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Designs für mehr Vielfalt

Wenn der Begriff Mode fällt, steht der in knalligem pink angemalte Mund von Anastasia Umrik nicht mehr still. Mode ist für sie mehr als einfach nur Kleidung: "Für mich ist Mode auch ein Kommunikationsmittel. Ich kann durch meine Kleidung meine Stimmung oder eine Gruppenzugehörigkeit zeigen", so die 28-Jährige. Sie trägt gerne hohe Schuhe und hasst Kleidung, die kneift oder zwickt. Nicht immer sei es einfach, gut sitzende Bekleidung zu finden. "Viele Kleidungsstücke schlagen im Sitzen Falten", so Umrik. Sie sitzt jedoch die meiste Zeit, denn sie hat Spinale Muskelatrophie – zum Laufen sind ihre Muskeln zu schwach, deswegen ist sie auf den Rollstuhl angewiesen. "Egal, wo ich hinkomme, ich werde sowieso immer angeschaut", sagt Umrik. "Es liegt aber in meiner Hand, ob die Leute mich anschauen, weil ich gut angezogen bin, weil sie meine Schuhe gut finden oder wegen des Rollstuhls."

Den Ausdruck "Inklusion" mochte Umrik nicht. "Ich hörte immer nur: Geld, teuer, Behinderte und nervig", so Umrik. Dann habe sie ihre heutige Geschäftspartnerin Kathrin Neumann kennengelernt. Die Designerin arbeitete zunächst als Umriks persönliche Assistentin, die sie in ihrem Alltag unterstützte. Heute wollen sie mit ihrem Modelabel inkluWAS das Denken über Inklusion verändern. "Wer von uns ist denn normal? Je nachdem, wo du dich befindest, irgendwie bist du ein Freak", sagt Umrik. Auf den von Neumann entworfenen bedruckten T-Shirts und Kapuzenpullovern soll sich jeder wiederfinden können. Dicke, Dünne, Große, Kleine, Figuren im Rollstuhl und mit Krückstock – unzählige kleine Männchen symbolisieren die Gesellschaft. "Wir wollen mit unseren Designs ein Zeichen für mehr Vielfalt setzen", erklärt Umrik die Idee hinter inkluWAS.

Für sie selbst sei es normal im Rollstuhl zu sitzen, er falle ihr gar nicht auf. "Unsere Körper sind zwar unterschiedlich, aber im Grunde sind wir doch alle gleich. Alle möchten glücklich werden, wünschen sich einen guten Job und haben ähnliche Sehnsüchte", so Umrik. Beispielsweise, wenn man verliebt sei, haben alle Menschen die gleichen Schmetterlinge im Bauch. Trotzdem musste auch sie schon Diskriminierungen aufgrund ihrer Behinderung erfahren. Umrik geht gerne aus und tanzt, doch nicht jeder Türsteher lässt sie wegen des Rollstuhls in den Club. "Ich möchte da keinen Aufstand machen. Ich will durch positive Projekte wie inkluWAS etwas in den Köpfen verändern", so Umrik.

Warum es immer noch viele Stufen in Hamburg, besonders in der Schanze oder in Altona, gebe, verstehe sie nicht. Schon oft hat sie Betreiber von Cafés oder Kneipen auf die Stufen vor ihren Lokalen angesprochen. "Es ärgert mich, dass die Betreiber keinen Grund sehen, die Stufen abzuschaffen. Sie argumentieren, dass nur einmal im Jahr ein Rollstuhlfahrer rein will", sagt die 28-Jährige. Sie glaubt, dass ohne Stufen mehr Rollstuhlfahrer rausgehen würden. Eine stufenlose Stadt würde den Rollstuhlfahrern mehr Spontanität ermöglichen.

"Inklusion bedeutet nichts anderes als: Wir gehören alle zusammen, wir leben alle nebeneinander und du darfst leben wie du willst und ich darf das auch", sagt Umrik. Dafür müssten beide Seiten, behindert und nicht behindert, aufeinander zugehen. Erwachsene verhielten sich aber oft unnatürlich im Umgang mit Behinderten. "Viele glauben, dass sie mich nicht angucken dürfen, weil das unhöflich sei und verbieten auch ihren Kindern, mich anzuschauen ", so Umrik. Aber genau dieses Anschauen sei der erste Schritt für Inklusion.

Seit fünf Jahren setzt sich Anastasia Umrik für mehr Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung ein. Im Alter von 24 Jahren erkrankte die heute 28-Jährige an einer Lungenentzündung – ein Wendepunkt in ihrem Leben. "Vielleicht stirbst du. Was hast du bisher gemacht?", dachte Umrik, als sie 2011 im Krankenhausbett lag. "Wenn ich das überstehe, starte ich richtig durch und mache irgendwas Großes." Kurz nach ihrer Genesung brach sie ihr Studium der Sozialen Arbeit ab, um ihr erstes Projekt "anderStark – Stärke braucht keine Muskeln" zu verwirklichen.

Zunächst hatte Umrik kein Konzept, nur die Idee, etwas mit Kunst zu machen und muskuläre Erkrankungen zu thematisieren. Es entstand ein Fotoprojekt, bei dem Frauen mit muskulären Erkrankungen in unterschiedlichen Lebenssituationen und Stimmungslagen fotografiert wurden. Als Umrik nach Unterstützern für ihr Projekt suchte, wurde sie zum Teil ausgelacht. "Wer will sich denn Behinderte so intensiv angucken und ob ich nicht eine Grenze überschreiten würde, haben einige Leute gesagt, als ich sie um Unterstützung bat", erzählt die Hamburgerin. Das habe sie angespornt und ihr gezeigt, dass es zu wenig Akzeptanz für die Gleichstellung von Behinderten und Nichtbehinderten gebe. Nach zwei Jahren Arbeit mit verschiedenen Fotografen und Modellen konnten etwa 60 Fotografien in über 20 Städten ausgestellt werden.

Ausruhen wollte sie sich auf ihrem Erfolg jedoch nicht. Der Name "anderStark" blieb erhalten, doch steht er heute für einen ehrenamtlichen Verein, in dem Umrik gemeinsam mit den anderen Mitgliedern verschiedene Projekte realisiert. Geplant sind ein neues Fotoprojekt und eine Inklusive Modenschau, auf der Hamburger Jungdesigner ihre Mode präsentieren. "Ich habe so viele Ideen, das hört nie auf", so die junge Frau. "Ein Poetry-Slam, auf dem Leute in lustiger Sprache erzählen, was ihnen im Rollstuhl passiert, wenn sie unterwegs sind, wäre toll." Ihre Behinderung sei für die Umsetzung ihrer Projekte jedoch kein Hindernis, sondern ein Vorteil: "Meine Ideen sind gar nicht so besonders, ich bekomme nur durch die Behinderung schneller ein Ohr geliehen."