Sie sind einfach nur Schürzenjäger. Aber heute nennen sie sich Pick-up-Artists, lassen sich von Coaches schulen und zahlen viel Geld dafür
Die Wiener Mariahilfer Straße ist ein Boulevard der Begegnungen. Hier trifft sich das Großstadtpublikum, kreuzen sich die Wege von Einkaufsbummlern und müden Spaziergängern, stoßen junge Paare auf neugierige Touristen. Walter, der in Wahrheit anders heißt, ist heute mittendrin, beobachtet, mustert, sortiert aus. Sein Ziel: Frauen ansprechen.
"Man muss innerhalb weniger Sekunden bereit sein, loszulegen", sagt der 32-Jährige, während sein Blick über die weiblichen Passanten schweift. Wenn Walter erzählt, klingt er wie ein Waidmann, der mit seinen Erfolgen prahlt. Was früher als simple Schürzenjägerei zum pubertären Zeitvertreib gehörte, wird heute, im Zeitalter Sozialer Netzwerke, zum Phänomen überhöht, bei dem ein eigenes Vokabular zur Anwendung kommt. "Ein Set eröffnen" oder "approachen" heißt es in Walters Welt, wenn er sich einem Subjekt seiner Begierde nähert. Als sogenannter "Pick-up-Artist" gehört er zu einer Gruppe selbst ernannter Profiaufreißer, die systematisch möglichst viele Frauen anquatschen.
Ihre Bagger-Tricks beziehen sie aus Videos, Büchern oder Seminaren, in denen Flirt-Gurus für teures Geld ihr Wissen preisgeben. Frauen nennen sie "targets", und wem ein sexuelles Abenteuer gelingt, der macht mächtig Wind unter Seinesgleichen. Ewig lockt das Weib, aber eben auf neuen Jugendkult getrimmt, mit dem sich sogar bereits Wissenschaftler beschäftigen.
Während die Pick-up-Szene in Deutschland laut Frankfurter Allgemeine Zeitungbereits auf 50.000 Mitglieder angewachsen ist, zählt die gut vernetzte Online-Community in Österreich erst rund 700 Verführungskünstler, Tendenz steigend.
Es sei ein Phänomen, heißt es bei Zeitgeist-Forschern, das vor Jahren aus den USA nach Deutschland kam und jetzt auch nach Österreich überschwappt. Kritiker sagen, der Belästigungssport sei manipulativ und sexistisch. Andere wollen darin lediglich einen harmlosen Zeitvertreib sehen, der einsamen Herzen Halt gibt. Oder handelt es sich gar um das Symptom einer verunsicherten Männerwelt, die sich immer schwerer tut, ihre Rolle zu finden?
Im normalen Leben lernen sich zwei Drittel aller Paare in ihrem direkten sozialen Umfeld kennen: Im Bekanntenkreis, bei der Arbeit, während der Ausbildung. Die Pick-up-Artisten gehen hingegen an öffentlichen Orten auf die Jagd. Im Alltag soll die Kontaktaufnahme zu Frauen leichter fallen, weil dann deren Abwehrbereitschaft – im Bagger-Vokabular als"bitch shield" bezeichnet – nicht in gleichem Maß aktiviert sei wie etwa in einer Disco. Das eigene Aussehen sei gar nicht so wichtig, erfährt man in einschlägigen Onlineforen. Die richtige Technik sei entscheidend. Aber es ist noch kein Don Juan vom Himmel gefallen.
Routinier Walter, der heute mit drei Anfängern unterwegs ist, erklärt den Frischlingen, worauf es ankommt. Sein Erscheinungsbild ist unauffällig, er trägt ein T-Shirt zur Bluejeans und einen braunen Lederrucksack, als käme er gerade von der Arbeit. "Man darf nicht den Eindruck erwecken, dass man nur da ist, um Frauen anzusprechen," erklärt er. "Von vorn ansprechen, ein Kompliment machen, das Gespräch am Laufen halten."
Blickt man in die Runde, kann man sich nicht vorstellen, dass die jungen Männer alle gekommen sind, um Frauen kennenzulernen. Keiner wirkt, als wäre er ein sterbenslangweiliger Kerl oder sozial isoliert. Der eine ist eloquent, betreibt Karate und studiert Medizin, der andere lernt an der Technischen Universität und fällt durch seine Hornbrille und teuren Basketballschuhe auf, und Boris, der ebenfalls seinen richtigen Namen nicht nennen will, sieht aus, als wäre er Quarterback einer Footballmannschaft. "Frauen ansprechen heißt für mich, Spaß zu haben und zu versuchen, ein Date zu fixieren", sagt er. "Viele sind so wie wir, und nur wenige sind Machos." Die anderen nicken.
Mithilfe einer Facebook-Gruppe haben sie sich zum Anbaggern verabredet. In den sozialen Medien werden Ratschläge gegeben und Flirt-Erfahrungen ausgetauscht. Vieles aus dem Bagger-Vokabular ist eindeutig sexistisch, wird aber kaum hinterfragt. Manche Berichte über sexuelle Erlebnisse, sogenannte Lay-Reports, sind schamlos und bis ins letzte Detail ausgeführt. Die Grenzen zwischen Prahlerei und Wahrheitsgehalt verschwimmen. Männerfantasien 2.0 gewissermaßen.
Tatsächlich suchen immer mehr Männer nach Orientierung. Einer, der leicht verständliche Lösungen anbietet, heißt Max, kommt aus Wien und ist sogar in der US-Szene aktiv. In einem Hostel in der Nähe des neuen Wiener Hauptbahnhofs hält er heute einen Vortrag zu gängigen Pick-up-Techniken – zu diesem Thema haben sich an die 60 Männer zusammengefunden. Der Seminarraum ist vollgepackt, die Stimmung locker: "Rejection is pain, and pain is progress", ist in großen Lettern auf einer PowerPoint-Präsentation zu lesen: Abweisung ist Leid, und Leid ist Fortschritt. Davor steht Flirt-Trainer Max. Es könne passieren, dass die meisten Damen beim Ansprechen zunächst uninteressiert reagierten oder sich später nicht mehr meldeten, erklärt er. Deshalb müssten die Verführer lernen, einzustecken und sich in den Griff zu kriegen. Bagger-Bursche Max zählt langsam auf: "Kein Alkohol. Keine Zigaretten oder sonstigen Drogen, keine Selbstbefriedigung." Er ist von seinem Rezept unerschütterlich überzeugt. "Kalt duschen stärkt die Willenskraft." Seitdem Max Pick-up betreibt, kommt nur noch kaltes Wasser aus der Dusche, weil der moderne Don Juan offensichtlich ein Asket sein muss.
Ein Hörer ist neugierig. "Wie ist das, verliebst du dich oft?" – "Ja, manchmal", antwortet Max. "Du darfst aber mit der Weiterentwicklung nicht aufhören, entweder Liebe oder Sex", gibt er zu bedenken. Bis zu 200 Euro können mehrstündige Kurse kosten.
Ein anderer Coach der Wiener Szene, genannt Fred, betont, es gehe trotz der oft sexistischen Sprache nicht um Herabsetzung oder Manipulation von Frauen, sondern darum, einen vernünftigen Eindruck zu hinterlassen. Der 27-jährige Anquatsch-Trainer nennt sein Betätigungsfeld eine alternative Lebensphilosophie, die ihm zu einem Ausbruch aus dem gesellschaftlichen Korsett verhelfe. Die meisten Männer würden sich nicht trauen, fremde Frauen auf der Straße anzusprechen, da sie gelernt hätten, dass dies unangemessen sei. Aber bloß Anmachsprüche abzufeuern würde nicht reichen. "Den magischen Schlüssel zu den Herzen der Frauen gibt es nicht", doziert der Flirt-Lehrer im besten Groschenroman-Jargon.
In der Praxis bleibt "Pick-up" genau jenes mühsame Unterfangen, das die Schürzenjägerei seit je war. Auf der Mariahilfer Straße ist nach einer Weile von der anfänglichen Flirt-Freude nur noch wenig zu spüren, auch die flotten Sprüche kommen nicht mehr wie auf Knopfdruck. "Ab nach Hause und Nummern auswerten", beendet Walter den Trainingsausflug. Die Erfolgsrate der jungen Burschen bleibt überschaubar. Auch Boris hat noch einen letzten Korb kassiert, es war sicher schon der zehnte an diesem Tag. Ihn störe das aber nicht mehr, er strebe ohnehin nicht möglichst viele Dates an. "Ich möchte die eine Besondere kennenlernen", sagt er. Das klingt so herzerfrischend romantisch und altmodisch, wie die heteronormative Welt eben ist.
Dieser Artikel stammt aus der Österreich-Ausgabe der aktuellen ZEIT. Sie finden die Österreich-Seiten jede Woche auch in der digitalen ZEIT.