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Mit der Mäusestrategie durch die Krise | Forum - Das Wochenmagazin

Der Königsberger Klops mit Forellenkaviar zog von der Weinbar mit um ins neue "Rutz Zollhaus". Foto: Ute Schirmack

Das Familienunternehmen von Carsten und Anja Schmidt bietet mit Weinläden, dem „Schmidt Z&KO", dem dreifach besternten „Rutz" und dem neu eröffneten „Rutz Zollhaus" Genusskompetenz in der Stadt. Es setzt fürs Navigieren durch die Krise auf bewährte Tugenden.

Vier Unternehmensbereiche und viel Bewegung darin: eine Neueröffnung, zwei Wiedereröffnungen, Umbauarbeiten und der erste dritte Michelin-Stern für Berlin. Das Genuss­imperium unter der Regie von Carsten und Anja Schmidt hat so ziemlich alles zu bieten, was Gastronomie aufregend macht. In der Corona-Krise gilt das für das Berliner Familienunternehmen ganz besonders.


Aus dem Weinladen Schmidt, gegründet 1964 durch die Eltern von Inhaber Carsten Schmidt in Neukölln, gingen insgesamt sechs Geschäfte berlinweit hervor. Vor knapp 19 Jahren kam das „Rutz" als Weinbar und Restaurant an der Chausseestraße hinzu. Unter Küchendirektor Marco Müller und Küchenchef Dennis Quetsch wurde das Team Anfang März 2020 mit dem dritten Michelin-Stern ausgezeichnet. Ende 2014 verlegte der Weinladen Schmidt seine Verwaltung in die Rheinstraße in Friedenau.


Im „Schmidt Z&KO" wird dort mittags und abends unter der Regie von Küchenchef Marcel Woest gekocht sowie Wein verkauft. Die Mitinhaber „Z" wie Ralf Zacherl und „KO" wie Mario Kotaska stehen ebenfalls regelmäßig an den Herden - in der „normalen" oder in der Event-Küche, in der vielfältige Kurse stattfinden. Neuestes „Familienmitglied" ist seit dem 20. Mai das „Rutz Zollhaus" in Kreuzberg. Nach der Übernahme von Herbert Beltle wird dort das Rutzsche Weinbar-Konzept unter Marco Müller und mit dem Team von Küchenchef Florian Mennicken und Gastgeber Hendrik Canis auf größerem Raum und mit neuen Akzenten gelebt.


Rettung der deutschen Esskultur als Ziel

Es gab bereits vor Corona mehr als genug erfreuliche Aufregung. Die Schließung des „Rutz" und des „Schmidt Z&KO" folgte auf dem Fuße - gerade einmal zehn Tage nach der Auszeichnung des „Rutz" mit dem dritten „Macaron" und ausgebuchten Tischen bis in den September hinein. Das „Zollhaus" befand sich währenddessen mitten in der Sanierung. Verzögerungen bei den Bauarbeiten hatten den für April geplanten langsamen Start ohnehin um einen Monat verschoben. Das neue „Rutz Zollhaus" und das „Rutz"-Restaurant gingen so sicher nicht unter den schlechtesten Vorzeichen in der dritten Maiwoche neu oder erneut an den Start.


Was perspektivisch kommt, weiß dennoch keiner ganz genau. „Den Berliner Markt werden wir uns erst einmal alle teilen müssen", sagt Marco Müller. Internationale Gäste, die in der Berliner Spitzengastronomie teils die Hälfte der Gäste ausmachten, bleiben wahrscheinlich noch lange aus. „Es war gut, dass wir in dieser Zeit mit dem dritten Stern eine gute PR hatten." Im Restaurant „Rutz" wurden die bisherigen 30 Plätze auf der oberen Etage geteilt und zur Hälfte ins Erdgeschoss, in die bisherige Weinbar, verlegt. So gingen trotz Abstandsregelungen keine Plätze verloren. Auch die neu aufgearbeitete Terrasse ist geöffnet - wer dort sitzen mag, kann seine Präferenz bei der Buchung angeben.


„Wir haben die Weinbar in der Chausseestraße schlafen gelegt und können glücklicherweise jetzt dafür das Zollhaus nutzen", ergänzt Anja Schmidt. „Und wir hatten immer schon viele Stammgäste aus Berlin und Deutschland." Die finden sich im „Rutz" in Mitte ein oder spazieren am Carl-Herz-Ufer vorbei und fragen, ob sie im „Rutz Zollhaus" einkehren können. „Am ersten Freitag hatten wir gleich drei Tische spontan belegt", sagt Gastgeber Hendrik Canis. Gemäß Abstandsgebot und Hygieneauflagen sind 24 Plätze an den neuen Eichenholztischen und den ovalen „Surfbrettern" in der Raummitte des Saals im Erdgeschoss eingedeckt. Dazu kommen weitere 20 Plätze unter der imposanten Dachbalkenkonstruktion im oberen, neu klimatisierten Geschoss. „Der Duz-Faktor ist sehr hoch", stellte Canis fest. Auch er dürfte vielen Berlinern aus dem „Vau", bereits einmal zuvor im „Rutz" und aus der „Spindel" in Köpenick bekannt sein. Eine Seite des langen Weinschranks im Eingangsbereich bestückte er gleich mit einer Auswahl von Bordeaux-Weinen, für die er eine besondere Leidenschaft hegt.


Der „Rettung der deutschen Esskultur" haben sich beide „Rutzens" verschrieben - sei es in der Fine-Dining- oder in der bodenständigeren, unkomplizierteren Weinbar-Küche. Die setzt einerseits leichte, sommerliche Akzente etwa mit „Suppe und Stiel vom gerösteten Broccoli", „Tatar von der gerösteten Karotte", „Hühnersalat und Koriander-Eisbergsalat". Der neue, junge Küchenchef Florian Mennicken schlug seine geschmeidige Suppen-Interpretation mit einer ins Schälchen eingestrichenen Haselnusscreme, gehackten Stielen und gerösteten Nüsschen und Croutons vor. Damit überzeugte er sogar den bisherigen Nicht-Broccoli-Fan Marco Müller. Nun steht die Suppe auf der Karte.


Dazu kommen die Weinbar-Klassiker, die mit umziehen durften: die „Gebratene Neuköllner Blutwurst mit Jemüse und Kartoffelpüree", handgeschnittenes Tatar vom Allgäuer Weideochsen mit Speck, Gurke und Forellenkaviar oder geschmorte Ochsenschulter mit Gartenkarotten, Sonnenblumenkernen und Liebstöckel. In der neuen, durch den Fleisch-Reifeschrank einsehbaren Küche des „Rutz Zollhaus" geht also einiges los. Als großer und entspannter Pluspunkt dürfte sich auch die Terrasse direkt am Landwehrkanal und unter alten Kastanien erweisen.


Die von vielen erwartete Rückbesinnung auf Regionalität und der Verzicht auf weitgereiste Luxusprodukte in der Spitzengastronomie ist für das „Rutz" keine Einschränkung. Das war sie noch nie. „Wir verzichten auf das, was wir nicht brauchen und kochen möglichst regional gedachte Gerichte", sagt Marco Müller. Daran habe sich „soweit gar nichts" geändert. „Wir sind viel im Wald und in den Bäumen gewesen." Das ist wortwörtlich zu nehmen: Knospen von Linden, Ahorn und Buchen wurden früh geerntet und eingelegt. Fotos und Videos auf Instagram zeigten Müller und sein Team auf den Feldern und bei den Bauern, mit denen sie zusammenarbeiten. Auch dies: so weit, so normal, seit mehr als 18 Jahren. Hauptsache, die Produkte kommen in bestmöglicher Qualität und von möglichst nahebei auf die Teller.


„Direkte Belieferung werden wir in jedem Fall beibehalten"

Im „Schmidt Z&KO" an der Rheinstraße startete die Küche ebenfalls wieder durch. Das beliebte Lunch-Angebot und die ausgefeilteren abendlichen Gerichte von Küchenchef Marcel Woest sind zurück. Der Mittagstisch wird am Platz serviert und ebenso wie ausgewählte Gerichte von der Abendkarte auch als Take-away-Angebot beibehalten. Die Weinflaschen werden wieder für den Restaurant-Ausschank geöffnet und nicht mehr nur außer Haus verkauft. Doch das wichtige Veranstaltungsgeschäft mit vielen, thematisch weit gefächerten Kochkursen und Events ist weiterhin unterbrochen.


Die Unsicherheit über die Dauer der Schließungen und die ständige Recherche von Regelungen, Vorschriften und Änderungen waren für Anja Schmidt der anstrengendste Teil ihrer Arbeit in den vergangenen Monaten. „In den Weinläden dürfen wir noch nicht ausschenken", sagt die Geschäftsführerin. „Wir hatten vorher schon unseren Onlineshop, aber den haben wir nun natürlich forciert." Durch den weggebrochenen Ausschank bei Weinproben, aber auch den Wegfall der wichtigen Orders aus der Gastronomie sei der Umsatz eingebrochen. „Teils konnten wir das durch den Online-Verkauf unserer Weinpakete auffangen", sagt Anja Schmidt. Private Kunden wurden außerdem erstmals persönlich zu Hause beliefert. „Unsere Kunden haben uns gezeigt, dass sie sehr viel Anteil nehmen. Das konnten wir immer wieder in den Gesprächen erfahren. Diese direkte Belieferung werden wir in jedem Fall beibehalten."


„Aber das war schon ein Bruch, der an die Substanz geht", sagt Anja Schmidt. „Du kannst immer nur das Feuer löschen und dich nicht dem richtigen Geschäft widmen, um es wieder voranzubringen." Die Betriebsschließungsversicherung habe sich als großes Ärgernis erwiesen: „Sie sagen einfach: Nö, hier zahlen wir nicht." Jenseits der beantragten Kredite habe es keinerlei staatliche Zuschüsse für das mittelständische Unternehmen gegeben: „Wir sind ja in allen vier Betriebsteilen jeweils mehr als zehn Leute."


Vor dem Corona-Einbruch sei man überall „ziemlich gut unterwegs gewesen", sagt Schmidt. „Die Veranstaltungen im ‚Schmidt Z&KO' liefen, dann kam das ‚Zollhaus' von unserem Freund Herbert Beltle dazu. Das war uns auch eine Herzenssache. Dann kam der dritte Stern." Und dann Corona und die Vollbremsung. Doch auch jenseits der Einbußen und neuen Belastungen auf Jahre hinaus bleibt Anja Schmidt vorsichtig zuversichtlich. Das Familienunternehmen habe sich immer schon weiterentwickelt und neu definiert. Man halte sich an die bewährte „Mäusestrategie": „Wenn der eine Käse aufgegessen ist, musst du dir eben einen neuen suchen."

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