Grüne Wälder und Wiesen, die Stimmung auf dem Dorf ist friedlich. Davon träumen viele Städter. Doch die Realität ist eine andere. Deutschland hat ein massives Problem: Landflucht.
Dörfer sterben. Im Jahr 2050 werden wohl nur noch 16 Prozent der Menschen auf dem Land leben, sagen Wissenschaftler voraus. Die Städte hingegen werden wachsen. In Voigtsdorf in Mecklenburg-Vorpommern zeigt sich Landflucht ganz besonders. Dörte Schönfelder ist Mitte 20, auch sie hat hier einmal gelebt. Heute schlendert sie durch ihre alte Heimat. Wo früher das pralle Leben tobte, Menschen einkaufen gingen und viele Kinder auf der Straße spielten, sieht man heute nur noch verlassene Häuser.
Landflucht: Erst gingen die Jobs, dann die Menschen
Erst ist die Landwirtschaft verschwunden, dann der kleine Einkaufsladen. Mit den Jobs gingen nach und nach auch die Menschen. Zuwachs hat nur noch der Seniorenverein. Bevölkerungsforscher Reiner Klingholz von der Universität Berlin denkt quer: "Wir haben Orte in denen noch einige ältere Menschen leben. Deren Versorgungslage immer schwieriger wird. Die können da aber nicht wegziehen, weil sie ihr Eigenheim nicht mehr verkaufen können. Und wenn man die Dörfer dabei auch finanziell unterstützt, dann kann man sich gleichzeitig - wenn es wirklich darum geht, dass ein Ort irgendwann leer fällt - die gesamte Versorgung mit Wasser, mit Abwasser, mit Strom schenken."
Man könnte es "Abwrackprämie" nennen. Es gibt viele "Voigtsdörfer" in ganz Deutschland. Dörte Schönfelder, ihre Geschwister und Freunde sind nach dem Schulabschluss weggezogen. Sie wohnen heute in Städten wie Berlin oder München. Dort gibt es nahezu alles: Jobs, Kunst und Kultur, Menschen, das pralle und bunte Leben. Aber auch ein großes Problem: wenig bezahlbarer Wohnraum, wie das Beispiel München zeigt.
Zu wenig Wohnraum in attraktiven Städten
Bis zum Jahr 2035 muss München etwa 300.000 Einwohner mehr unterbringen. Stadtplaner setzen vor allem auf Stadterweiterung und Nachverdichtung. Beispiel Fürstenried: Im Münchner Süden wird kräftig gebaut. Das Ehepaar Sälzler wohnt seit über 50 Jahren hier, in einer sogenannten Gartenstadt-Siedlung. Jetzt soll ihr Haus weg und einem 50-Meter-Wohnturm weichen. In sieben Jahren könnten sie dann wieder zurückziehen, in ein neues Haus mit viel mehr Wohnungen und Platz für noch mehr Menschen. Dann aber wäre Herr Sälzler 97 Jahre alt.
Insgesamt sollen in Fürstenried 600 neue Wohnungen entstehen, 16-stöckige Hochhäuser in teilweise nur drei Metern Abstand zu den schon bestehenden achtstöckigen Häusern. Bürgerinitiativen sehen die Nachverdichtung kritisch: "Ich weiß, dass München attraktiv ist. Wenn man aber sinnvoll dagegen steuern will, wird einem in meinen Augen nichts anderes übrig bleiben, als eine Balance zu finden", sagt Andreas Art von der Bürgerinitiative Pro-Fürstenried.
Wo und wie wollen wir in Zukunft leben?
Die Politik hat mit Baugesetzen, Kilometerpauschale und Eigenheimförderung die Weichen dafür gestellt, das Leben auf dem Land attraktiver zu machen. Häufig aber mit fatalen Folgen: Am Rande vieler Dörfer entstehen unzählige Neubaugebiete, im alten Dorfkern aber stehen die Gebäude leer, es gibt kaum noch Einzelhandel, das Gemeinschaftsgefüge verschwindet.
Die Professorin für Stadtplanung Hildegard Schröteler von Brandt warnt vor dieser Entwicklung: "Wenn die Mitte sich entleert, und nur noch der dicke Rand drumrum ist, verlieren die Dörfer ihre Identität. Wir müssen die Flächen, die wir haben, besser nutzen, effektiver nutzen und nicht noch immer welche dazu bauen." Für diese Fehlentwicklung hat sie den Begriff "Donut Effekt" geprägt - das Gebäck ist süß, nur die Folgen sind bitter. Flächenfraß wohin man blickt: Die grüne Wiese wird zubetoniert, aus lebendigen Dörfern werden Schlaf-Vorstädte.
Bollewick in Mecklenburg-Vorpommern hat es geschafft
Dass es in Stadt und Land auch anders geht, zeigen zwei Beispiele: Kopenhagen und das Dorf Bollewick. In Dänemarks Hauptstadt wird in die Breite gebaut, man verzichtet auf spektakuläre Betontürme. Kopenhagen schafft Platz für Fahrräder und Fußgänger statt für den Autoverkehr. Und so schafft die Stadt Platz für Menschen.
Bollewick hat der Landflucht ein Ende gesetzt. Das kleine Dörfchen in Mecklenburg-Vorpommern hat sich seit der Wende vom sterbenden Durchfahrtsdorf zum blühenden Zuzugsdorf gewandelt. Durch viel Unterstützung auch der Bürger renovierte man eine alte Scheune. Die heute das pulsierende Herz, mit Einzelhandel und Gewerbe, einer gläsernen Fleischerei, zwei Biogasanlagen, die das Dorf mit Eigenenergie versorgen.
Mehr über Landflucht und Dörfersterben ...
... sehen Sie in der Dokumentation "Stadt-Land-Frust: Wie leben wir in Zukunft?" am 29. November um 23:00 Uhr im ZDF und in der ZDF-Mediathek, www.zdf.de.
Aus Stadt-Land-Frust kann Stadt-Land-Lust werden
Bollewick ist dem Tod von der Schippe gesprungen, "Aus reiner Not heraus", wie Bürgermeister Meyer sagt. "Wenn Sie merken, es bricht etwas weg, dann fangen Sie an, zu überlegen, wie kann man diesen Prozess aufheben? Das ist die Grundlage dafür, dass man Denkwege verlässt." Täglich stehen Menschen vor der Entscheidung: Wo und wie will ich leben? In der Stadt oder auf dem Land? Wenn Dörfer eine neue Rolle einnehmen und Städte umdenken, dann kann beides gelingen. Dann wird aus "Stadt-Land-Frust" auch wieder "Stadt-Land-Lust."
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