Vor zwei Wochen ist das erste Foto auf dem Instagram-Account " hotmigrants" gepostet worden. Ein Typ mit Vollbart, rot-grauer Fleece-Jacke. Er lacht. "Handsome fella at the border crossing between Greece and Macedonia #greatsmile #hotmen" steht unter dem Bild. Das gefällt 204 Mal und regt noch mehr Leute auf.
Auf dem Instagram-Account, der mittlerweile fast 4000 Follower und 35 Bilder veröffentlicht hat, werden Bilder von jungen Flüchtlingen gepostet, die der Betreiber der Seite für sexy hält. Die Beschreibung des Accounts: "Handsome men on their journey to Europe. Their countries might be falling apart but their sex appeal still goes strong." Viele halten das für mehr als zynisch.
"Warum machst du aus der Krise einen Fetisch?", "Dieser Account ist extrem entwürdigend. Diese Leute verdienen diesen Müll nicht", schreiben User in den Kommentaren und "Du bist widerlich". Mit solchen Anfeindungen habe er nicht gerechnet, sagt derjenige, der hinter dem Account steckt, zum Beispiel im Buzzfeed-Interview. Der Mitte 20-Jährige aus Washinton D.C. will anonym bleiben.
Auf die Idee sei er gekommen, nachdem er im Fernsehen einen attraktiven Flüchtling an der geschlossenen Grenze in Idoemni gesehen habe. Tatsächlich habe er aber nur eine Diskussion anstoßen wollen "in welcher Form auch immer". "Diese Fotos bringen die Realität ein bisschen näher, das hilft mit der Situation umzugehen", sagt er. Dass sich jetzt so viele über die Bilder, die alle Screenshots aus Fernsehbildern sind, aufregen, kann er nicht nachvollziehen: "Wenn jemand so einen Account wie diesen ernst nimmt, hat er den Punkt nicht verstanden. Das ist ein sehr seichter Blick auf ein schweres Problem. Trotzdem gibt es in dieser absurden Lage Humor, der die wirklich Lage der Flüchtlingskrise natürlich nicht reflektiert."
Dass der Macher eine Debatte auslösen will, kann sich Paula-Irene Villa, Professorin für Soziologie und Gender Studies an der Ludwig-Maximilians-Uni München, ziemlich gut vorstellen. Nur warum man den Account mit Humor nehmen sollte, versteht sie nicht, wie sie im Interview mit PULS erklärt:
"Ich finde es zynisch oder unsinnig, dieses Thema mit Humor zu nehmen. es gibt Sachen, über die kann man besser lachen, als darüber. Ich weiß auch nicht, wem es auch nützen soll oder warum das überhaupt witzig oder humorvoll sein sollte."
Soziologin Paula-Irene Villa
Aufmerksamkeit für Flüchtlinge um jeden Preis. Bei hotmigrants hat das funktioniert. Bildunterschriften wie "Migrant Wolverine #hotmigrant [...] #beardlife" und "Pretty in Pink. Gotta stay fresh as you try to start a new life. #hot [...]" sind aber nicht humorvoll, sondern einfach nur makaber.
Klar, im Internet gibt's viele Accounts und Blogs, die meist ungefragt Fotos von „hübschen" Männern veröffentlichen, zum Beispiel @hotdudesreading oder @mecmetroparis auf Instagram. Allerdings fängt das Problem damit schon an. Denn Männer werden meistens als stark empfunden und deswegen gibt es da - anders als bei Frauen - keinen Aufschrei, wenn solche Accounts entstehen, sagt Paula-Irene Villa:
"Weil wir im Bezug auf Frauen so sensibel sind, führt das zu doppelten Standards. Der Effekt ist, dass wir bei Männern nicht hinreichend sensibel sind. Sie werden auf diesem Account, in solchen Bildern, klar sexualisiert ohne dass sie es wissen, ohne dass man sie fragt, ohne dass sie das vielleicht wollen und das finde ich ein großes Problem, auch bei Männern."
Soziologin Paula-Irene Villa
Wer will schon ungefragt auf irgendwelchen Internetseiten zu sehen sein?! Aber genau nach diesem Prinzip funktioniert "Hot Migrants." Und das geht für den Münchner Fotograf Max Kratzer, der selbst seit Jahren Fotoprojekte mit Flüchtlingen organisiert, gar nicht: "Unabhängig davon, ob das Flüchtlinge sind, oder nicht - und das finde ich, ist echt der entscheidende Punkt, bei dem ganzen Thema: Es ist nicht in Ordnung, Fernsehbilder abzufotografieren und sie in einen neuen Kontext zu stellen." Das verletzt das Urheber- und das Persönlichkeitsrecht, sagt Kratzer. Und gerade für Flüchtlinge können Fotos, die in einem falschen Kontext veröffentlicht werden, ziemlich gefährlich sein:
"Das kann natürlich auch rechtliche Folgen für die fotografierten Leute haben, dass das Bild irgendwo gesehen wird und falsche Rückschlüsse gezogen werden können. Oder dass halt nur die Angst bei den Leuten da ist."
Fotograf Max Kratzer
Denn viele fliehen nun mal vor Verfolgung und Gewalt - und wollen auf ihrem Weg nicht gezeigt werden. Anders als eine Fernsehsendung, bei der sich Bilder einfach so versenden, vergisst das Internet nämlich nie. Aber auf solche vermeintliche langweiligen Überlegungen hat der amerikanische Macher von Hot Migrants offenbar keine Lust. Ist doch lustig. Sein Instagram-Account ist deswegen vor allem eins: respektlos. Klar, Respektlosigkeit kann auch lustig sein, aber eher wenn sie sich an die Mächtigen richtet - und nicht gegen Menschen auf der Flucht.