Wer Frankfurt als Wiege der elektronischen Musik darstellt, verkennt ihren wahren Kern. Entbehrung und Krieg gehörten zum Gründungsmythos des Techno. In Ostdeutschland, wo er geprägt wurde, dient er auch heute der Krisenbewältigung.
Der Nachtclub Kassablanca (kurz für „die Kasse ist blank") in Jena hat eine lockere Türpolitik. Ausweise und Impfpässe werden kontrolliert, aber keine Kleider oder Gesichter daraufhin geprüft, wie gut jemand aussieht. Geschäftsführer Thomas Sperling hält noch an der Gleichheitsidee aus den frühen neunziger Jahren fest, den Anfängen der Techno-Bewegung. Für hunderte junge Erwachsene, die hier im Winter Schlange standen, war das ein Glücksfall. Wegen der Pandemie waren die meisten von ihnen nie zuvor im Club oder auf einem Rave gewesen und hatten keine Ahnung von den modischen Gepflogenheiten des Techno oder gar dem Legendenstatus des Kassablanca. Manche Jugendliche hätten bei ihrer ersten Club-Erfahrung ein schräges Verhalten an den Tag gelegt, sagt Sperling, weil ihnen die entsprechende Sozialisierung fehle.
Im Talkessel der Stadt Jena sind Kulturräume besonders rar. Aber im ganzen Land müssen etablierte Nachtclubs um ihre Verdrängung bangen, und viele DJs sind gekränkt von der Behandlung, die sie als Solo-Selbstständige in der Pandemie erlebt haben. Neben der wirtschaftlichen Misere ist mit dem „Technozid", also dem drohenden Untergang der Szene, wohl auch eine drohende Selbstaufgabe gemeint. Der Todesstoß für die Clubkultur wäre, wenn es sich die Szene zu bequem machte und über Sonderlinge die Nase rümpfte, obwohl sie früher selber als nervtötend galt und...
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