1 subscription and 1 subscriber
Article

Rotaviren: Die Impfung dagegen scheint vor Diabetes zu schützen

Zwischen Durchfallerregern und Typ-1-Diabetes könnte es eine Verbindung geben. Das legen zwei epidemiologische Studien aus den USA und Australien nahe.

Durchfallerkrankungen können für Säuglinge und Kleinkinder rasch lebensbedrohlich werden. In einigen Ländern, darunter Australien und die USA, werden Säuglinge daher seit über zwölf Jahren routinemässig gegen den Hauptverursacher von Durchfall bei Kindern, die Rotaviren, geimpft. Epidemiologen beobachten nun Erstaunliches: Seit der Einführung der Impfung geht nicht nur die Häufigkeit von schweren Durchfällen zurück, es erkranken auch weniger Kleinkinder an Typ-1-Diabetes. Diese Autoimmunerkrankung ist in den westlichen Ländern seit Jahrzehnten auf dem Vormarsch.

Mary Rogers und ihre Kolleginnen von der University of Michigan in Ann Arbor, USA, analysierten in ihrer Studie, wie viele von insgesamt 1,4 Millionen amerikanischen Kindern zwischen 2001 und 2017 an Typ-1-Diabetes erkrankten und wie viele von ihnen gegen Rotaviren geimpft waren. 1 Im Vergleich zu Ungeimpften hatten die komplett geimpften Kinder - die Immunisierung wird in der Regel im 2., 4. und 6. Lebensmonat durchgeführt - ein um 33 Prozent niedrigeres Risiko, an Diabetes zu erkranken.

Gegenläufiger Trend bei Kleinkindern

Während bei älteren Kindern, von denen die meisten nicht geimpft waren, die Diabetesrate in dieser Zeit jährlich um bis zu 3 Prozent anstieg, stellten die Forscherinnen bei Kleinkindern bis 4 Jahren einen gegenläufigen Trend fest: Die Häufigkeit der Diabetes-Neuerkrankung nahm hier zwischen 2006 und 2017 jährlich um 3,5 Prozent ab. 2006 wurde die Rotavirus-Impfung in den USA eingeführt.

Die Zahlen aus den USA ähneln den Ergebnissen einer australischen Studie von Anfang Jahr. Kirsten Perret und ein Forscherteam vom Murdoch Children's Research Institute an der University of Melbourne erfassten dafür alle zwischen 2000 und 2015 festgestellten neuen Diabetesfälle bei Kindern unter 14 Jahren. 2 Sie zählten 16 159 Krankheitsfälle. Und auch hier: Von 2008 bis 2015 waren bei den bis 4-jährigen Kindern insgesamt 14 Prozent weniger von Diabetes betroffen als in der Zeitspanne vor dem Rotavirus-Impfprogramm, das 2007 startete. Bei allen anderen Altersgruppen nahm die jährliche Rate an Neuerkrankungen dagegen zu.

"Die aktuellen Studiendaten sind recht robust", sagt Christoph Aebi von der Universitätsklinik für Kinderheilkunde am Inselspital in Bern. Allerdings könnten epidemiologische Studien keine ursächlichen Zusammenhänge beweisen. Die Untersuchungen zeigten lediglich, dass zwei Ereignisse, nämlich die routinemässige Impfung gegen Rotaviren und der Rückgang beim Typ-1-Diabetes, zeitlich zusammentreffen, erklärt Aebi. Nicht ausgeschlossen sei daher, dass es in der Untersuchungsperiode noch andere Faktoren wie zum Beispiel Veränderungen im Lebensstil gegeben habe, die auch Einfluss hatten. "Dennoch sind die Studienergebnisse hochinteressant", sagt der Kinderarzt. Sie passten zu Erkenntnissen über die Diabetesentstehung und Virusinfektionen im Darm, die man aus Tierexperimenten gewonnen habe.

Lebensstil und Umweltfaktoren

Erkrankt ein Kind an Diabetes, ändert sich sein Leben von Grund auf. Denn das Immunsystem hat bei ihm die insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse zerstört. Das lebenswichtige Hormon muss deshalb künftig von aussen zugeführt werden. Was aber bringt die Immunabwehr dazu, die Bauchspeicheldrüse zu attackieren? Damit das geschehen kann, ist eine gewisse genetische Veranlagung nötig. Doch die Gene allein können den Anstieg bei den Diabetesfällen in den letzten Jahrzehnten nicht erklären. In Europa etwa steigen die Zahlen im Durchschnitt um 3,4 Prozent pro Jahr. In der Schweiz gibt es derzeit rund 40 000 Typ-1-Diabetiker. Wenn der Trend anhält, könnte sich die Anzahl der Betroffenen in den nächsten 20 Jahren verdoppeln.

Experten sind sich einig, dass Lebensstil- und Umweltfaktoren entscheidend an dieser Häufung von Diabetes beteiligt sind. Als begünstigende Faktoren gelten zum Beispiel eine nicht optimale Ernährung von Mutter und Kind, ein ungünstiges Mikrobiom im kindlichen Darm, eine nicht ausreichende Versorgung mit Vitamin D und bestimmte Infektionskrankheiten. In besonderem Verdacht stehen dabei Virusinfekte, allen voran mit Rotaviren. Diese Erreger können die Immunzellen wohl fälschlicherweise dazu bringen, Zellen der Bauchspeicheldrüse anzugreifen. Hinweise darauf gibt es aus Experimenten an Tieren und Beobachtungen am Menschen.

Bei Mäusen vermehren sich die Rotaviren nicht nur im Darm, sondern auch in der Bauchspeicheldrüse. Eine solche Infektion treibt bei genetisch für Diabetes anfälligen Nagern die Zerstörung der insulinproduzierenden Zellen an. Auch bei Kindern mit erhöhtem genetischem Diabetesrisiko - wenn zum Beispiel ein Elternteil oder Geschwister betroffen sind - lassen wiederholte Rotavirusinfekte den Spiegel von Antikörpern in die Höhe schnellen, die gegen die Bauchspeicheldrüse gerichtet sind.

Impfung in der Schweiz nicht empfohlen

Auch wenn weitere Studien notwendig seien, um den Zusammenhang zwischen Rotaviren und Diabetes im Detail zu ergründen, komme mit der Rotavirusimpfung eine erste Massnahme zur Prävention des Typ-1-Diabetes in Sicht, schreiben die Autorinnen der amerikanischen Studie. In der Schweiz ist die Impfung bisher nicht in den offiziellen Impfplan aufgenommen worden. Denn laut dem Bundesamt für Gesundheit rechtfertigen die Kosten den Nutzen nicht. Dies vor allem deshalb, weil es hierzulande wegen der hohen Qualität der Gesundheitsversorgung praktisch keine durch Rotaviren verursachten Todesfälle gebe.

Original