Berlin. Götz Kubitschek kann mit Parteien eigentlich nicht viel anfangen. Eigentlich. Der Ex-Bundeswehroffizier und Rittergutsbesitzer betreibt in Schnellroda in Sachsen-Anhalt den rechtsnationalen Kleinverlag Antaios und die rechte Denkfabrik „Institut für Staatspolitik". Er gilt als Vordenker der Neuen Rechten in Deutschland. Das erzählt er, ganz der entrückte Intellektuelle, ausgerechnet vor 50 Partei-Nachwuchskadern. Die Junge Alternative Brandenburg, die Jugendorganisation der AfD, hat Kubitschek zu einem Vortrag geladen, es ist noch vor der Bundestagswahl. Der Publizist denkt gar nicht daran, es dem AfD-Nachwuchs einfach zu machen.
Er erzählt die Geschichte zweier junger Kader aus der AfD, die zu ihm gekommen seien, um Hilfe bei einer innerparteilichen Intrige zu erbitten. „Der Besuch zweier Parteikader", beginnt Kubitschek sein Fazit, „kann einen guten, klaren Vormittag zu einem vernebelten, einem heuchlerischen, unehrlichen, hinterfotzigen, einem in jeder Hinsicht unverbindlichen und vorläufigen Feld machen." Er spuckt die Worte aus. Das politische Geschäft sei nichts für junge Leute. „Es tut ihnen nicht gut, und sie sollten es meiden", beendet er seine Anekdote vor dem Parteinachwuchs. Niemand klatscht. Kubitschek kommentiert: „Na, das war mir klar, dass da keiner applaudiert." Großes Gelächter. Der rechte Denker warnt den Nachwuchs: „Der Parteiapparat wird Sie maßschneidern oder zurechtdenken." Damit gerieten sie unweigerlich ins Establishment und wären für die wahre Opposition verloren. „Fundamentalopposition ist die Etablierung der Partei zu den Bedingungen des Politischen. Nicht zu den Bedingungen des Establishments."
Mittlerweile hat die AfD den Einzug in den Bundestag tatsächlich geschafft. Wenn das Parlament am nächsten Dienstag zur konstituierenden Sitzung zusammentritt, werden ganz rechts außen im Plenarsaal des Berliner Reichstagsgebäudes 92 Abgeordnete der AfD sitzen. In den nächsten Wochen und Monaten werden zudem mehrere Hundert Mitarbeiter für die Parlamentarier und für die Fraktion in den Bundestag einziehen. Und mit ihnen zieht auch der Einfluss von Rechtsextremisten wie Kubitschek in den Bundestag ein.
Die Neue Rechte reagierte fast so euphorisch über den Einzug der Nationalisten auf die große parlamentarische Bühne wie Amerikas Alt-Right-Bewegung über den Aufstieg Donald Trumps. Das Ziel ist auf beiden Seiten des Atlantiks gleich: Die Rechtsextremen wollen mit ihren Gedanken, ihren Begriffen, ihren Themen in den Mainstream vordringen. In den USA haben sie es geschafft. In Deutschland üben sie noch. „Eine nie da gewesene Chance", sagt Kubitschek über den Einzug der AfD ins deutsche Parlament. „Nun steht die ernsthafte Infragestellung linksliberaler Hegemonie auf dem Programm", sagt er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Und weiter: „Die Chance, dass etwas von dem, was wir schreiben und sagen, den Weg in die politische Auseinandersetzung findet, ist sprunghaft gestiegen." Der Resonanzraum habe sich erweitert. Mit anderen Worten: Sie sind auf dem Weg in den Mainstream.
Das Ziel der rechten Vordenker: Der MainstreamSeit Gründung der AfD 2013 ist die Partei, die sich unter anderem für eine rigide Flüchtlingspolitik einsetzt, Anziehungspunkt für Aktivisten auch aus der neurechten Szene. Kubitschek hatte sich einmal um die Aufnahme in die AfD beworben. Unter dem längst geschassten Parteigründer Bernd Lucke wurde sein Antrag abgelehnt: Er stehe zu weit rechts. Kubitschek hat es nicht wieder versucht. „Es ist für beide Seiten besser", sagt Marc Jongen, neugewählter AfD-Bundestagsabgeordneter aus Karlsruhe, heute. So kann die AfD nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass Kubitschek den rechten Raum bis weit ins verfassungsfeindliche Spektrum beeinflusst.
Der 47-jährige Kubitschek arbeitet seit mehr als 20 Jahren emsig daran, rechtsnationales und völkisches Gedankengut in den politischen Diskurs einzuspeisen. Als Journalist, Verleger und Aktivist. Er initiierte die rechtsextreme Spendenkampagne „Ein Prozent für unser Land" („Deutschlands größtes patriotisches Bürgernetzwerk") und war an der Gründung des deutschen Ablegers der rechtsextremistischen Identitären Bewegung beteiligt, die sich mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen ins Gespräch bringt und seit 2016 vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Kubitscheks Wohnsitz in Schnellroda, ein ehemaliges Rittergut, ist Treffpunkt für die rechte Szene. Hier kann Kubitschek gegenüber der „New York Times" von einem starken Mann schwärmen, der die Kanzlerin absetzt und das „Experiment für beendet erklärt" - ob er die Flüchtlingspolitik oder die Demokratie meint, geht aus dem Artikel nicht hervor. Hier empfängt Kubitschek gemeinsam mit seiner Frau Ellen Kositzka, eine einflussreiche Publizistin der Neuen Rechten, und seinen sieben Kindern gerne Journalisten, die dann von der Landidylle mit Ziegen und Hasen berichten und sich ans Wendland der 1980er-Jahre erinnert fühlen.
Und hierhin kommt gern auch Marc Jongen, der nicht nur AfD-Abgeordneter ist, sondern auch Philosoph. Der gebürtige Südtiroler ist Schüler von Peter Sloterdijk und gilt daher schon fast zwangsläufig als der parteiinterne Vordenker. Im Februar hielt er einen Vortrag in Schnellroda und begann mit den warmen Worten: „Hier in dem fast schon mythischen Schnellroda, wo der Mut zur Wahrheit noch eine Heimstatt hat, ein exterritorialer Ort in der heutigen BRD." Er sprach dort viel über „Thymos", ein Lieblingswort auch von Kubitschek. Es geht auf Platon zurück und reicht in seiner Bedeutung von Beherztheit bis zu Hass. „Thymos" ist ein bildungsbürgerlicher Mantel für Wut und Zorn, Ressentiments und Nationalismus. „Schnellroda gehört in das intellektuelle Umfeld der AfD", sagt Jongen. „Ich habe dort viel Idealismus erlebt, Einsatz für das Eigene, aber positiv motiviert und nicht wie bei den Alten Rechten von Hass und Ressentiments geprägt."
Jongen ist einer derjenigen, die die AfD mit den Rechtsextremen von Schnellroda verbindet. Er verteidigt sie gegen Kritik. Und er ist gegen einen Parteiausschluss von Kubitscheks Freund Björn Höcke, dem AfD-Fraktionschef in Thüringen. AfD-Rechtsausleger Höcke hatte im Januar bei einer Rede in Dresden das Holocaustmahnmal als „Denkmal der Schande" bezeichnet - und unterhält seinerseits zahlreiche Kontakte in die rechtsradikale Szene. Jongen lässt sich trotz seiner Kontakte gerne als Realpolitiker bezeichnen. „Aber Realpolitik muss auch sein, das Spektrum des Sagbaren zu verschieben", sagt er. Damit meint er Sätze wie: „Wenn ganze Regionen ihr deutsches Gesicht verlieren, ist das nicht mehr das Deutschland, wie wir es kennen. Solche Zonen dürfen nicht wachsen."
Pegida und „Identitäre" unter der ReichstagskuppelEine erste große Bühne dafür war nicht der Bundestag, sondern die Frankfurter Buchmesse am vergangenen Wochenende. Vor dem Stand von Kubitscheks Verlag Antaios war es zu heftigen Wortwechseln und Rangeleien zwischen Rechten und linken Demonstranten gekommen - ein Eklat in der eigentlich eher gediegenen Buchmessenwelt. Kubitscheks Resümee der Auseinandersetzung fällt dementsprechend positiv aus: „In Relation zur Standfläche haben wir die meiste mediale Aufmerksamkeit." Die Grenzen sind bereits verschoben.
Aber die Ausweitung der Diskurszone ist nicht alles. Die deutsche Alt-Right wird sich auch in den Parlamenten selbst festsetzen. Mitarbeiter und Abgeordnete der AfD werden dafür sorgen, dass der Lärm der Straße von Pegida, „Ein Prozent" oder den Identitären auch unter die Reichstagskuppel dringen wird.
Jürgen Elsässer, Chefredakteur des verschwörungstheoretischen Magazins „Compact", gibt mit der „Compact-Konferenz" im November schon einmal den Ton vor: „Opposition heißt Widerstand" lautet der Titel, der als Appell an die AfD gemeint ist. Und Philip Stein, führender Kopf von „Ein Prozent", hofft nicht nur auf die „Erweiterung des Resonanzraums", sondern auch auf Drähte in den Bundestag: Zum Dresdner Neu-Bundestagsabgeordneten Jens Maier, dem „kleinen Höcke", pflegen die außerparlamentarischen Rechten gute Kontakte.
Ziel der AfD ist es nicht, Kleine Anfragen zu stellenUnd dessen AfD-Fraktionskollege Enrico Komning aus Vorpommern wird ab November einen Mitarbeiter beschäftigen, der der Identitären Bewegung zumindest räumlich öfter mal nahesteht: Stephan Schmidt, erfolgloser AfD-Direktkandidat aus Rostock, soll in Komnings Abgeordnetenbüro arbeiten. Videomaterial zeigt den Rostocker am 22. Dezember 2016 bei einer Identitären-Demo in Berlin vor der CDU-Parteizentrale, zusammen mit einem weiteren Rostocker AfD-Mitglied. In Rostock und Greifswald war er auf ähnlichen Veranstaltungen zu sehen. Was er dort wollte, erklärt Schmidt auf Anfrage nicht. „Er wird für die AfD arbeiten und nicht für die Identitäre Bewegung", sagt sein künftiger Chef Komning. „Er ist AfD-Mitglied und hat sich von den Identitären abzugrenzen." Der Sprecher der Identitären, der Rostocker Student Daniel Fiß, bestätigt dem RND, Schmidt „privat und persönlich" zu kennen. Eine strukturelle Zusammenarbeit mit der AfD strebe er aber nicht an. Dass die Partei im Bundestag wirken kann, freue ihn aber. Schließlich gebe es viele „inhaltliche Überschneidungen".
Partei-Vordenker Marc Jongen freut sich umgekehrt auf die Anstöße der außerparlamentarischen Neuen Rechten. Professionelle Sacharbeit sei zwar wichtig, schließlich wolle man irgendwann einmal regieren. Aber es lauerten auch Gefahren im Bundestag. „Das Parlament ist eine riesengroße Maschine", sagt er, „und ehe Sie sich versehen, sind Sie ein Rädchen in dem Getriebe." Das Ziel der AfD aber sei es nicht, Kleine Anfragen zu stellen, sondern „das Land zu verändern". Und da seien die „Bewegungscharaktere" auf der Straße „unbedingt notwendig", sagt Jongen. „Sie sind das Salz in der Suppe."
Von Valerie Höhne und Jan Sternberg