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FC Inter Leipzig – Profikicker mit Schafen im Nachbargarten

Weltenbummler mit Visionen: FC-Inter-Coach Heiner Backhaus auf dem Ausweichtrainingsgelände beim SV Radefeld (Foto: Ullrich Kroemer)

Kein Stadion, kein Strom, kein Wasser: Der neue Oberligist FC International Leipzig muss improvisieren. Initiator Heiner Backhaus versucht sich am Spagat zwischen integrativem Verein und Profifußball.

Leipzig. Heiner Backhaus ist viel herumgekommen in seiner Fußballerkarriere. Der einstige Mittelfeldspieler zog vom Ruhrpott aus in die weite Fußballwelt. Er kickte mehrfach auf Zypern und Malta, sogar in Hongkong war er ein halbes Jahr und machte auch beim 1. FC Union Berlin Station. Zwischen seinen Auslandsengagements war er auch immer mal wieder für Leipziger Klubs am Ball: beim damaligen FC Sachsen ebenso wie beim 1. FC Lok und zuletzt dem unterklassigen Verein SV Fortuna. Nach seinem Karriereende suchte sich der 33-Jährige die wieder auflebende Fußballstadt in Sachsen aus, um sesshaft zu werden.

Nun sitzt Backhaus im schummrigen, mit Wimpeln und kleinen Pokalen geschmückten Vereinsraum des Leipziger Vorortklubs SV Radefeld vor einer Taktiktafel. Vor dem Vereinsheim weht eine Deutschland-Flagge. Statt nach großer weiter Welt sieht es hier nach tiefster Fußballprovinz aus. Nur Backhaus und seine Spieler, die nach und nach zum Training eintreffen, passen nicht ins Bild. Denn der bärtige charismatische Trainer mit halblangen Haaren und die Kicker aus Spanien, Brasilien, Südkorea und Sudan haben sich hier nur eingemietet. Doch dazu später mehr.

Es passt zu Backhaus, dass er für seinen ersten Trainerjob bei keinem bestehenden Klub angeheuert hat, sondern sich selbstständig gemacht hat. Gemeinsam mit seinem damaligen Mitstreiter Christian Meyer gründete er 2013 den FC International Leipzig. Der junge Verein wollte nicht wie üblich ganz unten in der 3. Kreisklasse starten, sondern suchte Partner für eine Fusion. Rasenballsport Leipzig hatte 2009 schließlich gleich nebenan vorgemacht, wie das geht.

Nachdem eine Kooperation mit dem Leipziger Stadtteilklub TuS Leutzsch scheiterte, sicherte sich Inter das Spielrecht des in Finanznot geratenen ostsächsischen Vereins SV See. So spielte der neue Leipziger Verein seine Premierensaison ab 2014 in der sechstklassigen Landesliga. Nach dem sofortigen Aufstieg in der vergangenen Spielzeit ist Backhaus mit Inter nun bereits im oberen Drittel der NOFV-Oberliga angekommen - gemeinsam in einer Spielklasse mit Lok. Nicht schlecht für die erst zweite Saison.

Glaubt man Backhaus, ist der Erfolg der ersten Mannschaft aber nur zweitrangig. Viel wichtiger sei der integrative Gedanke des gesamten Vereins. "Eigentlich", sagt der 1,87 Meter große Mann, "sind wir alles Streetworker und Sozialarbeiter." So soll Inter ein Ort sein, "an dem es keine Grenzen, sondern Chancengleichheit gibt". In der ursprünglich vorgesehenen Heimstätte, dem Mariannenpark im Osten der Stadt unweit des Brennpunktviertels Eisenbahnstraße, sollen Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Verhältnissen einen Klub finden. Und etwa 160 Aktive kicken laut Backhaus schon in allen Altersklassen beim Verein, der im Nachwuchs eine Spielgemeinschaft mit Backhaus' Ex-Klub SV Fortuna eingegangen ist. Er habe Kinder von der Straße geholt, erzählt Backhaus, solche, die "wild und schwierig und aus anderen Vereinen rausgeflogen sind, weil sie Quatsch gemacht haben".

Die Männer versammeln sich an diesem Tag aber nicht im Mariannenpark, sondern eben in Radefeld. Vor denen, die während des Vormittagstrainings nicht arbeiten müssen, hält Backhaus gerade eine emotionale Taktikansprache. In einem flüssigen Mix aus Englisch, Deutsch und Spanisch erklärt der Jungtrainer, wie er Lok Leipzig am Sonntag zu schlagen gedenkt. Dass der Autor zuhört, sei kein Problem, solange er dem Gegner nichts verrate. Eifrig verschiebt Backhaus die Magneten auf der Tafel, markiert entstehende Räume. Die Kicker hören aufmerksam zu und klatschen am Ende. Backhaus versteht etwas von seinem Fach, auch wenn er noch keinen Trainerschein hat; und er versteht es, seine Spieler zu motivieren.

Inzwischen ist auch Co-Trainer und Teambetreuer Michael Meyer eingetroffen, der einst jahrelang für die BSG Chemie Leipzig kickte. Spieler und Trainer treten nach draußen, wo es in dichten Flocken schneit. Auch wenn viele aus südlichen Gefilden kommen, ist die winterliche Witterung für die Inter-Kicker kein Problem. Viele spielen schon seit Jahren in Europa. Über seine zahlreichen Kontakte hat Backhaus das Team zusammengestellt. Darunter ist Kapitän Manuel Moral Fuster, der einst in der Jugend des FC Barcelona ausgebildet wurde. Ein Neuzugang, der wie drei weitere Kollegen wegen Visa- und Passangelegenheiten noch gar nicht spielberechtigt ist, soll von der U23-Mannschaft Inter Mailands gekommen sein. Nun trägt er zwar wieder den Inter-Schriftzug auf der Trainingsjacke, doch sonst dürfte es nicht allzu viele Gemeinsamkeiten geben zwischen dem Training in der italienischen Metropole und dem in Radefeld, wo im Nachbargarten Schafe grasen.

Backhaus kann seinen Spielern keine großen Gehälter zahlen. Zwischen 200 und 500 Euro bekämen sie pro Monat, sagt er. Doch Sponsoren stellen Wohnungen und Autos. Offenbar genug für die Fußballer, um hier ihr Glück zu versuchen. Sie sollen aber nicht nur Fußball spielen, sondern bestenfalls auch den Nachwuchs trainieren. Deswegen, so Backhaus, mache es auch Sinn, nicht in der 3. Kreisklasse zu beginnen, sondern im Vertragsamateurbereich. "Die Kids können zu Spielern der ersten Mannschaft aufschauen, teilweise zu Profis, die selbst Migrationshintergrund haben", sagt Backhaus. Erst mit dieser Perspektive, mit Leistung und Beharrlichkeit aus dem schwierigen, sozialen Umfeld herauszukommen, mache seine Idee Sinn. Beide Zweige des ambitionierten Vereins - Integration und Leistungssport - "befruchten sich gegenseitig", sagt Backhaus.

Mit dieser Vision hatte Backhaus 2013 auch beim früheren Leipziger Bürgermeister und Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee vorgesprochen. Der war begeistert und holte den Hauptsponsor, ein Immobilienunternehmen, ins Boot, das laut Backhaus jährlich 100 000 Euro beisteuert. "Die geben das Geld nicht, damit wir Lok schlagen, sondern dafür, dass wir einen Verein aufbauen, bei dem Chancengleichheit herrscht."

Doch das gut gemeinte und rasant umgesetzte Vorhaben steht derzeit am Scheideweg. Der FC International trainiert an diesem Vormittag nicht umsonst so weit draußen vor den Toren Leipzigs. Die Trainingsverhältnisse im Mariannenpark sind derzeit nicht hinnehmbar. Dort ist der FC Inter Nebenpächter. "Wir haben keinen Platz, kein Strom und kein Wasser", ärgert sich Backhaus. Holger Drendel, Vorsitzender des Nachbarn und Hauptpächters SV Wacker sagt: "Kein anderer Verein als Inter würde unter diesen Umständen überhaupt eine Spielgenehmigung bekommen." Er nennt den Klub dabei immer wieder "FC Tiefensee".

Drendel hatte das Projekt anfangs befürwortet und deswegen auch einen der Plätze im Mariannenpark an Inter abgetreten. Doch nach kurzer Zeit entzweiten sich die Vereine. Wacker hat den Nachbarn wegen ausstehender Zahlungen in Höhe von mehr als 10 000 Euro verklagt. Dazu habe sich Inter nicht an Absprachen wie die Instandsetzung der Plätze sowie die Versorgung des Kabinentraktes mit Wasser und Strom gehalten. "Die Sportler mussten ihre Notdurft auf der Anlage verrichten, unter anderem in unserer Weitsprunggrube", sagt Drendel. Dazu seien die Kabinen immer wieder völlig verdreckt gewesen. "In jeder Unterkunft für Flüchtlinge herrscht ein besserer hygienischer Standard als bei Inter", schimpft Drendel. Er hat den Antrag eingereicht, den Pachtvertrag rückgängig zu machen. Auch Backhaus redet sich in Rage, wenn er über die Situation im Mariannenpark spricht. Wacker sitze "auf seiner Anlage wie auf einem Kleingarten", sagt er. Eine verfahrene Situation.

Kerstin Kirmes vom Leipziger Sportamt fordert beide Vereine auf, miteinander zu reden und sich an die Regeln des Pachtvertrags zu halten. Angesichts des fehlenden Vertrauens sagt Wacker-Chef Drendel aber: "Da wird es keine Einigung mehr geben. Der FC International ist für uns ein Rotes Tuch." Dass Inter kein Stadion hat und seine Heimspiele im 17 Kilometer entfernten Tresenwald in Machern austragen muss, sei nicht Problem der Stadt, betont Kirmes: "Die Lage war immer klar. Wir haben keinen freien Sportplatz zur Verfügung." Der Verein habe sich zwar mit derartigen Ambitionen gegründet, doch die Stadt sei nicht in der Position, eine Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Um Fördermittel zu beantragen, gälten für Inter die gleichen Bestimmungen wie auch für andere Leipziger Vereine.

Viele der Konkurrenten beobachten Inter kritisch oder sogar ablehnend. Arbeit mit sozial schwachen Kindern und Flüchtlingen leisten dieser Tage schließlich auch viele andere Vereine, wie etwa der DFB-Integrationspreisträger SV Lindenau. Der Ansatz sei nur vorgeschoben, sagten kritische Fans vor Kurzem bei einer nd-Podiumsdiskussion über den Leipziger Fußball, um möglichst schnell und viele Jugendliche zusammenzubekommen und so die Auflagen der Verbände zu erfüllen. Vonseiten des zuständigen Verbandes gibt es bisher keine Bedenken. "Der FC International kann ohne Weiteres in der Oberliga spielen,sonst hätten wir den Verein ja gar nicht zugelassen", sagt Wilfried Riemer vom Nordostdeutschen Fußballverband (NOFV). "Die Auflagen werden vom Verein peu à peu abgearbeitet."

Im Schneetreiben von Radefeld korrigiert Backhaus derweil sein internationales Ensemble immer wieder wortgewaltig, stellt eifrig Tore und Hütchen auf. Da darf auch der Reporter gern mal mit anfassen. Der weit gereiste Cheftrainer kann Menschen begeistern, keine Frage. Doch ein Verein für hochklassigen Fußball und zugleich integratives Projekt für Migranten und Kinder aus sozialen Brennpunkten zu sein, scheint Inter derzeit noch zu überfordern. Auch in seinem zweiten Jahr im Spielbetrieb muss der Neuling noch zeigen dass er es ernst meint mit dem Fokus auf den Nachwuchs aus dem Viertel, oder ob die integrative Funktion nur ein Feigenblatt für die Etablierung eines weiteren hochklassigen Klubs auf dem schwierigen Leipziger Fußballmarkt ist. Ullrich Kroemer

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