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Von der Teenie-Plattform zum Allrounder: Was ist eigentlich die Social-Media-Plattform TikTok?

Was haben die Tagesschau, tanzende Teenager und Donald Trump gemeinsam? Die Antwort: TikTok – die wohl meistdiskutierte Social-Media-Plattform der letzten Monate. Wie die App eigentlich aufgebaut ist und warum sie alle Altersgruppen und Interessen bedient, ist vielleicht nicht auf den ersten Blick zu erkennen.

TikTok ist eine Social-Media-Plattform des chinesischen Konzerns ByteDance und ging 2018 aus der nach dem gleichen Prinzip funktionierenden App musical.ly hervor. Die Nutzer*innen tanzen zu Remixen bekannter Songs oder nehmen Lip-Sync-Videos zu den Memos anderer User*innen auf. Ebenso wie Instagram ist TikTok eine visuelle Plattform. Das Besondere: Statt Bildern findet man hier ausschließlich 15- bis 60-sekündige Kurzvideos. Mit einem Wisch nach unten kommt man zum nächsten Beitrag – Liken, Teilen und Kommentieren inklusive. Die Videos selbst sind von der Rhythmik der jeweiligen Sounds bestimmt. Ziel ist es, perfekte Übergänge zwischen den einzelnen Einstellungen, den sogenannten Transitions, sowie eine passgenaue Synchronizität von Bild und Ton zu erreichen.

Der Account der 17-jährigen US-Amerikanerin Charli D’Amelio (@charlidamelio) knackte im November 2020 nach nur einem knappen Jahr als erster die Marke von 100 Millionen Follower*innen, womit D‘Amelio an der Spitze der TikTok-Creator*innen rangiert. Zum Vergleich: Bei Instagram hatten zur gleichen Zeit etwa 22 Accounts 100 Millionen Follower*innen, bei YouTube gerade einmal zwei Kanäle. Der rasante Aufstieg D’Amelios spiegelt den Erfolg der Plattform selbst wider. Nach nur drei Jahren erreichte TikTok im Januar 2021 eine weltweite Nutzerzahl von 689 Millionen Menschen. Zwischen 2019 und 2021 ließ die Plattform mit einem Nutzerwachstum von 38% die anderen Social-Media-Apps hinter sich und konnte sich endgültig auf dem globalen Markt etablieren. Mitte 2020 erzielte sie zwischenzeitlich Downloadzahlen im zweistelligen Millionenbereich, womit die App häufiger heruntergeladen wurde als Instagram und Facebook zusammen.

Ist TikTok reine Jugendkultur?

D’Amelios Erfolg steht für das, was lange als Markenzeichen TikToks galt – tanzende Teenager. Von diesem Image kommt die App nicht so richtig los. Anfang 2020 schrieb die Zeit, TikTok sei Jugendkultur. Doch Jugendkultur war gestern. Wenn man genauer hinschaut, tummeln sich alle möglichen Altersgruppen auf der Plattform. Die 10- bis 29-Jährigen machen zwar 47% der aktiven Nutzer*innen aus, die restlichen 53% entfallen jedoch auf die über 30-Jährigen. Obere Altersgrenze? Fehlanzeige. So sportelt zum Beispiel die 81-Jährige Erika Rischko (@erikarischko) regelmäßig auf ihrem Kanal.


TikTok bietet Platz für Nischenkultur, dem Algorithmus sei Dank. Während bei Instagram der Feed, bestehend aus den Beiträgen der abonnierten Kanäle, im Vordergrund steht, kommt der „Entdecken“-Funktion meist nur eine sekundäre Rolle zu. Bei TikTok ist es genau andersherum. Die „For You“-Page zeigt den Nutzer*innen die Beiträge an, die der Algorithmus passgenau für sie ausgewählt hat. TikTok ist dabei sehr viel weniger auf Follower*innen-Zahlen ausgelegt als Instagram. Wer einen kreativen Beitrag postet, kann damit viral gehen, egal wie bekannt oder unbekannt. Tobias Henning, General Manager von TikTok Deutschland, sagte im Februar 2021 der Zeit: „Wir sind keine Social-Media-Plattform, wir sind eine Content-Plattform.“

Die altbekannten Tanzvideos gehören laut TikToks Trend Report 2020 nicht mehr zu den beliebtesten und wachstumsstärksten Content-Kategorien. In Deutschland sind vor allem Sport-, Fashion- und Beauty-Videos gefragt. International werden Comedy-Formate, Tiervideos und popkulturelle Themen häufig geklickt. Es fällt auf: Bei TikTok tummeln sich außerordentliche viele Videos mit Bezug zur Popkultur, einer Vorliebe für Nostalgie und einer guten Portion Ironie.

Von Nostalgie, Ironie und Popkultur

Sich nicht ernst nehmen? Auf TikTok Tagesgeschäft. Mit der Text-to-Speech-Funktion wird Haustieren eine Stimme gegeben. Da beschweren sich Hund und Katze gut und gerne über ihre Besitzer*innen. Zum Sound „I can’t talk right now. I’m doing hot girl sh*t.“ zeigen sich die Nutzer*innen bei unglamourösen Aktivitäten, die die Wörter der Soundebene konterkarieren. Vermeintlich negative, absurde oder witzige Dinge, die den Nutzer*innen irgendwann in ihrem Leben gesagt wurden, wandeln sie unter dem Hashtag #inspirationalquotes in inspirierende Zitate um. So finden die 5-Jährige Tochter oder der ehemalige Mathematiklehrer schon mal ihren Weg in ein TikTok-Video.

Auch die Popkultur macht einen großen Teil der Inhalte auf TikTok aus, und das nicht nur zur Untermalung von Tanzeinlagen. Zitate aus Filmen oder Songtexten werden zweckentfremdet und geben dem entsprechenden Beitrag so einen ganz neuen Gehalt. Mit dem Sound „They call themselves the Guardians of the Galaxy” wird zum Beispiel die eigene Freundesgruppe auf ironische Art und Weise vorgestellt. Die bereits angesprochene Nischenkultur schlägt sich auch in TikToks Trend Report nieder. Top-Nischen waren u.a. #DracoTok, #TheatreKids oder #PlantTok. Sei es die Liebe zu Hogwarts oder Pflanzen, TikTok ermöglicht die digitale Vernetzung mit Gleichgesinnten.

In Nostalgie schwelgend stellen die Nutzer*innen ihre eigenen Kindheitsfotos nach oder erwecken unter dem Hashtag #seashanty das Walfängerlied „Soon may the Wellermann come“ zu neuem Leben. Der Song schaffte es damit sogar in die „Top 50 Deutschland“-Playlist auf Spotify. Mit dem mittelalterlich aufbereiteten „Moves like Jagger“ von Maroon 5 oder anderen Pop-Songs zeigen die Nutzer*innen unter #medievaltiktok, wie die Corona-Pandemie im Mittelalter abgelaufen wäre oder wie mittelalterliche Gepflogenheiten in der heutigen Zeit adaptiert würden.

TikToks größte Herausforderung? Der Imagewandel – weg von der reinen Teenie-Plattform hin zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten für Instagram & Co. Den Wandel zur seriösen Plattform fördert TikTok selbst mit der Kampagne #LernenmitTikTok. Dabei unterstützt die Plattform Creator*innen, die Bildungs- und Informationsformate anbieten. In Deutschland flossen alleine dafür 4,5 Millionen Euro. Die Bandbreite der Angebote ist groß. Hierzulande gehören zum Beispiel die Kanäle von @doc.felix oder @herranwalt dazu. Das Ziel: Information in aufbereiteten Häppchen – Bildung zum Mitnehmen quasi. Dabei bleibt die Frage, inwiefern 60-sekündige Videos Wissensvermittlung betreiben können.

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