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In meinem Leben wiederholt sich eine Szene: Ich sitze mit Freunden zusammen, in einer Kneipe, in einer Küche, im Park, und un¬ser Gespräch kreist um all das Besorgniser¬regende, das gerade in der Welt passiert, um Klimawandel und Umweltverschmutzung, um globale und lokale Ungerechtigkeit, um wachsenden Egoismus. Und uns überkommt ein Gefühl der Machtlosigkeit. Sind wir nicht Teil des Übels? Schließlich leben wir dort, wo der Großteil der Verschmutzung verursacht wird, wo die Menschen verhältnismäßig im Luxus leben. Auf Kosten anderer …
Die Stimmung ist auf dem Nullpunkt. Bis ei¬ner von uns ruft: »Stopp! Zukunft ist doch die Summe von dem, was wir alle gemeinsam bewegen. Wir können etwas ändern.« Und dann geht es wieder aufwärts. Wir erinnern uns gegenseitig: Wir sind nicht machtlos. Un¬ser Handeln verändert etwas. Und wir können sehr viel machen, damit die Gesellschaft so funktioniert, wie wir sie uns wünschen: solida¬risch, nachhaltig, gerecht.

Zukunft leben
Allein um uns herum in Berlin gibt es Tausen¬de, die Alternativen im Kleinen schon leben. Die Menschen teilen, tauschen, leihen, über¬nehmen Verantwortung füreinander und für die Gesellschaft. Sie schaffen gemeinsam eine Parallelstruktur und -kultur, die keinen konsumgesellschaftlichen Regeln folgt, wo Ressourcen geschont werden, wo niemand ausgebeutet wird. Wir müssen nur eintau¬chen, mitbauen.
Mit solidarischer Landwirtschaft können wir der industriellen Produktion von Lebensmitteln etwas entgegensetzen, mit gemeinschaftli¬chen Wohnprojekten der Aufwertungslogik des Immobilienmarktes entgegenwirken.

Wir können in Ladenlokalen oder im Wohn¬zimmer Klamotten tauschen, wir können unsere ausgemusterten Sachen in die »Um¬sonst-Ecken« der Kneipen legen, wo sich jeder bedienen kann. Das Internet erweitert unseren Handlungsspielraum. Wir können über Nachbarschaftsnetzwerke auch jeman¬dem, den wir noch nie gesehen haben, un¬seren Grill und das Schlauchboot leihen. In Facebookgruppen können wir ausrangierte Möbel, Küchenutensilien und Kinderwagen an Fremde verschenken – und Großzügigkeit in die Welt schicken.
Noch verbrauchen wir global gesehen viel mehr Ressourcen als nachwachsen können. Und leider geht der Trend gerade sogar in die falsche Richtung. Der Welterschöpfungs¬tag, der Tag im Jahr, an dem alle natürlichen Reserven verbraucht sind, die die Erde ak¬tuell für jeden Menschen bereithält, kommt immer schneller im Jahr.
Tatsächlich haben wir in Europa so einiges damit zu tun. Der ökologische Fußabdruck ei¬nes Europäers ist drei Mal so groß wie das Volumen an Vorräten, die die Erde aktuell für jeden Menschen bereithält. In der Europäi-schen Union, wo acht Prozent aller Menschen leben, werden 20 Prozent der globalen Reserven verbraucht. Und wenn alle auf der Welt so konsumieren würden wie der durch¬schnittliche Deutsche, bräuchten wir ganze vier Planeten.
Gier vs. Bedürfnisse
Das Resultat: Naturkatastrophen häufen sich, Wälder schrumpfen, Trinkwasserquellen ver¬siegen. Der Kampf um Ressourcen wächst, die Konkurrenz wird größer. Die Artenvielfalt geht zurück. Pro Jahr sind im vergangenen Jahrhundert allein zwei Wirbeltierarten aus¬gestorben.

»Die Welt hat genug für jedermanns Bedürf¬nisse, aber nicht für jedermanns Gier«, sagte Mahatma Gandhi kurz nach der Unabhängig¬keit Indiens von Großbritannien. Kapitalismus ohne den Menschen, können wir überhaupt noch aussteigen? Dass Ressourcensparen für die Menschheit überlebensnotwendig ist, haben die Politiker heute eigentlich längst er¬kannt. Bloß werden die Ziele der Klimapolitik nicht eingehalten.
Wachstum first
»Wer in einer begrenzten Welt an unbegrenz¬tes exponentielles Wachstum glaubt, ist ent¬weder ein Idiot oder ein Ökonom«, schrieb der Ökonom Kenneth Boulding. Diese Logik unseres aktuellen Wirtschaftens widerspricht auch den Gesetzen der Natur, wo jedes Wachsen ein natürliches Ende hat, und wo alles, was nicht aufhört zu wachsen, irgend¬wann in sich zusammenbricht. Und trotzdem hat die Wirtschaftspolitik Vorrang vor der Kli¬mapolitik.
»Unsere Wirtschaft ist wie ein Bodybuilder, der immer mehr Muskelmasse zulegen will, egal wie aufgepumpt er schon ist, und der gleich¬zeitig alle anderen Wesenszüge verkümmern lässt«, sagt Christian Felber, Begründer der Gemeinwohl-Ökonomie, der daran arbeitet, dass das Wirtschaften wieder dem Wohl der Gemeinschaft aller Menschen untergeordnet wird.

Es ist eigentlich seltsam, dass das Teilen, Tau¬schen und Leihen nicht längst zur Massenbe¬wegung geworden ist. Die Fähigkeit und der Wunsch, mit anderen zusammenzuarbeiten und großzügig zu sein, sind nämlich in unse-ren neuronalen Schaltkreisen verankert. Das haben Neurowissenschaftler gerade herausge¬funden. Wer kooperiert und gibt, der steigert sein Wohlbefinden. Der US-amerikanische Psychologe John Bargh zählt die Kooperation sogar zusammen mit dem Überleben und der Fortpflanzung zu den drei wichtigsten mensch¬lichen Trieben. Nichts erfüllt uns mehr als starke zwischenmenschliche Beziehungen.
Andersherum: Unser Wohlstand macht nicht glücklich. Der Preis ist einfach zu hoch: Un¬sere Ressourcen werden knapper, der Konkur¬renzkampf nimmt zu und wir entfremden uns von den Mitmenschen. Obwohl Deutschlands Wohlstand in den vergangenen 35 Jahren praktisch ohne Unterbrechung gestiegen ist, sind wir nicht immens glücklicher geworden.
All die Initiativen zum Tauschen, Teilen, Leihen erinnern uns daran, dass Konkurrenz nicht sein muss, dass wir uns auch anders in der Welt bewegen können, dass sich miteinander viel besser anfühlt als gegeneinander. Sie zeigen uns, dass wir einen Ort schaffen können, wo wir füreinander und für die Erde sorgen.
Wir können nur gewinnen!