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Schuldendienst statt Nothilfe

2020 hätte für das Jahr der großen Investitionen in die Zukunft sein sollen. Das erste Jahr, in dem die Kommune im Allgäu schuldenfrei wäre. Fast 18 Jahre lang hatte die Stadt verzichtet, Gebühren und die Grundsteuer erhöht, um einen Schuldenberg von 41 Millionen Euro zu tilgen. Jetzt wollte die Stadt digitaler und mobiler werden, mehr in Bildung und in die Kultur investieren. "Wir wollen Kempten zur Smart City machen", sagt der Kämmerer der Stadt, Matthias Haugg. Um sich das noch leisten zu können, müsse man jetzt aber überlegen, sich mit anderen Kommunen und Partnern zu einem Zweckbündnis zusammenzutun, um Geld zu sparen.

Die 70.000-Einwohner-Stadt leidet, so wie viele andere Kommunen in Deutschland, unter den Einnahmeausfällen durch die Corona-Krise. Besonders der Einbruch der Gewerbesteuer ist schmerzhaft: Für viele Kommunen ist sie die wichtigste Einnahmequelle. "Bei der Gewerbesteuer rechnen wir mit Mindereinnahmen von zehn Millionen Euro für dieses Jahr", sagt Kämmerer Haugg. Bei der Einkommenssteuer werden schätzungsweise zehn Prozent der Einnahmen, also etwas über drei Millionen Euro, wegfallen. Das werde der Kommune nicht vollständig den Boden unter den Füßen wegziehen, meint Haugg. Aber man wisse ja auch noch nicht, was die Pandemie noch so mit sich bringen wird. Deshalb habe ihn die Nachricht, dass es bald einen Schutzschirm für Kommunen von der Bundesregierung geben soll, erst mal erleichtert. Doch mit dem Plan, den der Finanzminister jetzt für die Unterstützung der Kommunen vorgestellt hat, ist Haugg überhaupt nicht einverstanden.

Einige Kommunen profitieren mehr

Am Wochenende hatte Olaf Scholz vorgeschlagen, klammen Kommunen mit 57 Milliarden Euro zu helfen - finanziert zur einen Hälfte von den Ländern, zur anderen vom Bund. Das Hilfspaket soll aus zwei Komponenten bestehen: aus einer akuten Nothilfe, die die wegbrechenden Gewerbesteuereinnahmen der Gemeinden ausgleichen soll. Und aus einer einmaligen Tilgung der Altschulden für hoch verschuldete Städte und Gemeinden. Die Schuldübernahme würde eine Menge Geld kosten, ein großer Teil der Hilfs-Milliarden wäre nach der Tilgung wohl schon aufgebraucht. Für den Ausgleich der Gewerbesteuer würde dann nicht mehr viel bleiben. Das heißt, dass einige Kommunen mehr profitieren als andere. Nämlich die mit vielen Altschulden.

Die Idee, die Kommunen aus der Verschuldung zu holen, ist nicht neu: Bereits 2019 hatte Innenminister Horst Seehofer ob der ungleichen Lebensverhältnisse im Land angekündigt, sich in einer eigens geschaffenen Kommission mit der Tilgung von Gemeindeschulden beschäftigen zu wollen. Und auch Olaf Scholz wollte schon einmal einen Finanzierungsfonds schaffen, in dem Bund und Länder gemeinsam die Altschulden abbezahlen - bisher ergebnislos.

Ein unfairer Plan

Denn die Bedingung, bei der Tilgung zu helfen, war damals, wie beim Vorschlag von Scholz heute, fast unmöglich: Der Bund und alle Länder müssen sich einig sein. Doch der Schuldendruck, also auch der Handlungsdruck, ist nicht in jedem Bundesland gleich hoch. Für die wirtschaftsstarken Kommunen im Süden Deutschlands spielt die Verschuldung, also die Höhe der Kassenkredite, keine große Rolle: Laut dem Finanzreport der Bertelsmann Stiftung von 2019 lagen sie in Bayern im Schnitt bei 14 Euro pro Einwohner, in Baden-Württemberg bei 19 Euro. Von Scholz' Plan würden stattdessen vor allem die Länder mit hohen Kassenkrediten profitieren, also Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz oder das Saarland, wo die Einwohner mit 2.070 Euro pro Kopf verschuldet sind.

"Ich finde die Vorstellung sehr befremdlich, dass wir mehr als 40 Millionen Euro Schulden selbst abbauen mussten und andere Kommunen jetzt von einem Tag auf den anderen schuldenfrei werden sollen", sagt Kemptens Kämmerer Haugg. Er wisse zwar auch, dass Kempten als süddeutsche Kommune in einer wirtschaftlich privilegierten Lage ist und sich viele andere Kommunen nicht selbst aus den Schulden befreien können. Aber den Scholz-Plan, vor allem die Überbetonung der Altschuldentilgung, hält er für schlicht unfair.

Nicht nur in den Kommunen, sondern auch auf Landes- und Bundesebene regt sich Widerstand gegen das Vorhaben. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier sprachen sich gegen die Vorschläge aus. Und auch der bayerische Finanzminister Albert Füracker (CSU) stellte sich am Wochenende klar gegen den Plan. Bayern wolle sich nicht dazu verpflichten lassen, helfen zu müssen.

Tatsächlich ließe Scholz' Plan, Stand jetzt, den Ländern gewisse Freiheiten. Sie könnten selbst entscheiden, ob sie bei den Altschulden helfen wollen - oder nicht. Eine Erstattung der Gewerbesteuer soll selbst dann noch möglich sein. Großes Interesse daran, dass sich Scholz mit Bundesmitteln zum Wohltäter gegenüber den Ländern gerieren kann, hat man in der Union aber trotzdem nicht.

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