Im Leipziger Stadtviertel Lindenau leben viele Migranten. Der SV Lindenau hat sie zum Fußball eingeladen. Auch das geht: Integrationsarbeit auf dem Trainingsplatz.
"Das hier", sagt ein Junge in Trainingsklamotten, "heißt Lindenau auf Chinesisch." Der kleine Fußballer deutet auf ein Schild an der Kabinentür, auf dem neue Mitglieder beim SV Lindenau 1848 in diversen Sprachen willkommen geheißen werden. Im Kabinengang hängt eine Weltkarte, auf die zahlreiche Länderflaggen aufgeklebt sind, unter anderem die Fahnen von Peru und Russland, Syrien und Finnland. Und am Eingangstor des Sportplatzes am Charlottenhof fällt nicht zuerst die Platzordnung ins Auge, sondern eine Tafel mit den Botschaften, für die der Verein aus dem Leipziger Westen eintritt:
"Unser Verein steht für Fair Play, Toleranz und Gleichberechtigung im Fußball!"
"Unser Verein steht für Vielfalt! Rassismus und Diskriminierung haben bei uns keinen Platz!"
Elf Botschaften sind es insgesamt, jede mit einem Ausrufezeichen dahinter. Den Verantwortlichen ist es ernst.
Der SV Lindenau tickt anders als andere Sportvereine. Und weil bei ihm die Integrationsarbeit auch weit über das Anbringen von Schildern hinausgeht, wurde der SV Lindenau vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) als einer von drei Clubs in der Kategorie "Verein" für den Integrationspreis des DFB nominiert, der an diesem Donnerstag vergeben wird.
"Gesunder Menschenverstand"Ein weltoffenes Klima hatte sich im Verein bereits in den vergangenen Jahren etabliert. In Lindenau leben mit etwa 11 Prozent für Leipziger Verhältnisse überdurchschnittlich viele Migranten. Der Verein bietet den sportbegeisterten unter ihnen eine Anlaufstelle. Seit Martin Hammel im vergangenen Jahr die Initiative übernommen hat, hat sich die Zahl der Migranten unter den insgesamt 320 Mitgliedern der Abteilung auf mehr als 50 erhöht.
Der 31-jährige Nachwuchstrainer und Spieler der ersten Mannschaft hatte vor einem Jahr bei einem Trainerlehrgang von den Integrationsbotschaften des DFB gehört. Hammel tat das, was für ihn "mit gesundem Menschenverstand, wenig Aufwand und ohne groß angelegtes Konzept" umsetzbar war: Er sprach im nächst gelegenen Asylbewerberheim vor und lud die Bewohner zum Probetraining ein. Vor allem asylsuchende Eltern mit kleinen Kindern nahmen dankbar an und beteiligen sich heute selbstverständlich am Vereinsleben. Sie helfen beim Training, waschen Trikots und backen zur Weihnachtsfeier jeweils landestypisches Gebäck.
Keine Programme aufgestülpt bekommen"Das ist ein sehr wichtiger Schritt für die Bewohner, um sich in den Stadtteil zu integrieren", sagt Ina Lackert. Die Sozialarbeiterin betreut die 38 ausländischen Bewohner in der Georg-Schwarz-Straße unweit des Vereinsgeländes. "Nach der Flucht hilft der Verein den Bewohnern, neue Strukturen aufzubauen, zur Ruhe zu kommen und ein Stück deutscher Gesellschaft kennenzulernen", sagt sie. Es sei wichtig, dass Vereine aktiv auf die Asylunterkünfte zugingen, betont Lackert, da für viele Flüchtlinge Vereinsleben ,wie es in Deutschland praktiziert wird, unbekannt sei. Sport sei dafür besonders geeignet, da Sprachbarrieren hier ebenso wie in der Musik kaum eine Rolle spielten.
Wichtig ist Martin Hammel und seinen Mitstreitern, dass die neuen Mitglieder keine Initiativen oder Programme aufgestülpt bekommen, sondern sie möglichst einfach in das Vereinsleben integriert werden. "Die Kinder wollen nicht besonders behandelt werden. Sie sollen sich bei uns genauso wohlfühlen, als würden sie zu Hause Fußball spielen", sagt Björn Mencfeld, Pressewart des SV Lindenau
Zum Beispiel Roy. Der Junge ist vor etwa einem Jahr mit seinen Eltern aus dem Libanon nach Leipzig geflohen und wohnt in einer Asylbewerberunterkunft. Stolz trägt er sein Trikot des FC Bayern, Rückennummer 25, Thomas Müller. Roy versteht gut Deutsch, doch es ist ihm unangenehm, wegen seiner Herkunft befragt zu werden. Ob er sich wohlfühle, hier im Verein? Roy nickt und stürmt zu seinen Teamkollegen zurück auf den Fußballplatz. Knapp 15 Asylbewerber treten derzeit für den SV Lindenau auf die verschiedenen Teams und Altersklassen verteilt an den Ball. Darunter seit Kurzem auch ein Spieler in der ersten Mannschaft in der Stadtliga.
Den Monatsbeitrag müssen Asylbewerber genauso aufbringen wie alle
anderen Vereinsmitglieder. Das ist schon aus versicherungsrechtlichen
Gründen nicht anders möglich. Beim SVL unterstützen sie jedoch auch
hier. In einem Schrank liegen getragene Fußballschuhe,
Schienbeinschützer und Trikotsätze für Kinder, deren Eltern nicht mal
eben eine neue Sportausrüstung finanzieren können. Eine
Freizeitmannschaft hat zudem mehr als 300 Euro gesammelt, um Bedürftige
bei den Mitgliedsbeiträgen zu unterstützen. Teilweise hat der Verein
auch Summen vorgestreckt, bis entsprechende Anträge auf Bildungs- und
Teilhabepakete bearbeitet werden.
Weniger anfällig für dumpfe Parolen
Unterstützung kommt ab sofort auch vom DFB. Die
Egidius-Braun-Stiftung stellt für zwei Jahre insgesamt 600.000 Euro zur
Verfügung. Jeder der etwa 600 Vereine, die aktuell Flüchtlingsarbeit
leisten, könne 500 Euro jährlich beantragen, bestätigt Thomas Hackbarth
vom DFB. Das ist zwar nicht üppig und hilft jenen Vereinen nicht viel,
die erst beginnen, sich für das Thema zu öffnen. Doch Martin Hammel und
die anderen leben vor, wie Integration von Asylbewerbern auch mit
wenigen Mitteln möglich ist. "Wir wollen Vereine ermutigen, sich
einzubringen, die soziale Verantwortung wahrzunehmen, die sie in der
Gesellschaft haben", sagt Hackbarth.
Wenn die Kinder beim Fußball mit Vielfalt aufwüchsen, lernen würden, vernünftig und gleichberechtigt miteinander umzugehen, sagt Martin Hammel, "dann sind sie später hoffentlich nicht so anfällig für dumpfe Parolen". Oder anders: Wer früh gelernt hat, was "Willkommen beim SV Lindenau" auf Chinesisch heißt, wird später wohl kaum gegen Migranten hetzen. Ullrich Kroemer
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