Viele Migranten schicken ihre Kinder auf Privatschulen. Das Geld dafür müssen sie sich oft vom Mund absparen.
Draußen in Döbling ist es besser. Die Kinder lachen ein wenig mehr, und viele werden von ihren Eltern in schmucken Autos hergebracht. Auf dem Campus der katholischen Privatschule Maria Regina raschelt das Herbstlaub. Auf dem Gang machen Schüler fröhliche Mienen zum tristen Schulalltag. Überwiegend Österreicher aus gutem Hause besuchen hier im Nordosten Wiens dieses Gymnasium.
"Mir hat die Schule am besten gefallen, die kam sympathisch rüber", sagt die 13-jährige Selin, die aus der Reihe fällt. Sie ist hier eines der wenigen Migrantenkinder. "Ich verstehe mich mit allen gut, außer mit einem, der ist anscheinend gegen Ausländer."
Von öffentlichen Schulen hat sie Schlechtes gehört. "Oft sind die Schüler sehr laut, machen Sachen kaputt und wirken aggressiv", sagt das dunkelhaarige Mädchen. Blitzgescheit wirkt sie, freundlich und etwas zurückhaltend. "Für mich ist es etwas Besonderes, dass ich neben dem klassischen Unterricht auch Sport oder Kunst machen kann."
Nach wie vor besteht in Österreich ein Zusammenhang zwischen Herkunft und Schulerfolg. Es gibt zu viele Bildungsverlierer im zweitreichsten Land der EU. Das sind jene, die sich abgehängt fühlen, die ein müdes Dasein am Rande der Gesellschaft fristen, viele davon sind Migranten.
Für Selins Mutter Senem K. war klar, dass ihre Tochter eine private Bildungseinrichtung besuchen soll: "Ich habe Gespräche mit Freunden geführt, mir zahlreiche Berichte zum Schulklima durchgelesen. Oft ist der Ausländeranteil hoch, die Betreuung stimmt nicht, und niemand schert sich darum." Und dann, erzählt sie, war da dieses Schlüsselerlebnis in einem öffentlichen Kindergarten, irgendwo in Floridsdorf. Zwei Kinder stritten miteinander, brüllten sich an und zeigten sich den Stinkefinger. "Ich war schockiert", schüttelt die 39-Jährige heute noch den Kopf. "Wenn das schon im Kindergartenalter anfängt, was ist dann erst in der Pubertät?"
Senem K. wuchs in St. Pölten auf. Mitte der 1960er Jahre war ihr Vater als Gastarbeiter nach Österreich gekommen. Bildung war ihm sehr wichtig, und seine Anstrengung zahlte sich aus. Alle fünf Kinder legten die Matura ab. Selins Mutter studiert heute Betriebswirtschaftslehre. Ihr Mann ist Servicemanager bei einem internationalen Unternehmen. 180 Euro bezahlen sie pro Monat nur für das Schulgeld, alles andere kostet extra.
Selins Mutter ist nicht die Einzige der Familie, die ihr Kind an eine Privatschule schickt. Zwei ihrer Geschwister taten es ihr gleich und so manche Migrantenfamilie aus ihrem Umfeld.
Für viele Eltern ist der Bildungsaufstieg ihrer Kinder ein Hürdenlauf, dessen Erfolg von Standort und Geldbörse abhängt. 2013 verfügten laut Statistik Austria zwölf Prozent der österreichischen Bevölkerung im Alter von 25 bis 64 Jahren über keine Ausbildung, die über die Pflichtschule hinausreicht. Bei Migranten liegt der Anteil mit 28 Prozent mehr als doppelt so hoch; bei Zuwanderern aus der Türkei mehr als fünfmal so hoch.
Familie Tiftik wollte ihrem heute 27-jährigen Sohn Teoman dieses Schicksal ersparen. "Wenn er es schluckt, dann schluckt er das, und wenn nicht, dann wechselt er in die Hauptschule", sagte Mutter Saadet zu seiner Klassenvorständin in der Volksschule, die eine Hauptschule für Teoman empfahl. Die Mutter wollte das nicht akzeptieren und begann, sich nach Privatschulen umzusehen.
Es gebe genug türkische Familien, die das österreichische Bildungssystem kaum durchblicken könnten, erzählt das Ehepaar Tiftik. "Vielen wurde empfohlen, ihre Kinder in die Sonderschule zu geben, die Eltern haben sich dabei nichts gedacht", sagt Bedrettin Tiftik. "Manche glaubten sogar, die sei aufgrund ihres besonderen Namens eine bessere Schule."
Um dem Sohn eine Privatschule zu ermöglichen, mussten seine Eltern tief in die Tasche greifen: 6.800 Schilling, heute 490 Euro, überwiesen sie monatlich an die Privatschule De La Salle Strebersdorf. "Fast ein ganzer Monatslohn", sagt der Vater. Seine Frau suchte sich dafür eigens einen Job als Hausbesorgerin. "Ich war der einzige Türke in der Unterstufe", erzählt Teoman.
Laut Statistik Austria besuchen in Österreich rund zehn Prozent aller Schüler eine der 600 Privatschulen. Tendenz steigend. Auch die Schülerstatistik der De La Salle Strebersdorf weist in den vergangenen Jahren einen leichten Zuwachs an Schülern mit nicht deutscher Muttersprache auf. Gleichzeitig aber stammen nur sehr wenige davon aus der Türkei oder dem ehemaligen Jugoslawien.
Sobald sie ökonomisch abgesichert seien, suchten auch Zuwanderer Schulen mit einem geringen Ausländeranteil, meint die Bildungsexpertin Heidi Schrodt. In ihrem Buch Sehr gut oder Nicht genügend – Migration und Schule in Österreich bescheinigt sie dem Bildungssystem große Versäumnisse. An manchen öffentlichen Schulen etwa werde ein "Fünferverbot" praktiziert. Lehrerinnen würden von der Direktion gebeten, keinen der migrantischen Schüler durchfallen zu lassen, um diese nach der Regelzeit aus der Schule zu bekommen. Viele Absolventen erhalten demnach ein Zeugnis ausgestellt, obwohl sie weder ordentlich lesen noch schreiben oder rechnen können.
Ercan A., der in Wirklichkeit anders heißt, bekommt die Bildungskluft täglich in seiner Arbeit als Jugendbetreuer vor Augen geführt. Zu ihm kommen die Kinder, vor denen Eltern wie Frau Tiftik oder Senem K. ihren Nachwuchs behüten wollen. Sein Arbeitsplatz liegt in einem Stadtteil mit hohem Migrantenanteil und niedrigen Einkommen: "Zu meiner eigenen Schulzeit waren die Klassen hier im Viertel durchmischt, man hatte Kontakt zu Österreichern, heute sind es ausschließlich Migrantenkinder."
Das Schulniveau habe sich bis auf wenige Ausnahmen drastisch verschlechtert, weiß der Pädagoge aus eigener Anschauung: "Heute kommt ein Hauptschulabsolvent zu mir und weiß nicht, wie man einen Lebenslauf verfasst."
"In den Köpfen der Eltern ist oftmals verankert: Je höher der Ausländeranteil einer Schule ist, desto schlechter muss das Ausbildungsniveau sein", sagt Markus Röder, Direktor des Phönix-Realgymnasiums, einer Privatschule in Wien-Favoriten. Dieses Bild würde durch Medienberichte und "Schauermärchen" entstehen. "Aber sicher ist es auch an dem einen oder anderen Standort so", sagt der Pädagoge.
An den öffentlichen Schulen gehe es um stete Ressourcenverteilung, die nur begrenzt auf die dort anzutreffenden Herausforderungen zugeschnitten seien, bemängelt der 41-jährige Schulleiter. In seiner Schule ist der Anteil von Österreichern mit Migrationshintergrund sehr hoch, es sind vor allem Schüler türkischer Abstammung und einige Diplomatenkinder. Die Schule wurde 2007 von dem Phönix-Verein für Kultur, Bildung und Sport gegründet.
Wenn der Staat versagt, bieten zweifelhafte Organisationen Hilfe an
Wenn der Staat nicht weiterhilft, sind es manchmal zweifelhafte Organisationen, die hilfesuchenden türkischen Eltern Unterstützung anbieten – von der kostenlosen Nachhilfe über die Nachmittagsbetreuung bis zu eigenen Privatschulen. Oft sind die Vereine von der Gülen-Bewegung inspiriert. Einerseits setzt diese Organisation auf Dialog, Bildung und Integration, andererseits werfen ihr Kritiker vor, über ihr Schulnetzwerk in mehr als 140 Ländern eine türkisch-islamische Ideologie zu verbreiten.
Markus Röder beruft sich auf das vom Stadtschulrat regelmäßig kontrollierte Lehrmodell, das keine Rückschlüsse auf eine Islamisierung zulasse. Er räumt aber ein, dass das Ideenfundament, auf dem die Schule gegründet wurde, vom islamischen Prediger Fethullah Gülen mitinspiriert sei: "Die Ideen von einem möglichst hohen Bildungsabschluss für möglichst viele Menschen und einem zivilisierten Umgang untereinander decken sich, soweit ich mich auch damit beschäftigt habe, mit den Ideen von Herrn Gülen und waren einer der Ausgangspunkte für den Verein, sich mit Bildung, Kultur und Sport zu beschäftigen."
Teoman Tiftik hat den Bildungsaufstieg geschafft. Zwei Jahre lang besuchte er die Privatschule in Strebersdorf, länger konnten sich seine Eltern das Schulgeld nicht leisten. Doch es genügte, um ihn auf eine HTL vorzubereiten, die er dann besuchte. Nächstes Jahr wird er sein Fachhochschulstudium für Medienmanagement beenden. Die Privatschule habe ihm "das Leben gerettet", sagt die Mutter heute.
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