Kilometer entfernt.
Und als das Raunen und die Gespräche im Konzertsaal kürzlich Abend, während die Vorband spielte, einmal lauter wurden, dachte ich kurz: Ist was? Um mich dann mit einem kurzen Blick nach hinten zu versichern: alles gut, wieder nach vorne schauen, Musik wirken lassen. Mit etwas schnellerem Herzschlag. Solche Gedanken habe ich jetzt also, seit dem 13. November.
Deutschland blieb bislang verschont - dachte ich. Als am Freitagabend die Nachrichtenlage so schien, als seien mehrere Attentäter "mit Langwaffen" in München unterwegs, schickte ich Whatsapp-Nachrichten an meine Freunde dort ("Geht's dir gut?", "Pass auf dich auf", "Geh AUF KEINEN FALL zum Stachus"), ich schaute bei Facebook, wer sich mit "In Sicherheit" markiert hatte. Später dann die Erkenntnis: Ein einzelner Amokläufer tötete an einem Ort neun Menschen. Furchtbar. Aber kein Terrorismus. Verarbeiten, innehalten, durchatmen.
Aber nur bis Montag. Über Nacht war die Meldung gekommen, dass sich ein syrischer Asylbewerber vor einem Festivalgelände in die Luft gesprengt hatte, nach und nach sickerte durch, er habe wohl Sympathien für den sogenannten Islamischen Staat gehabt. Nur weil er kein Ticket hatte, konnte er seine Tat nicht direkt auf dem Festivalgelände begehen - wahrscheinlich starb nur deshalb niemand außer dem Attentäter selbst.
Ich habe für Samstag selbst Tickets, für mein drittes Festival in diesem Jahr. Und natürlich werde ich hingehen, ich habe keine Sekunde darüber nachgedacht, es nicht zu tun. Ich vertraue, auch wenn es manchmal schwerfällt, darauf, dass die Menschen größtenteils vernünftig sind - und auf die Sicherheitskräfte vor Ort und die Polizei.
München hat gezeigt, wie schnell und effektiv ein Ort abgeriegelt werden kann, sobald auch nur der Verdacht eines Terroranschlags besteht. Wie es weitergeht mit der Bedrohungssituation, ob diese vergangene Woche ein trauriger Höhepunkt war, oder ob wir uns an solche Situationen gewöhnen müssen, kann ich nicht einschätzen - ebenso wenig, ob wir mehr Polizei brauchen.
Was wir aber definitiv benötigen, ist die Möglichkeit, ausgelassen zu sein und Freude am Leben zu haben. Und indem wir uns zu Hause verschanzen, ist niemandem geholfen - außer denjenigen, die uns diese Angst einflößen wollen.
Stand: 30.07.2016 19:00 Uhr