Von Verena von Ondarza, NDR
Die Spanische Grippe im Jahr 1918 gilt als eine Art Prototyp einer Pandemie der Moderne. In den Endwirren des Ersten Weltkrieges verbreitete sie sich rasant zunächst in den Truppen und über heimkehrende Soldaten in der ganzen Welt. Über drei Infektionswellen hinweg forderte die Spanische Grippe 50 bis 100 Millionen Tote.
Die außergewöhnliche Mobilität der Menschen in der Kriegszeit war ein Treiber der Pandemie - und durchaus vergleichbar mit der Mobilität heutzutage, sagt Albrecht Ritschl, Wirtschaftshistoriker an der London School of Economics. "Wir wissen ja, dass wir bei der Covid-Pandemie den Ausbruchsherd Ischgl hatten", erinnert Ritschl. Er vergleicht den österreichischen Skiort mit Heerestandorten: "Man könnte sagen, dass die Trainingslager der Armeen, in Amerika und in England und in Frankreich, das damalige Äquivalent zu Ischgl waren, nur hat man damals nicht Skisport gemacht, sondern wesentlich weniger harmlose Dinge."
Dieselben Schutzmaßnahmen wie heuteDie Verbreitung über das Militär und nachher in der Zivilbevölkerung sei dieselbe gewesen. Und schon damals wurden ähnliche Debatten geführt wie heute: über die Wirksamkeit von Mundschutz, über Schulschließungen oder die Absage von Kultur- und Großveranstaltungen. Ein Herunterfahren des gesellschaftlichen Lebens wurde damals schon diskutiert und teilweise auch praktiziert. Erfahrungswerte dazu gibt es vor allem aus den USA, so Ritschl.
"Dort, wo Lockdowns schneller verhängt wurden und wo sie länger verhängt wurden, waren die wirtschaftlichen Schäden insgesamt geringer als dort, wo man versucht hat, auf Teufel komm raus das wirtschaftliche Leben im Gang zu halten", sagt der Wirtschaftshistoriker. Messen könne man das an der Arbeitslosigkeit, an der Produktion, an den örtlichen Steuereinnahmen. Ein Lockdown sei wirtschaftlich gut, so Ritschl: "Das hat mich auch überrascht."
Jahrelange Krise nach dem CrashDie Weltwirtschaftskrise, beginnend im Jahr 1929 mit dem weltweiten Börsencrash, ist ein weiterer Referenzpunkt für Historiker. Dem Zusammenbruch der Aktienmärkte folgte eine jahrelange Wirtschaftskrise. Viele Staaten - noch in Folge des Ersten Weltkrieges hochverschuldet - reagierten damals auf den Wirtschaftseinbruch mit harten Sparmaßnahmen. Einen "Giftcocktail" nennt Ritschl das rückblickend.
"Deutschland war in einer ähnlichen Situation wie Griechenland oder Italien nach 2008: Es wurde zum Sparen gezwungen." Das habe zu ganz ähnlichen Effekten geführt wie in Griechenland: "Einbruch des Sozialproduktes um vielleicht 25 Prozent - so genau weiß man das nicht -, Massenarbeitslosigkeit und dergeichen mehr."
Falsche ReaktionIn der Finanzkrise 2008 setzte man zumindest in Deutschland nicht aufs Sparen, möglicherweise auch als Lehre aus der Weltwirtschaftskrise. Nichtsdestotrotz verordnete man anderen Ländern in Südeuropa das Sparen. Rückblickend ein Fehler, meint Ritschl. Wenn man diesen Fehler nun im Nachgang der Pandemie vermeide, könnte die Corona-Wirtschaftskrise wesentlich weniger langfristig nachwirken als vorherige Krisen: "Die Finanzkrise 2008 hatte zu tun mit schweren Funktionsstörungen in den Finanzmärkten, also mit etwas, das aus den Finanzmärkten, aus der Volkswirtschaft selber kam, während die Corona-Krise ein von außen kommender Epidemie-Schock ist", erklärt Ritschl den Unterschied.
Die vergleichsweise schnelle Erholung nach der ersten Corona-Welle zeigt für den Wirtschaftshistoriker, dass die Weltwirtschaft heute robuster ist als damals. Und angesichts der vielen Hilfsprogramme scheint es fast so, als habe die Politik tatsächlich dieses Mal in die Geschichtsbücher geschaut.