Valerie Höhne

Freie Journalistin, Berlin

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Merkel und die Frauen

Angela Merkel auf einer Veranstaltung

Berlin. Im Sommer wurde sie gefragt, ob sie Feministin sei. Merkels Blick wendete sich von der Moderatorin ab, sie schüttelte den Kopf, einmal nur. Dann kam das, was die britische Zeitung „The Guardian" später als „merkelesque" bezeichnete. Sie sagte: „Die Geschichte des Feminismus ist eine, bei der gibt es Gemeinsamkeiten mit mir und es gibt auch solche, wo ich sage, da gibt es Unterschiede. Und ich möchte mich auch gar nicht mit einem Titel schmücken, den ich gar nicht habe". Alice Schwarzer habe ja für was gekämpft. Sie wolle sich nicht auf die Erfolge anderer setzen und sagen: Ah, jetzt bin ich eine Feministin, das sei aber toll. Merkel spottet. Über sich - ein bisschen aber auch über jene, die nie etwas mit Frauenrechten oder Gleichstellungspolitik zu tun hatten und nun rosa Muschi-Mützen stricken.

Merkel hat nie Politik für Frauen gemacht

Über Angela Merkel und ihr Frausein wurde viel gesagt und geschrieben. Ihre Haare seien nicht modern genug, ihre Blousons nicht gut genug geschnitten. Sie ist als „Mutti" belächelt, aber auch geliebt worden. Was von parteiinternen Gegnern als abwertender Titel gemeint war, wurde zu einem Ausweis des Vertrauens vieler Menschen in ihre Kanzlerin. Machtbewusst ist sie, zielstrebig, pragmatisch.

Sie selbst hat ihr Frausein nie in den Mittelpunkt gerückt, eher davon abgelenkt. Nun da Dior T-Shirts für 550 Euro verkauft, auf denen „We should all be feminists" steht, erwarten viele von ihr, auch sie solle sich zum Feminismus bekennen. Doch Merkel hat nie Politik für Frauen gemacht. Sie hat Frauenpolitik höchstens geduldet.

Beispiel Gehalt: Die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen beträgt 21 Prozent. Die Gründe, die Frauen davon abhalten, so erfolgreich zu sein wie Männer, sind oft strukturell. Frauen ergreifen öfter Berufe, die schlechter bezahlt sind, sie arbeiten häufiger in Teilzeit und legen nach Familiengründungen längere Pausen ein.

Frauenquote gestoppt

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte als Familienministerin 2009 damit begonnen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern. Für sie war es ein Herzensthema - für Angela Merkel nie. Als von der Leyen 2013 beinahe die Frauenquote mit den Stimmen der rot-rot-grünen Opposition durchgesetzt hätte, hat Merkel sie gestoppt.

Erst Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) führte die gesetzliche Grundlage im Mai 2015 zu einer verbindlichen Quote in Aufsichtsräten in Unternehmen ein. Zehn Jahre nachdem Merkel Kanzlerin wurde. Eine europaweite Quote scheiterte am Widerstand Deutschlands. Dafür sei die EU nicht zuständig, ließ die Regierung in Berlin verlauten.

Erst im Mai dieses Jahres scheiterte ein weiterer Versuch der Gleichstellung am Kanzleramt. Er kam von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). Ein Gesetz sollte Frauen vor der „Teilzeit-Falle" schützen und ihnen Rückkehrrecht in die Vollzeit einräumen. Laut Befragungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wollen viele Frauen, vor allem Mütter, nicht in Teilzeit arbeiten - müssen es aber. 33 Prozent der erwerbstätigen Frauen mit Partnern und Kindern ab sechs Jahren würden ihre Arbeitszeit demnach gern erhöhen. Das Kanzleramt teilte Nahles mit, dass das Gesetz es doch nicht auf die Tagesordnung des Kabinetts schaffen würde. Merkel blockierte es.

Sie wird die Ungleichheit nicht beseitigen

Auch Regeln wie das Ehegattensplitting, oft als mindestens benachteiligend, manchmal gar als frauenfeindlich kritisiert, möchte die Kanzlerin nicht anfassen.

Merkel ist ein Vorbild für viele Frauen und junge Mädchen - auch weil sie die erste Frau ist, die Deutschland regiert. Aber Merkel hat nie offensiv dafür geworben, dass mehr junge Frauen in die Politik gehen. Sie hätte ihren Werdegang als Physikerin nutzen können, um Frauen dazu zu ermuntern, naturwissenschaftliche Berufe zu erlernen. Auch das tat sie nicht.

Frauenpolitik scheint sie meist nicht zu stören, sie ist ihr aber auch nicht sonderlich wichtig. Merkel glänzt als Diplomatin, als Vermittlerin in Krisen. Sie wird als mächtigste Frau der Welt in die Geschichtsbücher eingehen. 44 Prozent aller Frauen in Deutschland, die wahlberechtigt sind, haben ihr 2013 ihre Stimme gegeben. Doch sie wird die Ungleichheit, mehr noch: die Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern, die in Deutschland existiert, nicht beseitigen. Weil sie es offenbar nicht will. Nur weil sie eine Frau ist, muss sie keine Feministin sein.

Von Valerie Höhne/RND

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