Ausgerechnet nach diesem Lied ist das neue Biopic über Queen benannt, das am Donnerstag in die deutschen Kinos kommt. Dabei wären viele andere Songs der Band besser geeignet. Diese zum Beispiel:
1. "Who Wants to Live Forever"
Wer will ewiges Leben? Auf alle Fälle Gitarrist Brian May und Drummer Roger Taylor. Die beiden noch aktiven Queen-Mitglieder haben das Filmprojekt 2010 begonnen, um sich ein Denkmal zu setzen. Wer genug Geld hat, kann das schon zu Lebzeiten selbst in die Hand nehmen.
Drehbuchautor Peter Morgan wollte den Fokus des Films am liebsten auf Freddie Mercurys Jahre im Münchner Glockenbachviertel legen. Aber die Produzenten sorgten dafür, dass es in "Bohemian Rhapsody" nicht übermäßig um ihren toten Frontmann geht, sondern um die Band.
Als Münchner ist man bei solchen Einschnitten freilich nicht unparteiisch. Aber es ist generell ein Rezept für einen besonders langweiligen Film, wenn die Protagonisten gleichzeitig Produzenten sind - und bei heiklen Szenen um ihre Marke fürchten.
May und Taylor könnten sich mit dieser Selbstdarstellung verzockt haben, denn ihre Figuren (gespielt von Gwilym Lee und Ben Hardy) kommen bei alldem gar nicht gut weg:
Die beiden beweisen wenig Gespür für die revolutionären Ideen von Queen. Als zum Beispiel die "Bohemian Rhapsody" auf einem Bauernhof aufgenommen wird, ist Taylor ziemlich genervt von den vielen schrillen "Galileo"-Falsettos, die er für Mercury einsingen soll. Seine Eier rutschen ihm gleich in die Brust hoch, befürchtet er, während er ein kleines Stück Musikgeschichte schreibt.
2. "The Show Must Go On"
Freddie Mercury starb 1991 mit 45 Jahren an den Folgen von AIDS.
Vor einem halben Jahr attackierte der Drehbuchautor Bryan Fuller die Produktionsfirma Fox dafür, dass sie AIDS in "Bohemian Rhapsody" absichtlich unter den Tisch kehren würde. Er (t)witterte damals ein "#hetwashing" - der bisexuelle Freddie Mercury würde hier für Profit in eine Hetero-Verpackung gesteckt, so Fuller.
Was AIDS angeht, hätte sich Fuller aber nicht stärker täuschen können: Die Autoren wollten Mercurys AIDS-Diagnose so gerne im Film haben, sie haben diese sogar um zwei Jahre nach vorn gezogen. Damit trifft sie mit dem Live-Aid-Konzert für Afrika von 1985 zusammen und erzeugt maximale Dramatik.
Viel ärgerlicher ist, wie Mercurys innere Kämpfe herhalten müssen, um dem größeren Plot-Bogen zu dienen: Eines wird mit dem anderen vermischt und es scheint, das Virus fungiere als Bestrafung für seine zügellosen Solo-Jahre, in denen der böse Freddie die arme Band im Stich ließ, um zwischen Männern in Leder herumzustolpern.
Mercury beschloss gegen Ende seines Lebens, "The Show Must Go On". Er performte bis zuletzt in geschwächtem Zustand weiter. "Ich habe keine Zeit mehr, um ein Opfer und AIDS-Posterboy zu sein", erklärt er die Entscheidung recht trocken im Film.
Die Filmemacher hingegen hätten bei einer Länge von 135 Minuten und acht Produktionsjahren alle Zeit der Welt gehabt, um dem gerecht zu werden. "Die Show" müsste dafür nur manchmal auch ruhen dürfen.
3. "Under Pressure"
Der "Bohemian Rhapsody"-Regisseur Bryan Singer war 2017 gegen Ende der Dreharbeiten plötzlich in den Schlagzeilen. Er wird angeklagt, 2003 einen Minderjährigen vergewaltigt zu haben. Das ist für Singer aber alles andere, als etwas neues: Bereits 1997, 2000 und 2014 musste sich Singer gegen solche Vorwürfe verteidigen; er hätte 14- bis 17-jährige Jungs entweder missbraucht oder vergewaltigt.
Aus seiner Position als Regisseur von "Bohemian Rhapsody" wurde er fast zur gleichen Zeit gefeuert - offiziell wegen seines plötzlichen Verschwindens. Inoffiziell für sein problematisches Verhalten am Set. Für die letzten 16 Drehtage übernahm Dexter Fletcher den Regiestuhl, aber eine Regel der "Directors Guild"verlangt, dass Bryan Singers Name als einziger Regisseur im Abspann gerühmt wird.
Spätestens seit den Vorwürfen gegen Kevin Spacey wurde auch in deutschen Medien darüber diskutiert, ob man die Werke von mutmaßlichen Sextätern in vollen Zügen genießen mag. Dieser moralische Druck auf jeden Zuschauer wächst noch weiter, wenn selbst auf der Leinwand gegrapscht wird. Ein unbelangbarer Freddie Mercury nimmt sich eben, was er gern hätte. Ausgerechnet Bryan Singer hat diese Momente inszeniert - und es ist schwer, das zu vergessen.
Zu guter Letzt bleibt der Hit "We Will Rock You". Im Grunde ist er Queens Antithese zur "Bohemian Rhapsody". Denn mit "Bohemian Rhapsody" wurde ein echtes Risiko eingegangen und etwas Verrücktes gewagt. Das ist heute in der Musik und den meisten Kunstformen schwieriger und seltener geworden.
Das Prinzip hinter der Single "We Will Rock You" hingegen war simpel und wird schon beim Komponieren im Bandgespräch verraten: Jeder Dahergelaufene kann doch klatschen und stampfen, erklärt Brian May. Und so kann jeder auch "We Will Rock You" genießen und selbst performen. Es ist eine Liebeserklärung an Otto Normalverbraucher.
Das allein wäre kein Problem, aber die Ironie dieses Films ist, dass er die Gruppe so dringend als revolutionäre Gegen-den-Strom-Schwimmer zeigen will. Als eine Band, die sich bei der BBC weigert, Playback zu singen, deren Drag-Video von MTV zensiert wird. Eine Band die sich selbst als "misfits, playing for other misfits" bezeichnet. " Außenseiter spielen für andere Außenseiter."
Dabei haben sie in diesem Film gar kein Interesse an Regelbruch, Drag oder anderen Misfits. Ihr sehnlichster Herzenstraum ist, eines Tages vor einer schier unüberschaubaren Masse aus Niemands-Publikum aufzutreten, das (in der Postproduktion mit CGI geschaffen) im Wembley-Stadion zu Zehntausenden im Gleichtakt "We Will Rock You" klatscht, stampft und kauft.