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brand eins: Neustart bei Microsoft

Noch vor wenigen Jahren schien Microsoft den Anschluss an die Zukunft verpasst zu haben. Unter dem neuen Chef Satya Nadella wirkt der Konzern wie ausgewechselt.

Bürogebäude lassen sich als Körpersprache von Unternehmen lesen. Manche trumpfen neureich auf, andere geben sich bescheiden. Einige wirken herrschaftlich, als wollten sie das einfache Volk auf Distanz halten – so etwa das „Renaissance-Haus“ nahe dem Münchener Hauptbahnhof. Dass drei Etagen über dem Haupteingang ein angebissener Apfel prangt, übersieht man leicht. Das ist gewollt. Apples Deutschland-Zentrale, die sich das herrschaftliche Gebäude mit anderen Mietern teilt, fungiert nur als ausführendes Organ des kalifornischen Hauptquartiers. Geschäftsführer der GmbH ist laut Unternehmensregister ein Manager in Cupertino, der die Öffentlichkeit meidet. Google weiß so wenig über ihn, dass man auf die Idee kommen könnte, er habe die Suchmaschine auf Löschung seiner Daten verklagt.


Das Kontrastprogramm ist neuerdings in der Parkstadt Schwabing zu besichtigen, einem grünen Gewerbequartier nördlich des Mittleren Rings. Apples Erzrivale Microsoft ist im Oktober aus der graumäusigen Gewerbevorstadt Unterschleißheim nach München zurückgekehrt. In dem Neubau, einem siebenstöckigen Querformat zu Füßen der alles überragenden „Highlight Towers“, präsentiert sich der IT-Riese freundlicher und zugewandter denn je.


Den Mittelpunkt des Gebäudekomplexes bildet ein lichtdurchflutetes Atrium, in dem ständiges Gewusel herrscht. Es ist für jedermann frei zugänglich. Mittags strömen Hunderte Angestellte benachbarter Firmen in die Kantine oder die Cafeteria. Menschen mit Kaffeebechern lümmeln sich auf Sitzsäcken, die für Microsofts neue Cloud-Dienste werben. Andere plaudern, surfen im Netz oder schießen am Foto-Terminal ein Selfie, das sogleich in Postergröße auf den „Kronleuchtern“ erscheint, bis zu sieben Meter hohen LED-Screens, die kreuz und quer von der Decke hängen. Langsam gleiten die digitalen Selbstporträts aufwärts, vorbei an vollverglasten Besprechungsräumen und den Brüstungen von Kaffee-Lounges, die wie Theaterbalkone das Atrium einrahmen.


Das neue Hauptquartier gilt als Musterbeispiel für flexibles Arbeiten. Jeder tut das mit seinem Mobilgerät wann, wo und wie er mag: im heimischen Büro, Garten, Café, irgendwo, wo er ungestört ist und eine Breitbandverbindung zur „Private Cloud“ von Microsoft aufbauen kann. Mittelpunkt bleibt die Firmenzentrale, aber dort hat niemand mehr einen festen Sitzplatz.


Auch die Chefin Sabine Bendiek muss sich umschauen, wo etwas frei ist in dem Trakt, den sich Geschäftsführung, Personal- und Rechtsabteilung teilen. Je nachdem, was ansteht, wechseln die Mitarbeiter zwischen Ruhezonen, Sitzgruppen für spontane Meetings und Bereichen, in denen via „Skype Business“ telefoniert werden darf. Für vertrauliche Gespräche gibt es schalldichte Kabinen. Dank dieses Systems reichen für mehr als 1800 Angestellte 1100 elektrisch höhenverstellbare Schreibtische – und 1700 Sitzgelegenheiten vom Bürostuhl über Barhocker und Loungesessel bis zum Sofa.


All das ist ein Novum für den Konzern, der noch vor wenigen Jahren als IT-Dinosaurier belächelt wurde. Das Konzept für ein „Büro als offene Plattform und interdisziplinäres Labor für neue Ideen“ – so Bendiek bei der Eröffnung – ist nicht in der Zen­trale in Redmond bei Seattle entstanden, sondern in Stuttgart am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO).


Nun heißt es: empfangen statt senden

Doch es fügt sich wie ein Mosaikstein ein in den Wandel der Unternehmenskultur, für den Satya Nadella steht. Der gebürtige Inder ist erst der dritte Vorstandsvorsitzende in 41 Jahren Firmengeschichte. Vor knapp drei Jahren übernahm er den Chefposten von Steve Ballmer, dem alten Studienfreund und Vertrauten von Bill Gates, der seit 1980 im Unternehmen war und es seit 2000 führte, als wäre Kontinuität ein Wert an sich. Ballmer, Spross einer Schweizer Einwandererfamilie, war bullig, bestimmend, ein energiegeladenes Alphatier, dem niemand widersprach, der sich seiner Sache nicht sehr, sehr sicher war. Ein Sender, kein Empfänger. „Satya hat einen ganz anderen Ton“, sagt Markus Köhler, seit elf Jahren auf verschiedenen Posten im Konzern tätig, derzeit Personalchef in München. Mit dem neuen Chef habe sich die Kultur des Unternehmens geändert: „Wir hören heute viel mehr zu als früher. Wir sind viel offener geworden.“


Dafür war es höchste Zeit. Steve Ballmers um die vermeint­liche Grandiosität von Microsoft kreisende Mentalität war immer mehr zum Problem geworden. Der Vertriebs-Haudegen hatte das Talent, seine Mitarbeiter so auf ein Produkt einzuschwören, dass sie nur noch dessen Stärken sahen, aber nicht die Schwächen erkannten. „Die eigene Begeisterung für neue Produkte wirkt manchmal wie Scheuklappen“, sagt Oliver Gürtler, Leiter des für den Wachstumsmarkt Cloud Computing zuständigen Geschäftsbereichs – die davon abhielten, Kunden nach ihrer ehrlichen Meinung zu fragen. Diese Hemmungen zu überwinden hätten seine Mitarbeiter mittlerweile gelernt. So, wie Gürtler es beschreibt, ist dies allerdings nicht allen leichtgefallen. Inzwischen gehöre es zu den festen Aufgaben der Führungskräfte, ihre Teams zu dieser Offenheit anzuhalten, die idealerweise dazu führe, dass ein Vertriebler wertvolles Wissen des Kunden an die Entwickler weitergeben kann.


Dass Microsoft nicht viel früher den Kurs änderte, hat damit zu tun, dass der Konzern unter Ballmer weiterhin wuchs. Der Boss war gut darin, dicke Lizenz-Deals mit PC-Herstellern zu schließen, die alle Geräte mit Windows und einer Schnupper­version von MS-Office auslieferten. Neue Wachstumsmärkte verschenkte Ballmer allerdings. So konnte er sich in die immer wichtiger werdenden Privatkunden nie so gut hineinversetzen wie sein Gegenspieler Steve Jobs – der Microsoft allein deshalb nicht gefährlich wurde, weil Windows-PCs immer viel billiger zu haben waren als Macs und sich leicht aufrüsten ließen. Deshalb war auch die Szene der Gamer, die leistungsstarke Rechner lieben, immer eine sichere Bank für Microsoft.


Ballmer verstand auch nicht das Erfolgsrezept hinter dem Musikplayer iPod und dem Online-Plattenladen iTunes; seine Antwort, ein Gerät namens Zune, floppte. Über das iPhone machte er sich lustig, dann erwischte ihn ein Seiteneinsteiger kalt: Google führte ihm mit Android vor, wie man Apple Paroli bietet, und kickte die für Privatkunden unattraktive Smartphone-Version von Windows in die Bedeutungslosigkeit. Da Microsoft auch noch die PC-Nutzer mit dem neuen, aber unausgegorenen Be­dienkonzept von Windows 8 überfuhr, war trotz weiterhin respektabler Umsätze das Loser-Image komplett – zumal der PC, die traditionelle Cashcow des Hauses, von den Analysten totgesagt wurde. Die Aktionäre hatten den Blues.


Mit dem Ingenieur Nadella änderte sich das. Von Microsoft kommen wieder Innovationen, denen Apple nichts entgegenzusetzen hat, wie etwa die Augmented-Reality-Brille „Hololens“, der Grafik-Computer „Surface Studio“ und Cloud-Dienste für sicherheitsbewusste Firmenkunden. Im noch immer wichtigen Windows-Geschäft zeichnet sich ein Comeback ab. Die aktuelle Version 10 kommt gut an, und sie soll – was beim Vorgänger 8 nicht glückte – universelle Apps auf Geräten aller Art und Größenklassen zum Laufen bringen.


Dem Unternehmen kommt dabei zugute, dass sich Apple bei seinen Macbooks zusehends auf sehr teure High-End-Modelle kapriziert und zum Verdruss seiner Kunden allerlei beliebte Zubehörbuchsen einspart, die bei Windows-Rechnern noch zur Grundausstattung gehören. Selbst in User-Foren, in denen früher Apple-Fanboys den Ton angaben, dreht sich der Wind. Apple gibt den Kunden Rätsel auf, Microsoft punktet mit klaren Ansagen – darunter dem Versprechen, das in der IT-Branche „Platform Agnosticism“ heißt: Anwendungssoftware aus der Stadt Redmond, dem Firmensitz in der Nähe von Seattle, gibt es künftig nicht nur für Windows, sondern auch für die anderen Plattformen, die Kunden nutzen. Sieht aus, als ginge der Berg zum Propheten.


Neben MacOS, iOS und Googles Android geht es vor allem um Linux. Besonders auf Servern ist das gemeinfreie Betriebssystem so stark verbreitet, dass sich die Ingenieure von Microsoft längst damit arrangiert haben und über entsprechendes Know-how verfügen. Damit alle Systeme nahtlos ineinandergreifen, haben mehr als 16 000 Microsoft-Mitarbeiter bereits Softwarewerkzeuge und Quellcode auf die führende Download-Plattform Github gestellt. „Damit sind wir der größte Anbieter“, sagt Oliver Gürtler. „Wer hätte das gedacht?“

In einer Charmeoffensive beamte der Konzernchef Nadella im Jahr 2015 sogar die Liebeserklärung „Microsoft ♥ Linux“ an die Wand. In München könnte er sich beliebt machen, wenn bald Microsoft Office an das Gratis-Betriebssystem angepasst würde. Um Lizenzgebühren zu sparen, hatte die Stadtverwaltung ihre Arbeitsplatzrechner vor wenigen Jahren sukzessive auf Linux und die freie Bürosoftware Libreoffice umgestellt, doch die sehen viele Bedienstete nicht als vollwertigen Ersatz.


Die Veränderungen des Konzerns schreiben manche allein der Person Nadella zu. „Der Mann, der Microsoft umbaut“, titelte das US-Wirtschaftsmagazin »Fortune« kürzlich, und der »Spiegel« widmete dem Microsoft-Chef viel Platz, um die Rolle seiner Firma bei einer „Zeitenwende“ in der Informationstechnik zu erklären. Nadellas Aufstieg zur Konzernspitze war jedoch eher das Resultat einer beginnenden Zeitenwende im Konzern als deren Auslöser.


In den ersten 25 Jahren war das 1975 gegründete Unternehmen tatsächlich auf einen Popstar fixiert gewesen. Bill Gates avancierte als erster Nerd zur globalen Kultfigur – vor allem weil er schon in jungen Jahren Milliardär war. Doch sein Selbstbewusstsein verführte ihn auch zu einer „Not invented here“-Denkweise, also einer Abneigung gegen externe Innovationen, die sich im Unternehmen verfestigte. Obwohl seine Firma mit Software groß geworden war, die für Programme anderer Hersteller offen waren, entwickelte er den Ehrgeiz, als Exklusivlieferant für alle wichtigen PC-Anwendungen wahrgenommen zu werden. Gates drückte die Datenformate von Word, Excel und Powerpoint als faktischen Standard durch.


Es ist die Kultur, Dummkopf

Als das World Wide Web immer beliebter wurde, investierte er trotzig weiter in sein Microsoft Network (MSN), mit dem er den Onlinedienst AOL ausstechen wollte. 1995 brach er den „Browserkrieg“ vom Zaun, um den Internet-Pionier Netscape vom Markt zu drängen. Mit der Zeit wurde Microsoft zum Synonym für eine hermetische Welt, zur Zielscheibe für Kartellwächter und zum Lieblingsfeind freier Software-entwickler, die sich zur Open-Source-Bewegung formierten. Für gewöhnliche Leute blieb Windows trotz seiner Neigung zu unvermittelten Abstürzen das kleinere Übel.


Steve Ballmer fehlte sowohl das gewisse Etwas als auch das Gespür für Technik. Obwohl fast von Anfang an dabei, war Bill Gates’ alter Freund nie ein Visionär, nur ein gewiefter Verkäufer. Als er 2013 erkannte, dass seine Zeit ablief, hatten jün­gere Führungskräfte wie der Cloud-Computing-Spezialist Satya Nadella längst Ideen im Kopf, wie es weitergehen sollte. In den Jahren, in denen Bill Gates in die Rolle des Philanthropen hineinwuchs, war auch das Unternehmen gereift. Es brauchte einen Vordenker, der den Laden kennt, Prioritäten setzt und als Primus inter Pares seiner Mannschaft die nötige unternehmerische Entscheidungsfreiheit gibt.


Wie das in der Praxis läuft, lässt sich in München studieren. Wie schon bei der Gründung der dortigen Filiale im Jahr 1983 gehört der deutsche Markt zu den größten außerhalb der USA, doch der Chef in Redmond mischte sich nicht einmal in die wichtigste Personalentscheidung ein. Sabine Bendiek, seit Anfang 2016 Vorsitzende der Geschäftsführung, lernte Nadella erst persönlich kennen, als ihr Vertrag schon unterschrieben war. Erst beim Abendessen mit den Chefs der internationalen „Regions“ traf die Managerin, die zwar aus der IT-Branche kommt, Microsoft aber nur von außen kannte, Nadella zum ersten Mal. Er hielt keine großen Vorträge, sondern stellte seinen Managern Fragen.


Zuhören, vertrauen, loslassen – diese Vokabeln fallen immer wieder in Gesprächen mit den Microsoft-Managern. „Ich kann gar nicht bei allen Themen auf dem Laufenden sein“, sagt Oliver Gürtler, der oberste Verkäufer für Geschäftskundenprodukte wie den Cloud-Dienst Azure. „Ich empowere mein Team“, setzt er an, entschuldigt sich für den Anglizismus, „ich gebe den einzelnen Mitarbeitern mehr Verantwortung, nicht nur fachlich, sondern auch in der Art und Weise, wie sie arbeiten. Sie sind es, die den Kunden zuhören und die Innovation treiben.“ Sabine Bendiek ergänzt noch: „Um wirklich Innovationskraft zu entwickeln, brauchen Sie Neugier auf Menschen. Neugier darauf, was sie umtreibt. Sie brauchen diese Neugier, gepaart mit Offenheit und der Fähigkeit, sich selbst zu hinterfragen.“


Dass der Mensch vor der Technik kommt, klingt banal, kann aber in einer technikbesessenen Industrie der Schlüssel zum Erfolg sein. Im Fall von Microsoft war der Knackpunkt das tiefe Misstrauen deutscher Unternehmer gegenüber den Cloud-Computing-Diensten amerikanischer Anbieter. Die deutsche Microsoft-Tochter konnte es lösen, indem sie in Frankfurt am Main und Magdeburg ei­gene Rechenzentren baute und die Schlüsselgewalt treuhänderisch einer Firma übertrug, die deutschem Recht un­terliegt.

So kam die Telekom-Tochter T-Systems ins Spiel. Dank dieses Schachzugs soll kein Kunde mehr Angst haben, dass US-Geheimdienste sich seiner Daten bemächtigen. Inzwischen macht die lokale Cloud Schule: Demnächst eröffnen je zwei Rechenzentren in Frankreich und Südkorea.


Wer wissen möchte, was bei Microsoft als Nächstes kommt, tut wahrscheinlich gut daran, nicht nur nach Redmond zu schauen, sondern auch die Filialen in aller Welt im Auge zu behalten. Satya Nadella spricht zwar gern über den Trend zur künstlichen Intelligenz. Als Stratege, der den Mitarbeitern das Denken abnimmt, weil er alles am besten weiß, sieht sich der Konzernboss aber nicht. Nadellas wichtigstes Anliegen sei Unternehmenskultur, sagt Markus Köhler, der ihn schon vor seinem Aufstieg kannte. Den Peter Drucker zugeschriebenen Spruch „Culture eats strategy for breakfast“ ergänze der Chef gern mit „… for lunch and dinner as well“. Sabine Bendiek drückt es so aus: „Von fast jedem Menschen kann man etwas lernen, das der besser kann.“
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